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Um den zweijährigen Julen aus dem Bohrloch zu befreien, wurden Kräne und Stahlrohre zur Unfallstelle gebracht.

© Jon Nazca/Reuters

Suche nach Julen in Spanien: Die Hoffnung weicht jetzt blanker Wut

Die Rettungsarbeiten für den zweijährigen Julen verzögern sich immer wieder. Seine Eltern können nach zehn Tagen nur noch auf ein Wunder hoffen.

Die Stahlverkleidung für den Rettungsschacht baumelt am Mittwochnachmittag immer noch an dem riesigen Kran. Längst hätten die tonnenschweren Rohre in den Berg nahe der südspanischen Ortschaft Totalán versenkt werden sollen. Dort wird in mehr als 70 Meter Tiefe ein zweijähriger Junge vermutet. Das Kind namens Julen war bereits am 13. Januar in ein schmales Bohrloch abgerutscht – vor mehr als zehn Tagen. Seitdem sind bis zu 300 Helfer Tag und Nacht im Einsatz. Doch schon wieder gibt es Verzögerungen. Kleinlaut mussten die Verantwortlichen am Abend zuvor einräumen, dass die Bohrung nicht exakt vertikal verlief. Stundenlang wurde nachgebessert.

Seit zehn Tagen prasseln die schlechten Nachrichten auf die Eltern des Kindes ein. Jede neue Hiobsbotschaft ist ein stechender Schmerz, der ihnen einen Stück Lebensmut raubt. 40.000 Tonnen Erde wurden auf dem Berg schon bewegt in den vergangenen zehn Tagen, aber Julen wurde nicht gefunden. Vor einer Woche noch hatte der Vater zaghaft die Hoffnung geäußert, dass das Kind einen Schutzengel habe. Damals hieß es, binnen 24 bis 48 Stunden könnte Julen erreicht werden. Das ist jetzt schon so lange her, dass die Hoffnung der Angehörigen sich zu blanker Wut gewandelt hat.

Jeden Morgen werden die Eltern in ihrem Haus persönlich über den Fortgang der Rettung informiert. Am Dienstagmorgen bei einem dieser Briefings hatte der Vater des Jungen, José Ribello, die anwesenden Politiker und Beamten, die verantwortlich sind für die Bergung, aus Verzweiflung und Zorn lautstark angebrüllt, wie es aus Kreisen der Familie heißt. Offiziell lassen die Sprecher der Rettungsaktion mitteilen: „Die Eltern vertrauen den Arbeiten.“ Fakt ist aber, dass die Chancen nur noch verschwindend gering sind, das Kind lebendig aus dem Berg zu holen. Julen leidet zudem an Asthma, wie ein Freund des Vaters bestätigt. Kritik müssen die Verantwortlichen auch von spanischen Ingenieuren und Architekten vor Ort einstecken. Der leitende Ingenieur sei nicht für diese Rettung geeignet, weil ihm die praktische Erfahrung fehle. Auf konkrete Hilfsangebote von Experten reagierten die Verantwortlichen in mehreren Fällen nicht.

Es gibt geeignetere Maschinen, sagt ein deutscher Maschinenbauer

Der deutsche Maschinenbauer Philip Porten verfolgt die Rettung indes aus der Ferne. Er ist Projektleiter bei einem deutschen Hersteller für die Entwicklung genau solcher Bohrgeräte, wie sie in Totalán im Einsatz sind. „Es gibt Maschinen, die geeigneter sind als die Mait HR 260, die dort verwendet wird. Aber natürlich ist das immer auch eine Frage der schnellen Verfügbarkeit“, sagt Porten.

Die Zahl leistungsfähigerer Geräte, die wesentlich schneller und präziser bohren als das Modell vor Ort, schätzt er auf 300 bis 400 „in ganz Europa von Spanien bis zur Ukraine“. Abbau, Verladung, Transport und Wiederaufbau solcher Maschinen, die 120 Tonnen oder mehr wiegen, hätten mit einem eingespielten Team mindestens drei Tage verschlungen, bei längeren Distanzen entsprechend mehr. Das jetzt verwendete Gerät war allerdings auch erst fünf Tage nach dem Sturz des Jungen am Unglücksort. Dabei wird zurzeit nur zehn Autostunden von Totalán entfernt eine dieser leistungsstarken Maschinen verwendet, wie ein Bauunternehmer bestätigt. Angefordert wurde sie nicht. Die Abweichung bei der Bohrung von der vertikalen Linie, die die jüngste Verzögerung am Mittwoch begründete, hätte damit verhindert werden können. Alternativ wäre auch der Einsatz von sogenannten Verrohrungsmaschinen möglich gewesen, die gleichzeitig mit einem Bohrgerät die Bohrung sowie die Metallverkleidung des Tunnels hätten herstellen können.

Die vertanen Möglichkeiten belasten die Eltern zunehmend

Den Eltern bleiben all diese vertanen Möglichkeiten nicht verborgen, sie belasten sie zunehmend. Francisca Ruíz ist eine der Psychologinnen, die in Zweier- Teams rund um die Uhr bei der Familie sind, genauso wie einige Freunde und Angehörige. Ruíz empfängt Gäste in ihrem Büro im Zentrum der 20 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Málaga. „Die ganze Situation ist sehr ungewiss. Es geht darum, die Emotionen auf angemessene Art zu kanalisieren. Wir versuchen, die Emotionen der Eltern herunterzuschrauben“, sagt sie.

Es ist auch für die Psychologinnen ein hartes Terrain. Auch sie wissen nicht, ob das Kind noch lebt. Machen sie den Eltern überhaupt noch Hoffnung, oder bereitet man sie auf den möglichen Tod des Jungen vor? „Wir arbeiten mit den Informationen, die uns die Techniker geben. Die leiten wir weiter an die Eltern und helfen ihnen, mit der Realität umzugehen.“ Mit dem möglichen Tod des Kindes würde eine neue Phase der Betreuung beginnen. Doch so weit will Ruíz momentan noch nicht denken.

Marcel Grzanna

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