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Panorama: Star sein tut weh

Marta, 14, wird für eine Band entdeckt. Nach fünf Jahren Drill kommen der Plattenvertrag – und das Ende

Fast wäre alles ganz anders gekommen: Marta könnte heute ein Popstar sein. Dann wäre sie sicher nie mit einer Mitfahrgelegenheit aus dem Internet von Hamburg nach Berlin gefahren. Ihr Leben wäre ein anderes, und sie hätte davon nie ihren Mitfahrerinnen erzählt – in der Dunkelheit eines Januarabends beim einschläfernden Rauschen des Kleinbusses auf der Autobahn.

Ihre Geschichte handelt von vier Mädchen aus Hamburg, die sich als Girlgroup an die Spitze der Charts singen und tanzen wollen. Und die ganz kurz vor dem Ziel scheitern. Ein Traum, wie ihn viele träumen, gerade zum Beispiel die Bewerber bei der vierten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“. Für die meisten platzt die Seifenblase schon nach einem Auftritt – wenn sie von Dieter Bohlen äußerst unhöflich von der Bühne geschickt werden.

Marta steigt ins Auto ein, eins von uns vier Mädchen, die mitfahren. Sie trägt Parka und etwas zu lange Jeans – wie so viele Mädchen um die Zwanzig. Dass sie sehr hübsch ist, fällt erst auf den zweiten Blick auf. Vielleicht liegt das aber auch am strömenden Regen, der alle schnell ins Auto getrieben hat. Marta ist die gesprächigste im Wagen, das wird schon auf dem Weg zur Autobahn klar. Wer bist du und wohin fährst du? Die Standard-Mitfahrgelegenheit-Fragen, und Marta, 22 Jahre alt, plaudert los: „Ich bin froh, dass ich nichts mehr mit dieser oberflächlichen Pop-Welt zu tun habe“, sagt sie. Andererseits ist sie aber auch ein bisschen wehmütig und frustriert, dass sie sich ganz umsonst so viel Mühe gegeben hat. Sei meint, dass bei ihr und ihren drei Mitstreiterinnen mehr dahinter steckte als bei den meisten Möchtegern-Stars der Casting-Shows. Fünf Jahre ihres Lebens haben sie ihrem Traum geopfert.

Alles begann, als Marta 14 war. Obwohl sie sich da nicht mehr ganz sicher ist. „Die Manager und die Plattenfirma haben immer wieder unser Alter gefälscht und uns jünger gemacht, so war die Chance größer, berühmt zu werden.“ Das sei üblich, sagt ihr Entdecker mit Künstlernamen Chazz. Er arbeitet auch für Shakira und Christina Aguilera. Beim Casting wurden Marta, ihre zwei Jahre ältere Schwester und zwei weitere Mädchen zu einer Girlgroup zusammengestellt. Singen und tanzen mussten sie dazu, aber vor allem zählte das Aussehen, sagt Marta. Die vier Mädchen sollten möglichst unterschiedlich sein: eine Philippina, eine Äthiopierin, Marta und ihre Schwester, deren Eltern aus Polen stammen. Sie selbst brünett und gelockt, die Schwester blond und glatt. „Shades of You“ wurde die Mädchengruppe getauft.

Was nach dem Casting für die vier begann, nannte sich in der Sprache der Popindustrie „Artist Developing Programm“, Künstlerentwicklungsprogramm – und bedeutete für sie Drill in einer Art Trainingslager. Fünf Mal pro Woche stand für die jungen Rekruten Gesang, Tanz, Kondition auf dem Stundenplan – und der Grundkurs „Wie werde ich ein Popstar“. Beim Interviewtraining lernten sie, wie sie mit unangenehmen Fragen der Journalisten umgehen sollten. Regelmäßiges Zeitunglesen gehörte auch dazu, das wurde abgefragt. Sie sollten Bescheid wissen in der Welt, „damit wir nicht so dumm rüberkamen“. Modezeitschriften sollten sie mit der Schere in der Hand durchblättern: „Wir mussten Fotos von aktuellen Trends ausschneiden, die uns gefielen und sie in Mappen kleben.“ So sollte jede einen Stil und ein eigenes Profil entwickeln – das kontrollierte der Trainer. „Ja, das ist eine gute Grundbase, um über das Outfit zu sprechen“, sagt Entdecker Chazz dazu. Außerdem Pflicht: Zwei Lieder pro Woche mussten mindestens einstudiert werden – massentauglicher Pop.

