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Bayern: Lange Haare als Passion

Oberammergau bereitet sich auf das biblische Spiel vor – an diesem Sonnabend wird bestimmt, wer Jesus sein darf.

Eigentlich ist die Passionszeit vorbei, doch im oberbayerischen Dorf Oberammergau geht sie gerade erst richtig los. Jesus oder Judas, Römer oder Judäer – das sind dort die Fragen, die Herzen bewegen. Das oberbayerische Passionsspieldorf rüstet sich für die 41. Spiele im kommenden Jahr. Seit Aschermittwoch schon verbietet der traditionelle „Haar- und Barterlass“ den Mitspielern Friseurbesuche, und mit dem Sprießen der Haare und Bärte steigt die Spannung unter den spielwütigen Dörflern, wer beim Passionsspiel eine der Hauptrollen ergattert.

„Halleluja, das ist schwierig“, antwortet Spielleiter Christian Stückl erst mal lachend auf die Frage, wie ein guter Jesus- Darsteller sein muss. Nach kurzem Nachdenken sagt er: „teamfähig, tragfähige Stimme und gute Ausstrahlung“. Und religiös? Er sei doch kein Gesinnungswächter, meint Stückl, aber Interesse an einer der größten Geschichten der Menschheit sei durchaus erwünscht.

Am heutigen Sonnabend geben der Spielleiter und der Oberammergauer Gemeinderat bekannt, wer eine Hauptrolle spielen darf. Gleichzeitig wird mit einem Gottesdienst feierlich das sogenannte Pestgelübde aus dem Jahr 1633 erneuert, das die seit 1634 fast lückenlos alle zehn Jahre aufgeführten Passionsspiele begründet hat. Auch nächstes Jahr werden von der Premiere am 15. Mai bis Oktober zu den 100 Vorstellungen wieder eine halbe Million Besucher aus aller Welt im 5000-Einwohner-Dorf der Gastwirte, Holzschnitzer und Bauern erwartet.

Nachwuchssorgen hat die Oberammergauer Passion keine: Diesmal möchte die Rekordzahl von 2500 Dörflern, darunter allein 450 Kinder, bei Christi Leiden und Sterben mitmachen. Barbara Dobner, 22 und bald zum dritten Mal dabei, lässt fürs Passionsspiel sogar ein Jahr lang ihr BWL- Studium in Kempten sausen. Warum? „Weil’s für uns dazugehört, wir wachsen da schon als Kinder rein“, sagt sie. Der Haarerlass betrifft die Langhaarige nicht, aber „mein Freund schaut grauslich aus“, befindet sie.

Carsten Lück, 39, ist im wirklichen Leben Zimmerermeister und baut nächstes Jahr an der Bühne mit. 2000 stand er als Judas obendrauf. Klar, dass Lück 2010 wieder auf eine der Hauptrollen hofft. Den Jesus? „Auf keinen Fall“, lacht er, der Rummel um seine Judas-Figur, die ein politischer Revoluzzer und kein schnöder Verräter war, hat ihm gereicht. Lück ist evangelisch und kein sehr eifriger Kirchgänger. Beim Friseur fehlt er seit Oktober ganz. Je länger das Haar bis kommendes Jahr sei, desto besser ließe es sich zurückbinden, erläutert der Passionsprofi.Und der Bart? „Kratzt unangenehm. Aber die Hauptdarsteller dürfen Haare und Bart zur Premiere ein wenig stutzen, um nicht ganz wie Catweazle auszusehen.“ Und die Familie? „Meine Jungs werden langsam zu Mädchen“, kommentiert Lück das Aussehen seiner mitspielenden Sprösslinge. Außerhalb sagen die Leute dann schon mal: „Schau, jetzt kommt die Kelly Family.“

Wenn am heutigen Sonnabend die Hauptdarstellerriege feststeht, wird sich die Hochspannung etwas lösen. „Wir sind schließlich das Dorf der Streiter“, amüsiert sich Carsten Lück und spielt damit auf die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen an, die fast so alt sind wie die Spiele selbst. Zuletzt warf der vom konservativen Lager als Modernisierer kritisierte Spielleiter Christian Stückl vor zwei Jahren seinen Job in die Waagschale, um per Bürgerentscheid durchzusetzen, dass die bis zu sechsstündigen Vorstellungen 2010 erstmals bis in den Abend hinein gespielt werden. Um mit Licht und Dunkel effektvoller inszenieren zu können. Und weil es vielen Oberammergauern, die Jobs außerhalb haben, ermöglicht mitzuspielen. Der Oberammergauer Gastwirtssohn hat ganz traditionell Holzschnitzer gelernt, bevor er Theaterprofi wurde. Er ist 47, Intendant des Münchner Volkstheaters und inszeniert Spektakel wie den „Jedermann“ in Salzburg oder die WM-Eröffnung 2006 in München. Seine letzten Passionsspiele waren ein rauschender Erfolg bei Publikum und Kritik: das Textbuch entrümpelt von antijüdischen Ressentiments, die biblischen Charaktere geschärft und frei von romantischer Gefühlsduselei, Musik, monumentale Massenszenen, Bühnenbild und Kostüme – alles grandios runderneuert und restlos ausverkauft. Rastlos plant Christian Stückl neue inszenatorische Veränderungen im 375 Jahre alten frommen Spiel. „Gerade überarbeite ich Pilatus, und den Jesus will ich stärker als unfassbar konsequenten Menschen gestalten.“

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