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Am Mittwoch in Istanbul: Ein Schneesturm sorgt für Chaos auf den Straßen.

© dpa

Update

Schneechaos in Istanbul: Demonstranten wollen am Samstag im Minirock auf dem Taksim-Platz stehen

In Istanbul herrscht der Schnee. Flüge fielen aus, Schulen blieben geschlossen. Trotzdem wollen einige Männer am Samstag im Minirock demonstrieren gehen - für die ermordete Studentin Özgecan Aslan, und gegen die Vergewaltigung von Frauen.

Dichtes Schneetreiben hat das öffentliche Leben in der türkischen Millionenmetropole Istanbul in weiten Teilen lahmgelegt. Starts und Landungen auf dem wichtigsten Flughafen - dem Atatürk-Aiport - wurden am Mittwoch ausgesetzt, wie die Nachrichtenagentur DHA meldete. Schulen blieben geschlossen. Bereits am Dienstag war der Fährverkehr über den Bosporus wegen des dichten Schneefalls bei stürmischem Wetter zeitweise gestoppt worden.

Auf den Straßen verursachte der Schnee ein Verkehrschaos. Örtliche Medien berichteten am Mittwoch, seit dem Vortag hätten sich mehr als 840 Verkehrsunfälle im Großraum Istanbul ereignet. Die ganze Stadt mit ihren historischen Monumenten wie der Hagia Sophia und der Blauen Moschee lag am Mittwoch unter einer weißen Schneedecke.

Mord an 20-jähriger Studentin

Ob der Schnee bis Samstag wieder verschwunden sein wird, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon wurde zu einer Demonstration gegen die Vergewaltigung von Frauen aufgerufen. Am Samstag auf dem Taksim-Platz, und zwar im Minirock.

Die versuchte Vergewaltigung und der Mord an einer jungen Frau hatte in der Türkei wütende Proteste ausgelöst. Am Wochenende hatten sich unter anderem in der Hauptstadt Ankara, der Metropole Istanbul, dem westtürkischen Izmir und dem südosttürkischen Gaziantep zahlreiche Menschen versammelt, um gegen Gewalt gegen Frauen zu demonstrieren. Auch am Kottbusser Tor in Berlin hatte es eine Kundgebung gegeben.

Über den Kurznachrichtendienst Twitter war zu den Demonstrationen aufgerufen worden. Unter dem Hashtag #sendeanlat („Erzähl auch du es“) teilen Frauen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung mit.

Ein Aufruf im Internet fordert nun Männer und Frauen in Istanbul zur erneuten Demonstration auf - und zwar im Minirock. Von dem Schneesturm wollen sie sich nicht aufhalten lassen. Die Veranstaltung ist für Samstag, den 21. Februar 15 Uhr angekündigt.

Es gebe reges Interesse an der Kundgebung in der Innenstadt von Istanbul, berichtete die Internetzeitung "Radikal" unter Berufung auf Reaktionen in sozialen Medien. "Wir marschieren in unseren Miniröcken für alle Frauen", hieß es in dem Aufruf zu der Demonstration, der unter anderem über Facebook und Twitter verbreitet wurde.

Mit der Kundgebung soll nicht zuletzt gegen den Mord an der Studentin Özgecan Aslan protestiert werden. Aslan war in der vergangenen Woche im südtürkischen Tarsus nach einem Vergewaltigungsversuch von einem Minibusfahrer getötet worden. Der Fall löste landesweit Entrüstung und eine neue Debatte über die Ursachen der weit verbreiteten Gewalt gegen Frauen in der Türkei aus.

281 Frauen von Männern in der Türkei getötet

Allein im vergangenen Jahr wurden nach einer Zählung der Internetplattform bianet.org 281 Frauen von Männern in der Türkei getötet. In islamisch-konservativen Kreisen wird in der Debatte vorgebracht, dass aufreizende Kleidung von Frauen für die Gewalttaten mitverantwortlich sei. Die geplante Minirock-Demo soll auch eine Antwort auf dieses Argument sein.

