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Lebensmittelherkunft: Internationale Verbrauchertäuschung

Prosciutto und Mozzarella sind italienische Spezialitäten. Die Schweine und Kühe, die Fleisch und Milch liefern, leben meistens anderswo.

Dass der italienische Staat seine Beteiligung an einer rumänischen Großmolkerei verkauft, das klingt nicht gerade nach einer aufregenden Meldung. Dahinter aber stecken ein Milliardengeschäft und eine internationale Verbrauchertäuschung, der auch deutsche Supermarktkunden jeden Tag zum Opfer fallen.

Lactitalia nämlich – so heißt die Firma in Temesvar – produziert Käse mit so uritalienischen Namen wie „Dolce Vita“, „Toscanella“ oder „Pecorino“. Mit Italien aber haben diese Produkte ansonsten gar nichts zu tun: Die Milch stammt aus Rumänien und Ungarn. Die Käserei, so wettert Italiens Bauernverband Coldiretti, fahre unter falscher Flagge. Der Staat Italien, dem über die Exportbank Simest bisher zwölf Prozent an Lactitalia gehörten, beteilige sich auch noch an dieser Fälscherei – und weil in Rumänien nun einmal billiger gearbeitet werden könne als in Italien, handele es sich um unlauteren Wettbewerb zum Schaden heimischer Erzeuger.

Bei Lactitalia konnten Italiens Bauern wenigstens einmal einhaken. Gegen den noch viel lukrativeren Rest des internationalen Etikettenschwindels sind sie machtlos. Weil italienische Namen gut klingen, modisch sind, für Lifestyle, Urlaub und womöglich die gesunde „Mittelmeer- Diät“ stehen, vermarkten Lebensmittelproduzenten weltweit ihre Ware unter italienischen Bezeichnungen.

Um noch überzeugender zu wirken, bedrucken viele ihre Packungen mit mehr oder weniger fantasievollen italienischen Namen („Condimento Aceto Balsamico“), halten sie im Grün-Weiß-Rot der Landesfahne, und schon fällt niemandem mehr auf, dass der „Monteverdi“-Schnittkäse aus der Gegend um München stammt und der Discounter seinen „Lovilio“-Mozzarella in keinerlei lichtem Süden, sondern im hinteren Bayerischen Wald einkauft.

Italiens Bauernverbände regen sich aber nicht nur über die internationalen Falschmünzer auf, sondern ebenso über die „Agro-Piraten“ in der eigenen Lebensmittelindustrie und über eine EU-Gesetzgebung, die alle möglichen Verschleierungen als legal durchgehen lässt.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Tomatenpüree. Es gehört zu den unersetzlichen Grundstoffen der italienischen Küche – doch die Basis dafür reift heute zum großen Teil unter chinesischer Sonne. Nach dem jüngsten Aufschrei, der deshalb durchs Land ging, beeilte sich der zuständige Industrieverband zu versichern, chinesische Ware werde keineswegs in Italien vertrieben, sondern ins Ausland weitergereicht. „Nach Asien und Afrika“, fügte der Verbandssprecher hinzu – aber dass er auch Deutschland meinte, gilt als sicher. Schließlich finden italienische Produkte nirgendwo so viele Abnehmer wie dort.

153 358 Tonnen eingekochter Tomaten hat Italien im Jahr 2010 importiert, davon 121 000 Tonnen aus China, und drei Viertel davon waren von Anfang an für den weiteren Export bestimmt. Es bedarf in solchen Fällen nach der EU-Gesetzgebung nur „eines letzten substanziellen Verarbeitungsschrittes“, und schon kann die Ware als „made in Italy“ ausgegeben werden. Das Umfüllen vom Schiffscontainer in Konservendosen erfüllt die Bedingung.

Beim Olivenöl liegen die Verhältnisse ähnlich. Vier von fünf Flaschen enthalten nicht das „italienische“ Extra Vergine, das Etikett und Fantasiename versprechen, sondern Mischungen aus aller Herren Länder, vorzugsweise aus Spanien und Tunesien. Das hat der Coldiretti-Verband herausgefunden, der auch die seit 2009 vorgeschriebenen Herkunftsangaben auf den Flaschen – wenn überhaupt – „nur mit dem Mikroskop“ aufspüren konnte. Italien, der weltgrößte Exporteur von Olivenöl, erzeugt auf eigenem Boden nicht einmal die Menge, die es selbst verbraucht. Bei 483 000 Tonnen lag die Produktion 2011; im selben Jahr hat das Land 364 000 Tonnen exportiert. In Tunesien, sagen Experten, lässt sich ein Kilo Öl für zehn Cent herstellen; in Italien liegen die Kosten zwischen vier und fünf Euro. Und nicht umsonst haben spanische Großproduzenten etliche renommierte italienische Marken aufgekauft. Denn Olivenöl, unter spanischen Namen vertrieben, erzielt bei den Endkunden wesentlich geringere Preise als „italienisches“.

In seinem Bericht über die „Agromafia“ spricht das römische Forschungsinstitut Eurispes von einem Paradox: Einerseits hat sich Italien bei der EU so viele „geschützte Ursprungsbezeichnungen“ (g. U.) und „geschützte geografische Angaben“ (g. g. A.) als Qualitätssiegel eintragen lassen wie kein anderes Land – dreimal so viel wie die Bundesrepublik -, bei Massenware andererseits arbeitet dasselbe Italien genauso eifrig an der Verschleierung der wahren Herkunft.

Nach Informationen von Eurispes stammen drei von vier Schweinekeulen, die nachher als der beliebte „Prosciutto crudo, made in Italy“ verkauft werden, aus dem Ausland, 91 Prozent davon aus Chile; in der Schinkenhochburg Modena sind diese Woche gar 90 000 fremdländische Keulen wegen fehlender Deklarierung und wegen Gesundheitsrisiken beschlagnahmt worden. „Italienische“ Pasta basiert zum größten Teil auf amerikanischem Hartweizen (aus Kanada, Mexiko, USA), und selbst für den in Italien hergestellten Mozzarella kommen zwei Drittel der Milch (68 Prozent) aus Frankreich, Deutschland oder Österreich, ohne dass die Kunden davon erführen.

Aber warum sich Sorgen machen? Der italienischen Lebensmittelindustrie geht es bestens; sie verzeichnet Zuwachsraten wie der Weinbau, während der Rest des Landes in der Rezession stecken. Die Einzigen in der Branche, die leiden, sind die Bauern, die dieser Art von Wettbewerb nicht standhalten können. Ihr Sieg im Fall Lactitalia ist nur ein Augenblickserfolg, der in der Summe nichts bedeutet. Die rumänische Lactitalia, die da den italienischen Erzeugern als Niedrigpreiskonkurrenz in die Flanke tritt ... gehört übrigens weiterhin einem Italiener.

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