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Faszinierende Einblicke geben die "Queen’s Diamond Jubilee Galleries".

© Haniya Bhatty/Westminister Abbey

Neue Ausstellung in London: Galerie der Ruhe in Westminister Abbey

Westminster Abbey in London hat eine neue Attraktion im Obergeschoss: die "Queen’s Diamond Jubilee Galleries". Ein Besuch.

1,2 Millionen Besucher strömen jährlich in die Londoner Westminster Abbey, vielmehr: Sie strömen nicht, sie stehen erst einmal Schlange. Nach dem Sicherheits-Check geht’s zum Kassenhäuschen, wo der beträchtliche Eintrittspreis von 20 Pfund (umgerechnet etwa 22,50 Euro) pro Erwachsener fällig wird. Der wird, wie die Zahl der Besucher zeigt, anstandslos bezahlt.

Eine Kirche mit Eintrittsgeld? Nun, die Kathedrale St. Paul’s kostet ebenfalls Eintritt, und mit 18 Pfund fast genau so viel. Aber Westminster Abbey ist keine Kathedrale, sondern die große Ausnahme unter den Kirchenbauten der anglikanischen Staatskirche: Sie untersteht dem Königshaus, sie ist gewissermaßen die Staatskapelle des Landes, ausgezeichnet als Krönungsstätte aller Königinnen und Könige seit dem hohen Mittelalter.

Die Ausstellung kostet fünf Pfund zusätzlich

Nun hat Westminster Abbey eine zusätzliche Attraktion – für die nochmals fünf Pfund Aufpreis fällig werden –, nämlich die "Queen’s Diamond Jubilee Galleries". Die nach dem diamantenen Jubiläum, also dem 60. Jahrestag ihrer Thronbesteigung 1952 benannte Ausstellungsgalerie befinden sich an einem ganz ungewohnten Ort: hoch droben auf dem sogenannten Triforium, dem in gotischen Kathedralen üblichen Obergeschoss oberhalb der Seitenschiffe und unter den Fenstern des Mittelschiffs.

Als Ausstellungsflächen wurde der Umgang um den Chor und die beiden Arme des Querschiffs gewählt, weil sie durchgehend und von einem einzigen Zugang aus betretbar sind. Dieser Zugang musste erst geschaffen werden, in Form eines Treppenturmes, der außerhalb des Kirchenbaus im Winkel zwischen Chor und rechtem Seitenschiff nach Entwurf des derzeitigen Kirchenbaumeisters Ptolemy Dean errichtet wurde.

Clou der Galerie sind die Blicke in den Chor

Der Clou der Galerie sind vor allem die herrlichen Blicke durch die gotischen Streben hindurch in den Chor mit seinem delikaten Fußboden aus eingelegten Steinen – gefertigt von aus Rom gerufenen Handwerkern – und der Einblick in das Langhaus der Kirche bis zum Fenster an dessen westlichem Ende. 16 Meter über dem Boden der Kirche befindet sich das Triforium, auf gut der Hälfte der Gesamthöhe des Mittelschiffsgewölbes bis zu dessen Scheitel in 31 Metern.

Der Betrachter schwebt geradezu über dem Gewusel dort unten, das wegen der vielen Besucher als Einbahnstraße um Langhaus und Chor geführt wird, dabei die zahllosen Grabstätten der Kirche streifend. Wer noch in eine seitliche Kapelle ausschert, kann auch das elegante Renaissance-Grabmal Königin Elisabeths I. bewundern, unter deren 45-jähriger Regentschaft England zur Seemacht reifte.

Auch das Königliche Buch – das Liber Regalis – von 1382 ist zu sehen.

© Haniya Bhatty/Westminister Abbey

Oben auf dem Triforium herrscht Ruhe. Es ist erstaunlich, wie wenige Besucher der Westminster Abbey sich den zusätzlichen Ausflug gönnen. Die 173 Stufen des Treppenturmes können es nicht sein, denn – Barrierefreiheit! – natürlich ist in dessen Mitte ein Aufzug vorhanden. Die Blicke in den wunderbar proportionierten, bei seiner Weihe 1269 im Großen und Ganzen fertigen Kirchenbau allein würden den Aufstieg lohnen. Zusätzlich locken die Ausstellungsstücke. Sie sind in vier Kapiteln arrangiert, vom „Bau der Abtei“ über „Andacht und tägliches Leben“, „Die Abtei und die Monarchie“ bis zu „Die Abtei und die nationale Erinnerung“.

Krönungsornate sind zu sehen und viele Wachsfiguren

Krönungsornate sind zu sehen und viele Wachsfiguren, die in früheren Zeiten weniger zur Erinnerung an verblichene Herrscher und Würdenträger gefertigt wurden, als bei deren Begräbnis die Anwesenheit des Verstorbenen zu bezeugen. Dazu kommen Kronjuwelen und Thronsessel, aber auch Schriftstücke wie eine Ausfertigung der Magna Charta, diesem Gründungsdokument moderner Rechtsstaatlichkeit aus dem Jahr 1215.

Ganz wichtig für die wiederkehrende Funktion von Westminster Abbey ist das Liber Regalis, das Königliche Buch aus dem Jahr 1382: Es beschreibt die Krönungszeremonie, die im Wesentlichen bis auf den heutigen Tag verbindlich ist. Krone und Schwert hingegen, die in einer nahen Vitrine zu bestaunen sind, sind Repliken aus dem Jahr 1937 und wurden für die Vorbereitung der Krönung Georgs VI. verwendet. Überhaupt sind die englischen Kronjuwelen nicht gar so alt – sie stammen aus dem Jahr 1660, als die Monarchie nach elfjährigem republikanischen Intermezzo restauriert wurde.

Gut eine Generation später, 1698, wurde Christopher Wren, der Architekt der grandiosen Londoner Kathedrale St. Paul’s, der erste fest installierte Kirchenbaumeister von Westminster. Er plante einen viereckigen Turm über der Vierung, also der Kreuzung von Lang- und Querhaus, mit einer sehr steilen, hölzernen Kirchturmspitze, alles in allem 365 Fuß oder 111 Meter hoch.

Steinerne Dachreiter recken sich dem Besucher entgegen

Zwei Jahre lang wurde am Holzmodell im Maßstab 1:48 gearbeitet, das jetzt auf der Galerie zu bewundern ist; doch Wren nahm vom Bau des Turmes Abstand, als ihm anhand des Modells Bedenken wegen der Statik des mittelalterlichen Kirchenschiffs kamen.

In der Nähe des Holzmodells recken sich einige steinerne Dachreiter in Form von Drachen und Fabeltieren dem Besucher entgegen, angenagt vom Zahn der Zeit respektive dem Smog, der berüchtigten Londoner Luftverschmutzung, die bis zum Verbot von Kohleheizung Mitte des 20. Jahrhunderts alltäglich war. Über den nagelneuen, makellosen Eichenfußboden, der die Triforiums-Galerie überhaupt erst betretbar macht, geht es zurück zum Treppenturm und hinab in den Menschenstrom, um ein besonderes und wohl in keiner anderen Kirche mögliches Erlebnis reicher. Noch kann man es in London in aller Ruhe genießen.

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