zum Hauptinhalt

Russischer Vorstoß: 360 Tage Sommer in der Taiga

Das Vor- und Zurückstellen der Uhren habe negative Folgen für die Gesundheit der meisten Bürger, so Russlands Staatschef Dmitri Medwedew. Deshalb will Russland die Sommerzeit nun auch im Winter behalten.

Um volle zwei Stunden wird die amtliche Zeit der natürlichen in Russland künftig voraus sein. Zu Beginn der Sommerzeit am 27. März, so Präsident Dmitri Medwedew, würden zwischen Kaliningrad im Westen und Kamtschatka im Osten die Uhren letztmalig um eine Stunde vorgestellt. Und Ende Oktober, wenn der Rest der Welt wieder zur Normalzeit übergeht, nicht mehr zurückgestellt.

Zwar legt sich der Kremlherrscher bereits seit Amtsantritt im Mai 2008 für eine ganzjährig geltende Zeit ins Zeug. Das Vor- und Zurückstellen der Uhren, so die Begründung, habe negative Folgen für die Gesundheit der meisten Bürger. Wissenschaftler sehen das ähnlich, hatten aber gehofft, der Kremlchef werde sich bei der Korrektur des Übels dazu aufraffen, endlich einen Beschluss aus der Stalin-Ära zu korrigieren, durch den die Uhren in Russland bereits seit über achtzig Jahren falsch gehen. Angeblich um Energie zu sparen, hatte die Sowjetregierung im Frühjahr 1930 per Dekret die Sommerzeit in Kraft gesetzt, die Uhren im Herbst aber nicht wieder zurückgestellt. Bereits seit damals ist die amtliche Zeit der natürlichen damit um eine ganze Stunde voraus. Durch Medwedews Ukas kommt im Herbst eine weitere dazu.

Die Länge des Lichttages hängt von der geografischen Breite ab. Für lange helle Nächte im Sommer bittet Mutter Natur die meisten Regionen Russlands im Winter mit extrem kurzen Tagen zur Kasse. Sogar in Moskau, das auf dem 55. Breitengrad und damit weit südlich des Polarkreises liegt, wird es im Dezember und im Januar erst kurz vor neun hell und sieben Stunden später schon wieder dunkel. Noch jedenfalls. Nach der neuen Regelung geht die Sonne künftig zwar eine Stunde später unter, aber leider auch eine Stunde später auf. Gegen zehn, wie derzeit in St. Petersburg oder den Regionen im polaren Ural, die seit Jahren unangefochtene statistische Spitzenreiter bei Selbstmorden, Depressionen und Alkoholkonsum sind. Ein später dunkler Morgen, so Psychologen, gehe dem Menschen nun mal sehr viel mehr aufs Gemüt als ein früh hereinbrechender Abend.

Unter energiepolitischen Aspekten rechnet sich der Großfeldversuch auch nicht. Sogar die Duma, wo Kreml und Regierung sich auf eine Zweidrittelmehrheit stützen können, verweigerte entsprechenden Vorlagen daher bereits zweimal die Zustimmung. In Wahrheit geht es Medwedew wohl eher darum, die Zeitzonen einzudampfen. Zentrum und Regionen müssten besser miteinander kommunizieren können, warnte er bereits in seiner ersten Jahresbotschaft. Anderenfalls sei der Fortbestand Russlands in seinen heutigen Grenzen gefährdet. Eben deshalb wurden zwei der einstmals elf Zeitzonen bereits 2010 abgeschafft. Und durch die neue Amtszeit bewegt sich der kleine europäische Teil des Landes auf die eigentliche Landmasse, die in Asien liegt, ab Herbst 2011 immerhin um eine volle Stunde zu.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false