An die vier Mädchen glaubte ihr Management, „weil sie das nötige Showmanship mitbrachten“, sagt eine Angestellte der Agentur, die Marta betreute, etwa ihre Kostüme aussuchte. Showmanship, das sei der Wunsch, sich zu präsentieren, und eine unheimliche Freude rüberzubringen. Neben dieser „Grundausbildung“ und der Schule blieb gerade Zeit fürs Essen und Schlafen. Nach einem Jahr standen sie zum ersten Mal auf der Bühne. Sie waren für das Hamburger Sommerfest „Alstervergnügen“ gebucht. Von da an verbrachten sie nur noch wenig Zeit im Klassenzimmer. Manchmal wären sie aus dem Unterricht geholt worden, dann ging es zu Fotoshootings, Auftritten bei Modenschauen und Wohltätigkeitsgalas. Einmal sogar auf die Bühne der Arena Treptow. Sie nahmen ein Lied für einen Haarshampoo-Werbespot auf. Und traten kurz in einem Fernsehfilm eines Privatsenders auf. „Wir waren die ganze Zeit im Geschäft, aber nicht so richtig an der Oberfläche zu sehen“, berichtet Marta. Es klingt routiniert. Und einnehmend. Ist es das, was „Showmanship“ bedeutet? Im Auto sagt niemand mehr etwas, wir schweigen in die Nacht hinein, und Marta erzählt.

Der Karrierehöhepunkt: Nach fünf Jahren Training bot ein großes Label den „Shades of You“einen Plattenvertrag an. „Wir sollten in Amerika das Album aufnehmen und ein Video drehen“, erzählt Marta. Doch dazu hätten alle vier die Schule abbrechen müssen. Für Marta kein Problem, sie war schon 18, sowieso in der 10. Klasse sitzen geblieben. Ihre Eltern fanden gut, dass ihre Tochter Popstar werden will. Anders die Mutter der Jüngsten in der Gruppe. Sie war 17, und sollte weiter zur Schule gehen. Das war das Ende.

Fragt man Martas Entdecker Chazz nach dem Ende der Band, erinnert er sich an Streitereien der Mädchen: „Marta war eine nette Dame, aber sie war sehr zickig“. Die Geschichte mit dem nötigen Schulabbruch kennt er nicht. „Es ging eher darum, dass Marta und ihre Schwester die Stars sein wollten, etwa immer am tollsten auf Fotos aussehen wollten.“ Egal, weshalb. Aber: Alles fiel auseinander, kurz bevor es wirklich begann. „Das war schlimm für uns“, sagt Marta. Andererseits waren da all diese Dinge, die Marta nicht vermisst. Das dauerhafte Gefühl, eine Marionette zu sein, zum Beispiel. „Wir mussten wie die Hostessen ständig mit einem aufgesetzten Krampflächeln herumlaufen.“ Jetzt kommt Marta so richtig in Fahrt. „Wenn ich mal müde oder nicht so gut gelaunt war, hieß es immer gleich: Die ist eingebildet. Und ich wurde nicht wieder gebucht. Wir waren nichts anderes als Produkte.“ Wenn sie erzählt, wundert man sich, wie spät ihr solche Gedanken kamen. Auf Veranstaltungen kam sie sich vor wie ein „liebreizendes Püppchen“, das wichtige Männer umgarnen sollte – zum Beispiel um einen Tourbus zu bekommen. Immer wieder hätte es sexistische Anspielungen gegeben, dabei waren die Mädchen erst 14, 15 Jahre alt. Fragt man in ihrer ehemaligen Agentur, ob diese Vorwürfe stimmen, heißt es: nun, es könnte sein, dass sich Marta so gefühlt hat, aber niemals wäre sie dazu angeleitet worden. Inzwischen hat Marta Abitur gemacht und studiert an der Hamburger Uni Musikwissenschaft. Doch sie vermisst die Bühne. „Ich bin immer irgendwo aufgetreten, seit ich sechs war.“ Vor der „Shades of You“-Zeit hat sie in Kinder-Musicals mitgespielt. Deshalb bewirbt sie sich jetzt an der Universität der Künste in Berlin für den Diplom-Studiengang Musical-Show.

Das Auto hält in Berlin Mitte. Marta holt ihre Tasche aus dem Kofferraum. Sie will sich hier eine Wohnung suchen. Ihr Selbstbewusstsein hat scheinbar nicht gelitten. Zweifel, dass es mit der Aufnahmeprüfung für den Musicalstudiengang nicht klappt, hat sie nicht. Sie trainiert viel. Und zur Not kann sie es mit einem liebreizenden Lächeln versuchen.

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