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Panorama: Liebesbriefe sind heute nicht mehr gefragt

MEXIKO-STADT .In Zeiten von E-mail und sekundenschneller Telekommunikation rund um den Erdball gleichen sie einer aussterbenden Spezies: die sogenannten "Evangelistas", die in Mexiko-Stadt für fremde Leute Briefe verfassen.

MEXIKO-STADT .In Zeiten von E-mail und sekundenschneller Telekommunikation rund um den Erdball gleichen sie einer aussterbenden Spezies: die sogenannten "Evangelistas", die in Mexiko-Stadt für fremde Leute Briefe verfassen.Sie tun es als Beruf - gegen Bezahlung.

"Liebesbriefe, ach Liebesbriefe", seufzt der Mann, während er, über eine alte Schreibmaschine gebeugt, seine Finger über die Tasten wirbeln läßt."Liebesbriefe sind viel seltener geworden, aber wir verfassen sie immer noch.Si Senora, möchten Sie einen?", erkundigt er sich und zieht die Stirn in Falten.Don Pedro ist ein "Evangelista".Er schreibt in aller Öffentlichkeit, auf der Plaza Santo Domingo im kolonialen Herzen von Mexiko-Stadt.

Er und zwei Dutzend Kollegen packen jeden Morgen unter den Kollonaden die Schreibmaschinen aus.Kein Computerscreen blinkt, kein Drucker rattert, keine Maus wird bewegt.Stattdessen spannt Don Pedro ein Blatt in eine schwarze, schwere Schreibmaschine ein, die fast Altertumswert hat."Strom?", fragt ein anderer."Wozu brauchen wir Strom, wir haben doch unsere Finger." Und das genügt Angeles Cardozo durchaus, die mit einem Behördenbrief neben ihm steht und auf eine Antwort wartet.Die 53jährige ist eine treue Kundin.Ob Behördenbrief oder Steuererklärung, alles, was offiziellen Charakter hat, trägt sie zu Don Pedro.

"Ich habe keine Schreibmaschine und manchmal verstehe ich auch nicht so richtig, was ich ausfüllen soll", sagt Angeles Cardozo verlegen."Don Pedro kennt sich viel besser aus." Eine Sicht, die andere Kunden teilen.Sie folgen damit einer Tradition aus dem 17.Jahrhundert."Evangelistas" gibt es seit der Kolonialzeit.Ihren Namen verdanken sie den Geistlichen, die im Vizekönigreich Neu-Spaniens nicht nur das Evangelium predigten, sondern auch im Gegensatz zur großen Mehrheit der Bevölkerung schreiben und lesen konnten.

Lange hatten die "Evangelistas" eine Sonderrolle in der Bevölkerung inne.Sie konnten nicht nur schreiben, sie konnten auch gewandt formulieren.Als Verfasser wehmütiger und leidenschaftlicher Liebesbriefe erwarben sie sich weltweit einen Ruf.Heute verlangen nur noch wenige Kunden einen Liebesbrief.Allein vor dem Valentinstag zieht das Geschäft leicht an.Dann kommen die Herren der alten Schule mit ihrem romantischen Anliegen vorbei - herausgeputzt im besten Anzug und mit blankpolierten Schuhen.

Reich werden die "Evangelistas" jedoch nicht.Denn mehr als ein paar Pesos können sie kaum verlangen von einer Kundschaft, die selbst zur unteren Mittel- oder Arbeiterschicht zählt.So sind es vor allem ältere Herren, die durch die Schreibmaschine vor dem Absturz in die Arbeitslosigkeit bewahrt werden.Denn trotz ihrer Formulierungsgabe würden sie ohne Computerkenntnisse kaum in einem modernen Büro Arbeit finden.Auch beträgt der Analphabetismus nur noch rund 13 Prozent in Mexiko.

Noch finden ausreichend Kunden ihren Weg zu den Kollonaden der Plaza Santo Domingo.Die öffentlichen Schreiber erinnern an längst vergangene Zeiten: an Zeiten, als die Innenstadt noch überwiegend Wohngegend war, und die Paläste aus rotem Vulkangestein noch von herrschaftlichen Familien und nicht von Bankgesellschaften genutzt wurden.

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