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Gekentert: Das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ von der Insel Giglio vor der toskanischen Küste aus gesehen. Seit es am Freitagabend auf Felsen auflief, ist es zur Hälfte vom Wasser verschluckt worden. Die Küstenwache fürchtet, dass das völlige Versinken des Riesen nicht zu verhindern sein wird.

© REUTERS

Das Unglück vor der Toskana: Kreuzfahrt - Ende beim ersten Dinner

Die Havarie des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" vor der Isola del Giglio in Italien wirft viele Fragen auf. 4200 Menschen waren an Bord.

„Wir saßen beim Abendessen, beim ersten Gang genauer gesagt. Auf einmal: ein fürchterlicher Knall, das Schiff bremst schlagartig ab, das Licht geht aus. Dann noch mal so ein Knall. Dann sind uns die Teller und die Gläser entgegengeflogen, die Tische sind davongerutscht. Kinder fingen an zu brüllen. Dann haben wir gemerkt, wie das Schiff sich zur Seite neigte. Die Leute konnten sich in der Schräge nicht auf den Beinen halten; alle sind durcheinandergefallen und aufeinander herumgetrampelt. Der Pianist ist ins Meer gesprungen, um sich zu retten.“

So erzählen Passagiere vom jähen Ende ihre Mittelmeerkreuzfahrt. Acht Urlaubstage lang sollte sie dauern, nach einem halben Abend schon aber war sie zu Ende: Am Freitag um 21.45 Uhr streifte die „Costa Concordia“ eine Klippe; Felsen rissen den Rumpf beiderseits auf etwa 70 Metern Länge auf, Wasser drang in das knapp 300 Meter lange Schiff ein. Die Unglücksstelle lag mehr als eine Meile vor der „Isola del Giglio“, 15 Kilometer von der toskanischen Küste entfernt. Zwei französische Passagiere und ein peruanisches Besatzungsmitglied starben auf der Stelle, etwa 50 wurden verletzt, einige schwer.

Der 52-jährige Kapitän des Schiffes wurde, ebenso wie der Erste Offizier, am Samstagabend nach mehrstündigem Verhör festgenommen. Der Kapitän hatte erklärt, nach seinen Seekarten sei an der Stelle des Unglücks kein Felsen verzeichnet gewesen. Ihm war es nach dem Aufprall nach Angaben der Küstenwache offenbar noch gelungen, das Schiff trotz Schlagseite ganz nahe an die Felsenküste der winzigen Insel zu manövrieren und so die Rettung von Passagieren und Besatzung zu erleichtern. Allerdings blieb unklar, weshalb das Schiff seinen Kurs verließ und trotz hochmoderner Technik auf Felsen auflief. Bewohner der Insel erzählten Reportern, manche Schiffe navigierten absichtlich nahe an die Küste heran, „um zu grüßen“.

Auf der nicht ganz ausgebuchten „Costa Concordia“ befanden sich am Abend des Unglücks mehr als 4200 Personen: 1013 Besatzungsmitglieder und 3216 Passagiere aus der ganzen Welt. Unter ihnen waren auch 569 Deutsche und 74 Österreicher. Eine Sprecherin der Deutschen Botschaft in Rom teilte am Samstagnachmittag mit, man wisse, dass derzeit zehn Deutsche im Krankenhaus behandelt würden. Bis Samstagnachmittag galten noch etwa 70 Personen als vermisst, am Abend reduzierte sich diese Zahl auf etwa fünfzig. Für die Küstenwache sagte deren Sprecher, Alessandro Nicastro, gegen 15 Uhr im italienischen Fernsehen, die im Wasser versunkene rechte Hälfte des Kreuzfahrtschiffs könne nicht durchsucht werden; das Schiff drohe zur Gänze unterzugehen.

Gerettet. Eine Frau wird in eine Decke gehüllt und in Sicherheit gebracht.

© REUTERS

Auf der „Lilieninsel“ und an der nahen Küste der Toskana fingen die Fernsehkameras am Samstagmorgen Szenen ab, wie Italien sie bisher praktisch nur aus Lampedusa kannte: orientierungslose Touristen mit angstgeweiteten Augen, zitternd vor Kälte, in Decken gehüllt wie schiffbrüchige Flüchtlinge aus Afrika. Kirchen, Schulen und Hotels öffneten ihre Tore, um die Verunglückten aufzunehmen; Einwohner brachten Tee und Nahrungsmittel vorbei. Ein Arzt in Porto Santo Stefano auf der Giglio gegenüberliegenden Halbinsel Monte Argentario, sagte der Lokalzeitung „Il Tirreno“, er habe eine junge Spanierin aus der Besatzung wegen Unterkühlung behandelt. Der Arzt, der zum medizinischen Küstendienst gehört, sagte, die derzeitigen Wassertemperaturen lägen zwar bei 14 bis 15 Grad, aber: „Auch wenn die Wetterbedingungen dieser Nacht gut waren und das Meer ruhig, kann man diese Temperaturen nur 30 Minuten lang aushalten.“

Die Katastrophe in Bildern:

Gerettete berichten von „apokalyptischen Szenen“ an Bord: „Es war wie im Film über die Titanic, nur alles viel, viel schlimmer,“ so berichtet eine Journalistin, die auf der „Costa Concordia“ urlauben wollte. Passagiere erzählen von Personal, das selbst zu verängstigt gewesen sei, um klare Anweisungen zu geben, andererseits aber auch von „Köchen und Kellnern, die die wahren Offiziere an Bord waren und uns gerettet haben“. Andere Touristen berichten von Rettungsbooten, die aufgrund der immer stärkeren Neigung des Schiffes in den Halterungen festgeklemmt waren und nicht zu Wasser gelassen werden konnten, von Rettungswesten, die schwer zu finden und zu knapp waren: „Es waren so wenige, wir haben sie uns gegenseitig geraubt“, sagte die Passagierin Antonietta Simboli. Zuerst habe es geheißen, erzählt ein italienischer Bürgermeister, der an Bord war, der Stromgenerator habe einen Fehler: „Da war aber allen schon klar, dass da viel mehr passiert war.“ Erst zwei Stunden später sei die Anweisung gekommen, Schwimmwesten anzulegen und sich auf die Evakuierung vorzubereiten.“

Die „Costa Concordia“ gehört oder gehörte dem italienischen Kreuzfahrt-Unternehmen „Costa Crociere“, dem größten der Branche in Italien, das seinerseits Teil des US-Konzerns Carnival ist. Die „Costa Concordia“, 2006 in Betrieb genommen, galt als eines der modernsten Kreuzfahrtschiffe. Es kann bei maximal 1100 Besatzungsmitgliedern 3800 Passagiere befördern.

Im November 2008 hatte das Schiff seinen ersten Unfall. Bei starkem Wind krachte es gegen die Hafenmole in Palermo; der Bug wurde schwer beschädigt. Im Internet kursierte am Samstag das Video von der Schiffstaufe: Die gegen den Bug geschleuderte Champagnerflasche zerbrach nicht – was abergläubischen Menschen als schlechtes Vorzeichen gilt.

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