Unterdessen berichteten türkische Zeitungen, dass die Vizerektorin eines Gymnasiums im südtürkischen Antalya ihre Schülerinnen mit der Androhung von Gewalt vom Tragen von Miniröcken habe abbringen wollen. Die Pädagogin habe vorgeschlagen, Trupps von männlichen Schülern zu bilden, die Mädchen in Miniröcken belästigen sollten. Die Lehrergewerkschaft Egitim-Sen erstattete Strafanzeige.

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Die 20-jährige Özgecan Aslan war vergangene Woche von einem Minibusfahrer nach einem Vergewaltigungsversuch getötet worden; der Täter verbrannte anschließend ihre Leiche. Nun überbieten sich Politiker gegenseitig mit Forderungen nach harten Strafen, sogar über die Wiedereinführung der Todesstrafe wird diskutiert. Kritiker halten der Regierung jedoch vor, nichts gegen die wirklichen Ursachen der Gewalt gegen Frauen im Land zu unternehmen.

Die Brutalität des Mordes hat die Menschen im ganzen Land aufgeschreckt und erneut eine Diskussion über die Lage der Frauen in der Türkei ausgelöst, was an eine ähnliche Debatte in Indien erinnert. Ein Minibusfahrer hatte vergangene Woche versucht, die 20-jährige Aslan zu vergewaltigen, nachdem alle Fahrgäste ausgestiegen waren.

Als sie sich wehrte, attackierte er sie mit einem Messer und schlug mit einer Eisenstange auf ihren Kopf ein. Mithilfe seines Vaters und eines Freundes verbrannte er die Leiche anschließend. Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren einen Anstieg männlicher Gewalt gegen Frauen. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des unabhängigen Portals „Bianet“ 281 Frauen von Männern ermordet. Im Jahr 2013 waren es 214 Opfer.

„Der Mord an Özgecan hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagt die Demonstrantin Sevinc Uluer in Istanbul. In der Türkei werde Gewalt gegen Frauen oft als Kavaliersdelikt behandelt. „Für viele Männer sind Frauen selbst mitverantwortlich, wenn sie vergewaltigt werden.

Umstrittene Aussagen der Politiker

Sie sagen etwa, dass sich Frauen nicht so aufreizend kleiden sollen, und Richter zeigen dafür noch Verständnis.“ Teil des Problems sei, dass Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP sich immer wieder sexistisch äußerten, sagt Uluer. Dass sowohl Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu den Mord an Aslan scharf verurteilten, ändert für die 49-Jährige nichts am Grundproblem.
In den Fokus sind durch den Mord an der Studentin auch wieder umstrittene Aussagen islamisch-konservativer Politiker geraten, die regelmäßig für Irritationen sorgen.

Im November etwa erklärte der heutige Präsident und einstige AKP-Mitbegründer Erdogan, Frauen und Männer könnten nicht völlig gleichberechtigt sein. Der AKP-Bürgermeister der Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek, forderte vor drei Jahren bei einer Debatte über Abtreibungen, Frauen sollten ein Kind auch nach einer Vergewaltigung zur Welt bringen müssen.

Die Sprecherin der Plattform „Wir werden Morde an Frauen stoppen“, Gülsüm Kar, kritisiert: „Die Politik mischt sich von der Geburt bis zum Tod in das Privatleben der Frauen ein. Doch sie unternimmt zu wenig, um sie zu schützen.“ So gebe es zwar ein Gesetz zum Schutz von Frauen gegen männliche Gewalt, es werde jedoch selten angewendet. Kar fordert außerdem, Morde an Frauen sollten härter bestraft werden als solche an Männern. Der 30-jährige Ozan, der ebenfalls an der Demonstration in Istanbul teilnimmt, sagt, die Türkei sei schon immer eine patriarchalische Gesellschaft gewesen - auch bevor die AKP-Regierung im Jahr 2002 an die Macht kam. Die türkische Gesellschaft habe jedoch genug von der ständigen Diskriminierung.

Eine Aktion auf Twitter unter dem Hashtag #sendeanlat („Erzähl auch du es“) gibt ihm jedoch Hoffnung. Dort berichten Türkinnen als Reaktion auf den Mord an Aslan über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. „Früher hätte niemand so etwas öffentlich zugegeben“, sagt Ozan. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“. (rok, dpa)

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