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Wort des Jahres: Ja, darf man denn nicht mal mehr Flüchtling sagen?

Es steckt ein abschätziger Unterton im diesjährigen Wort des Jahres: Flüchtling. Klingt wie "Eindringling". Oder "Schreiberling". Warum einigen wir uns nicht auf "Geflüchtete"? Eine Glosse.

Eine Glosse von Lars von Törne

Wort des Jahres? Flüchtlinge. Klingt komisch, ist aber so. Anzahl der Erwähnungen in der deutschen Öffentlichkeit, Bedeutung des Themas für die nationale und internationale Politik – alles klar. Und worüber haben die Leute im ablaufenden Jahr am meisten und kontroversesten geredet? Über Flüchtlinge.

Trotzdem wirkt das, was die Gesellschaft für Deutsche Sprache am Freitag verkündet hat, seltsam lakonisch. Denn gesucht war ja nicht das Thema des Jahres, sondern das Wort, das in aller Regel zum Thema frisch erfunden worden war – Sachen wie „Besserwessi“ oder „Wutbürger“; im vergangenen Jahr siegte die extrem kurzlebige und nicht wiederverwendbare „Lichtgrenze“.

Daran erkennen wir allerdings auch, wie relativ ruhig die Zeiten in Deutschland waren, bevor sich Syrien auf den Weg zu uns machte. Aber die Jury hatte natürlich noch einen Hintergedanken, der schon ein wenig an das stets sozialpädagogisch unterfütterte „Unwort des Jahres“ erinnert: Sie weist darauf hin, dass das Wort „Flüchtling“ einen abschätzigen Unterton mit sich herumschleppe.

Ja, darf man denn jetzt nicht einmal mehr Flüchtling sagen? Die Argumentation geht so, und sie ist kaum zu widerlegen: Die Nachsilbe -ling schleppt in Wörtern wie „Eindringling“ oder „Schreiberling“ eine negative Bedeutung mit, oder doch zumindest eine passive Komponente wie in „Prüfling“ oder „Schützling“. Sie kann sogar ein positiv besetztes Wort wie „schön“ ins Negative kippen: Schönling.

Bitte: Es kann ja jeder zu den Leuten sagen, was er will. Aber es schadet sicher nicht, mal drüber nachzudenken, zumal eine perfekt passende, unproblematische Alternative verfügbar wäre: Geflüchtete. Sicher geht es keinem der Betreffenden signifikant besser, wenn wir dieses Wort verwenden – aber schlechter ganz sicher auch nicht.

Eine unnütze Debatte? Zu subtil eventuell für manchen, der in Internetforen seine Meinung gesagt hat, zum Beispiel so: „Man sollte diesen Menschen, von denen ein Großteil illegale Einwanderer aufgrund von wirtschaftlichen Missständen in ihren Heimatländern sind, nicht auch noch die Bühne des Wortes 2015 bieten. Da könnten sich noch mehr eingeladen fühlen.“

Muss man erst mal drauf kommen. Eine Familie, die beim Internetsurfen im Bombenschutt von Latakia auf das deutsche „Wort des Jahres“ stößt und dann beglückt beschließt, auch rasch loszuflüchten? Ziemlich irre Idee.

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