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Richter bricht Recht. Jörg L. verkaufte Examen an Nachwuchsjuristen, verlangte sexuelle Gegenleistungen und Geld.

© Philipp Schulze/dpa

Korruption im Justizwesen: Richter muss fünf Jahre ins Gefängnis

Ein Referatsleiter in Niedersachsen hat Jura-Prüflingen Klausurlösungen überlassen - und als Gegenleistung Geld und Sex verlangt. Jetzt hat ein Gericht den 48-Jährigen Jörg L. zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Sollte es in den Ämtern, die für die Abnahme juristischer Staatsprüfungen zuständig sind, Beamte geben, die ihr exklusives Wissen an Examenskandidaten verkaufen wollen – es wäre eine schlechte Idee. Das Landgericht Lüneburg hat den früheren Amtsrichter Jörg L. am Donnerstag wegen sechsfacher schwerer Bestechlichkeit, vier versuchten Nötigungen und insgesamt sechs Fällen von Geheimnisverrat zu fünf Jahren Haft verurteilt. 5000 Euro muss er zurückzahlen, die er bei einer der Taten eingestrichen hat.

"Ein hartes Urteil", quittiert sein Verteidiger Johannes Altenburg das Verdikt. Hier sei "ein Exempel statuiert" worden, was er "rechtsstaatlich höchst bedenklich" finde. Eine Revision zum Bundesgerichtshof will er prüfen.

Eine große Hürde namens Staatsexamen

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, bildet es das letzte Kapitel eines im hiesigen Justizwesen einmaligen Korruptionsgeschehens. Tausende Kandidaten jährlich schleusen die Prüfungsämter nach deren Hochschulstudium und Referendariat durch Klausuren, um qualifiziertes Personal für Gerichte, Ämter und Anwaltschaft zu gewinnen. Der Druck ist hoch. Am ersten Staatsexamen scheitert regelmäßig ein Drittel, auch das zweite, nach dem Referendariat, das ein "Volljurist" ablegen muss, bleibt für viele eine unüberwindbare Hürde. Noch nie hatte sich jemand seine Position in diesem empfindlichen Bereich so zunutze gemacht, wie der Angeklagte es getan haben soll.

Der 48-jährige Familienvater diente dem Staat als Referatsleiter im niedersächsischen Prüfungsamt. "Sehr engagiert", das gesteht ihm auch die Vorsitzende der Strafkammer Sabine Philipp zu. So engagiert, dass man eigens für ihn eine Stelle schaffte, um den bis dahin nur zeitweilig Abgeordneten dauerhaft zu halten. Doch noch bevor er sie antrat, hatte er sich aus Sicht des Gerichts entschlossen, den Anwärtern unmoralische Angebote zu machen, in jeder Hinsicht: Der Angeklagte habe nur "eigene Vorteile" im Blick gehabt, "Geld und die Aufnahme sexueller Kontakte" mit Referendarinnen.

Jörg L. drohte mit Anzeigen wegen Verleumdung

Richterin Phillip zählte die Fälle auf, in denen der Angeklagte Prüflinge ansprach, die er zum Teil selbst in Durchfallerkursen für einen erfolgreichen zweiten und letzten Versuch trainierte. Ihnen bot er Lösungsskizzen. Um Denunziationen vorzubeugen, drohte er mit Strafanzeigen wegen Verleumdung. Migranten mit Sprachproblemen habe er helfen wollen, so verteidigte sich der Jurist, doch die Kammer nahm L. den Menschenfreund nicht ab. Es seien auch Zeugen "mit hervorragenden Sprachkenntnissen“ vor Gericht aufgetreten. Einige hätten ihr Examen in der Tasche gehabt und nur die Note verbessern wollen.

Auch ein anderes Bild, das der Angeklagte von sich zeichnete, weise "Ungereimtheiten" auf. L. hatte dem Gericht von Depression und Selbstmordgedanken erzählt, nachdem er von Fahndern samt Pistole, einem Haufen Munition und Bargeld sowie Prostituierter im Bett in einem Mailänder Edelhotel aufgegriffen worden war.

Es könne, wer anderen so mit Nachteilen drohe, schwerlich selbst in einer Lebenskrise stecken, fand das Gericht. Philipp wies auf das "Hierarchiegefälle" hin, aus dem heraus L. "Menschen in einer ungünstigen Situation" zu nötigen versuchte, während er selbst in ausgezeichneter Position gewesen sei. "Auf dieser Klaviatur hat er gespielt."

Keine Pensionsansprüche

"Das Gesetz schützt die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes", hob die Richterin heraus, "und damit auch das Vertrauen, das die Bevölkerung in ihn hat". Die Taten seien "in hohem Maß geeignet, den Rechtsfrieden zu beeinträchtigen". Jörg L. habe seine Einflussnahme selbst als größten Fehler seines Lebens bezeichnet. "Das ist wahr." Aber niemand anderer als er selbst sei daran schuld. Den Vorwurf mit dem Exempel wies sie zurück, auch, dass die Justiz ihn "hasse". Es sei allein um die Schuld des Angeklagten gegangen, der sich gewerbsmäßig und deshalb in einem schweren Fall habe bestechen lassen.

Ein Urteil, das nah bei der Staatsanwaltschaft liegt, die nur drei Monate mehr gefordert hatte. Die Verteidiger meinten dagegen, elf Monate hätten reichen müssen. Sein Richteramt wird L. verlieren, wohl auch seine Pensionsansprüche. Das Gericht hielt ihm sein Geständnis zugute, erwähnte aber auch die 2000 Sonderprüfungen, bei denen 16 000 Klausuren nachträglich auf Betrügereien hin untersucht worden seien. In 15 Fällen laufen Aberkennungsverfahren, zwei Verdächtigte befanden sich sogar kurzzeitig im Staatsdienst. Manche Fälle werden noch aufgeklärt. Es könnte weitere Anklagen geben – theoretisch auch gegen Jörg L.

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