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Ernst, aber stabil sei Mandelas Zustand (hier die Zeichnung eines Malers in Johannesburg), verbreitet die Regierung. Die Familie ist bereits an sein Krankenbett geeilt.

© dpa

Nelson Mandelas Zustand weiterhin kritisch: Südafrika bangt um Mandelas Leben

Südafrika bereitet sich auf den Tod des Nationalhelden vor – auch mit Sorge, was das für die Zukunft des Landes bedeutet. Ein Besuch im Township Khayelitsha in Kapstadt zeigt, wie die Bevölkerung mit dem drohenden Ableben des einstigen Freiheitskämpfers umgeht.

Ihnen gehört die Zukunft – eigentlich. Die Vergangenheit interessiert die kleinen schwarzen Südafrikaner nicht, die an diesem sonnigen Wintermorgen in einer Kindertagesstätte in Khayelitsha – dem größten Township Kapstadts – singen, klatschen und lachen. Die Drei- bis Sechsjährigen haben noch nie von dem großen Mann ihres Landes gehört. Sie verstehen nicht, warum die Erwachsenen in diesen Tagen angespannt die Nachrichten verfolgen, warum Südafrika, warum die Welt gebannt nach Pretoria schaut. Dort liegt Nelson Mandela seit dem Wochenende im Krankenhaus. Der 94-jährige Friedensnobelpreisträger und erste schwarze Präsident des Landes wird wegen einer Lungenentzündung intensivmedizinisch behandelt. Wieder einmal.

Südafrikaner sind besorgt, wie es nach Mandelas Tod mit dem ANC weitergeht

Khanyiswa Buyana schaut mit unverkennbarem Stolz über die mehr als 100 Mädels und Jungs, die sie in der von ihr gegründeten privaten, staatlich minimal unterstützen Kindertagesstätte mit ihren Kolleginnen betreut. 13 Jahre war Khanyiswa alt, als Mandela 1990 nach 27 Jahren aus der Haft entlassen wurde. Auch sie hat damals nicht wirklich verstehen können, was dies für ihr Land bedeutete. „Heute weiß ich, dass er es war, der uns überhaupt Chancen eröffnet hat. Er war es, der es möglich machte, dass mein Sohn heute in die Schule gehen kann“, sagt die 35-Jährige. Aus ihrer Enttäuschung über die Regierung des African National Congress (ANC) unter Präsident Jacob Zuma macht sie keinen Hehl. „Schauen Sie sich doch um. Es hat nur Versprechungen gegeben, so gut wie nichts hat sich hier in Khayelitsha verändert.“ Geschätzt 1,5 Millionen Menschen leben allein in diesem Township in ärmlichsten Verhältnissen. Arbeitslosigkeit, Drogen, Gewalt und Korruption gehören zum Alltag. Ob sie wegen Mandela besorgt sei? Khanyiswa zuckt mit den Schultern. Er sei nun mal ein alter, kranker Mann. „Aber meine 85-jährige Großmutter hat Angst, dass der ANC dann endgültig macht, was er will. Wahrscheinlich hat sie recht.“

Ungewisse Zukunft. Khanyiswa Buyana kämpft für ihre Schützlinge in ihrer Kindertagesstätte in Khayelitsha, dem größten Township Kapstadts. Mandela habe es überhaupt erst möglich gemacht, dass ihr Sohn zur Schule gehen kann. Von der jetzigen Regierung ist sie dagegen komplett enttäuscht.
Ungewisse Zukunft. Khanyiswa Buyana kämpft für ihre Schützlinge in ihrer Kindertagesstätte in Khayelitsha, dem größten Township Kapstadts. Mandela habe es überhaupt erst möglich gemacht, dass ihr Sohn zur Schule gehen kann. Von der jetzigen Regierung ist sie dagegen komplett enttäuscht.

© Jessica Michaels

Es ist das vierte Mal, dass Mandela seit Dezember wegen Lungenproblemen in die Klinik muss. Während zuvor immer beschwichtigende Bulletins veröffentlicht wurden, ist es dieses Mal anders. Die Regierung bereitet das Land auf den bevorstehenden Tod Mandelas vor. „Wir müssen der Realität ins Auge schauen. Wir dürfen nur nicht hysterisch werden“, sagte der Sprecher des Präsidialamts, Mac Maharaj. Und: „Lasst uns sein Leben feiern, solange er lebt, und lasst uns sein Leben feiern, wenn er nicht mehr unter uns ist“, sagt der alte Gefährte Mandelas im Kampf gegen das rassistische Apartheid-System. Zuma forderte seine Landsleute auf, „für Mandela und seine Familie in dieser Zeit zu beten“. Mandelas Frau Graça Machel sagte am Wochenende einen Auftritt in London ab und eilte nach Pretoria, ebenso wie andere Familienmitglieder. Am Mittwoch traf auch Tochter Zenani Mandela-Dlamini aus Argentinien in Pretoria ein. Sie ist in Buenos Aires Südafrikas Botschafterin. Das Krankenhaus wird scharf kontrolliert, die Umgebung ist weiträumig abgesperrt. Die Statements der Regierung über den Zustand Mandelas, der sich schon lange aus der aktiven Politik zurückgezogen hat und seinen letzten öffentlichen Auftritt bei der Fußball-WM 2010 hatte, sind zuletzt gleichlautend: ernst, aber stabil.

Gewalt in den Townships könnte nach Mandelas Ableben eskalieren

Die Johannesburger Zeitung „The Star“ berichtete unter Berufung auf vertrauliche Quellen, der logistische Plan der Regierung für den Fall des Todes von Mandela – bekannt als „M Plan“ – sei wieder aktiviert worden. Ursprünglich war der „M Plan“ eine von Mandela Anfang der 50er Jahre entwickelte oppositionelle Vorgehensweise des ANC im Widerstandskampf gegen das Apartheidsregime. Dies beinhaltete unter anderem ein volksnahes, lokales Bildungsangebot. Heute geht es beim „M Plan“ für die Regierung darum, die Kontrolle zu behalten. Beobachter befürchten, dass sich die im Land aufgestaute Frustration in Ausschreitungen vor allem in den Townships entladen könnte. Dies wäre äußerst unangenehm für die Regierung: Es würde unter den Augen der Weltöffentlichkeit geschehen, denn die Beerdigung Mandelas dürfte nicht nur eines der größten Staatsbegräbnisse aller Zeiten, sondern auch ein riesiges internationales Medienereignis werden.

Auch nach dem Tod Mandelas, der wie kaum ein anderer den Begriff Mitmenschlichkeit prägte, wird das Leben in Südafrika weitergehen müssen – zumindest für die meisten Schwarzen. Während immer mehr Weiße sich um ihre Zukunft sorgen, viele gar das Land verlassen – allein 4000, so heißt es, wandern zurzeit monatlich nach Australien aus –, will Khanyiswa Buyana über die Chancen ihrer kleinen Schützlinge nicht spekulieren. Wie viele andere Schwarze hat sie den Glauben an die Regierung komplett verloren. 2009 habe sie für ihre Kindertagesstätte Strom beantragt. Passiert sei nichts. Ebenso wenig gibt es fließend Wasser oder Toiletten, das Dach ist undicht, der Hof steht bei heftigen Regenfällen knöcheltief unter Wasser. All das nimmt Khanyiswa relativ gelassen. Aber etwas macht sie richtig sauer: „Mandela hat eingeführt, dass den Armen das Schulgeld für die Kinder erstattet wird. Heute müssen die Eltern erst Beamte bestechen, wenn sie die finanziellen Hilfen beantragen wollen.“

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