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Panorama: Seine letzte Salve

Billy Graham, das Maschinengewehr Gottes, startet zum letzten Kreuzzug – und erwartet den Tod „mit Ungeduld“

Die letzten Meter auf der Bühne legt er auf eine Krücke gestützt mit wackligen Beinen zurück. Hinter der Kanzel ist ein hoher Stuhl versteckt, auf den er sich setzen und dabei immer noch aussehen kann, als würde er stehen. Gleich um die Ecke warten in einem klimatisierten Zelt die Krankenschwestern. Auch seine Stimme ist nicht mehr so kräftig, wie sie einst war, doch das weiße Haar ist dicht und die blauen Augen haben wenig an Strahlkraft verloren. Evangelist Billy Graham, der sich selbst einst das „Maschinenengewehr Gottes“ nannte, feuert seine letzten Salven ab. 70000 Klappstühle haben sie im Corona-Park in Queens, New York aufgebaut und keiner bleibt an diesem Abend unbesetzt. Auch die Zusatzflächen, auf denen Graham nur über große Bildschirme zu sehen ist, sind gut besucht. Eine Viertelmillion Menschen will Graham, 86 Jahre alt, mit seinem von ihm angekündigten „letzten Kreuzzug“ an drei Tagen in New York erreichen – und weitere Millionen im Fernsehen. Für die vergangenen 40 Jahre war er der „Papst der Protestanten in Amerika“ („Time Magazine“), kein Prediger erreichte mit seinen Worten mehr Menschen, niemand ist so beliebt und geachtet. Sein Aufstieg begann in dieser Stadt. 1957 kam der Baptistenprediger nach New York City und verbreitete seine Botschaft im Madison Square Garden und im Baseball-Stadion der Yankees. ABC übertrug ihn live für die gesamte Nation. Sechs Wochen sollte der Besuch dauern, weil das Interesse so riesig war, wurden daraus 16.

William Franklin Graham, am 7. November 1918 in Charlotte, North Carolina, als Sohn eines Farmers schottisch-irischer Abstammung geboren, verstand es, die Massenmedien so effektiv zu nutzen wie noch kein Baptistenprediger vor ihm. In seiner langen Laufbahn predigte er zudem live vor 210 Millionen Menschen in 185 Ländern.

Seit Präsident Harry Truman diente Graham jedem amerikanischen Staatsführer als spiritueller Berater, mit einigen betete er abends vor dem Zubettgehen im Schlafanzug. Bei acht Amtseinführungen gab er seinen Segen. Er predigte gegen Liberalismus, Kommunismus und Abtreibung und war ein Fan von Kommunisten-Jäger Joseph McCarthy. Mit Ronald Reagan pflegte er ein enges Verhältnis, obwohl er sich der in den 80er Jahren populären Friedensbewegung anschloss und gegen das Wettrüsten eintrat. Als dann George H. W. Bush 1991 in den Golfkrieg zog, stand Graham an seiner Seite und verkündete, dass man für den Frieden manchmal auch kämpfen müsse. Den bis zu seinem 40. Lebensjahr als dem Alkohol und Drogen frönenden Partygänger bekannten Bush Junior soll er den Weg zu Gott gewiesen haben.

Graham zog um die Welt und begeisterte die Massen selbst in China. Zweimal besuchte er Nordkorea. Seine Botschaft ist im Grunde unpolitisch, er gibt sich bibeltreu, ohne die Ungläubigen zu verdammen. Seinen Anhängern bietet er „Glauben à la carte“ und seinen Erfolg misst er daran, wie viele am Ende seiner Predigten nach vorne treten und sich zu Gott bekennen. Anders als die konservativen Christen in ihren amerikanischen Riesenkirchen, die sich seit der Wiederwahl von Bush Junior als die zentrale moralische Instanz der Nation begreifen, verstand sich Graham nie als Lobbyist in Washington. Heiß diskutierten Themen wie der Homo-Ehe ging er aus dem Weg, von den radikalen Abtreibungsgegnern in Amerika, die auch vor Bombenanschlägen nicht zurückschrecken, distanzierte er sich.

Seine Beliebtheit basiert nicht zuletzt darauf, dass er sich im Gegensatz zu so vielen anderen Predigern keine Skandale erlaubte. Für seine einzige öffentlich bekannte Verfehlung, antisemitische Äußerungen in einem Gespräch mit Präsident Richard Nixon, die damals heimlich aufgezeichnet wurde, entschuldigte er sich. Nach einer Hirnoperation und zahlreichen weiteren gesundheitlichen Problemen ist es ruhig um Graham geworden. Sein Sohn Franklin steht als Nachfolger bereit und der Prediger selbst ist der festen Überzeugung, dass das Ende naht. Er erwarte den Tod mit großer Ungeduld, sagte er und schloss mit einem gewohnt praktischen Rat an seine Fans: „Ich hoffe, ich treffe euch alle im Himmel – und bringt eure Kameras mit.“

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