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Nah an der Küste: Die Costa Concordia sank wenige hundert Meter vor dem Hafeneingang.

© Luca Zennaro/dpa

Zehn Jahre Havarie der Costa Concordia: Die Bewohner der Insel Giglio können die Schiffskatastrophe nicht vergessen

32 Menschen kamen ums Leben, als das Kreuzfahrtschiff 2012 sank. Das Verhalten des Kapitäns schockierte besonders - er ließ Passagiere zurück und rettete sich.

„Wir sind in jener Nacht in einem Albtraum aufgewacht, in einer Art Apokalypse“, erinnert sich Sergio Ortelli, der schon damals Bürgermeister von Giglio war und es auch heute noch ist. Wenige hundert Meter vor dem Hafeneingang lag unvermittelt ein Schiff monströsen Ausmaßes, das sich immer weiter zur Seite neigte.

Man hörte verzweifelte Schreie, Rettungsschiffe fuhren zwischen der Hafenmole und der Costa Concordia hin und her, bis schließlich mehr als 4000 Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der kleinen Insel an Land und in Sicherheit gebracht waren. 32 Menschen überlebten die Havarie am 13. Januar 2012 nicht: Sie ertranken in ihren Kabinen oder beim Versuch, das nahe Ufer im eisigen Wasser schwimmend zu erreichen.

Zweieinhalb Jahre lang lag die Costa Concordia wie ein riesiger gestrandeter Wal vor dem Hafen, bis sie im Juli 2014 nach der größten und teuersten Bergungsaktion in der Geschichte der Seefahrt wieder aufgerichtet und nach Genua zur Verschrottung abgeschleppt wurde. „Mit dem Verschwinden des Wracks haben wir zu unserer Ruhe, zu unserem Frieden und zu unserer Lebensweise zurückgefunden“, sagt Bürgermeister Ortelli.

Äußerlich erinnere schon lange nichts mehr an die Costa Concordia: Das Meer sei sauber wie eh und je, sogar die Installationen am Meeresgrund, die für die Schiffsbergung notwendig waren, sind wieder abmontiert worden. „Aber in unseren Herzen ist diese Tragödie natürlich lebendig geblieben. Und das Andenken an die Toten soll uns helfen, ähnliche Fehler nie mehr wieder zu machen“, betont der Bürgermeister.

„Wir waren von dem, was Schettino gemacht hat, völlig erschüttert“

Die Fehler bestanden in erster Linie im Totalversagen von Kapitän Francesco Schettino – auch in moralischer Hinsicht. „Wir waren von dem, was Schettino gemacht hat, völlig erschüttert und wir sind es bis heute“, betont der ehemalige Seemann Giovanni Brizzi. Denn fast alle Inselbewohner lebten ja von und mit dem Meer: „Wir sind Fischer, Matrosen, Besatzung der Fährschiffe, Hafenarbeiter, Kapitäne“, sagte der 70-Jährige, der selber fünf Jahrzehnte zur See gefahren ist.

Eigentlich sei ein Manöver, wie es Schettino durchgeführt habe, „unvorstellbar für alle von uns“ gewesen: Mit einem 290 Meter langen und 120 000 Tonnen schweren Schiff mit 40 km/h bis auf wenige Meter an eine Felsenküste heranzufahren, sei „völlig absurd“. Das Schiff war von dem Felsen auf der linken Seite auf einer Länge von 70 Metern aufgeschlitzt worden, ähnlich wie 100 Jahre zuvor die Titanic vom Eisberg.

Es sei nur „der Gnade Gottes zu verdanken“ gewesen, dass es nicht zu einer ähnlichen Tragödie gekommen sei: „Hätte der Wind die nach dem Zusammenstoß mit dem Felsen manövrierunfähige Costa Concordia statt in Richtung Insel ins Meer hinaus getrieben, dann wären wahrscheinlich hunderte, wenn nicht tausende Menschen ums Leben gekommen“, betont Brizzi. „Weil das Schiff vor dem Hafeneingang im untiefen Wasser auf Grund gelaufen ist, legte es sich zwar zur Seite, aber es ging nicht unter. Für die Evakuierung der Passagiere und der Besatzung war das entscheidend.“

"Berlusconi der Sieben Weltmeere": Kapitän Francesco Schettino.
"Berlusconi der Sieben Weltmeere": Kapitän Francesco Schettino.

© Maurizio Degl'innocenti/dpa

Doch das Schlimmste für die Inselbewohner war nicht das verbotene Manöver des Kommandanten gewesen, sondern dessen Feigheit danach: Schettino hatte sich mit einem der ersten Rettungsschiffe in Sicherheit gebracht, statt auf dem Schiff zu bleiben und die Evakuierung der Passagiere und Besatzungsmitglieder zu organisieren.

Er ist unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 32 Fällen, fahrlässigen Schiffbruchs und Falschaussagen zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt worden und sitzt seine Strafe im Römer Rebibbia-Gefängnis ab. Der Schiffbruch der Costa Concordia und das Verhalten Schettinos hatten das ganze Land verstört: Die Havarie wurde in Italien in einem politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeitpunkt als nationale Schmach empfunden.

Das Wrack der Costa Concordia als Metapher eines gestrandeten Landes

Zur Erinnerung: Als Schettino sein Schiff auf die Klippe steuerte, befand sich Italien am Rand der Zahlungsunfähigkeit. Nur zwei Monate zuvor hatte der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano den völlig diskreditierten Premier Silvio Berlusconi zum Rücktritt drängen und durch den Wirtschaftsprofessor und ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti ersetzen müssen, um das Schlimmste abzuwenden.

Das Wrack der Costa Concordia war zur Metapher eines finanziell, wirtschaftlich und moralisch gestrandeten Landes geworden - und Schettino im Volksmund zum „Berlusconi der Sieben Weltmeere“. Das positive Pendant zu Staatspräsident Napolitano im Drama der Havarie war Gregorio de Falco, damals der für Giglio zuständige Offizier der Küstenwache in Livorno. Er hatte Schettino in der Unglücksnacht über Funk ebenso eindringlich wie vergeblich aufgefordert, aufs Schiff zurückzukehren und den Passagieren beizustehen – mit dem Satz: „Kehren Sie zurück an Bord, sie Scheißkerl!“

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Nun gedenkt Giglio zum zehnten Mal der 32 Toten der Costa Concordia – während die beiden damaligen Protagonisten der Schmach - Schettino und Berlusconi - weiterhin wie ein Schatten über der Insel und über Italien liegen. Schettino hat in Interviews unlängst durchblicken lassen, dass er sich weiterhin als Sündenbock sieht, der als Einziger für die Havarie habe büßen müssen.

Comeback von Berlusconi?

„Man wollte im Prozess einen Schuldigen finden, nicht die Wahrheit“, sagte Schettino. Silvio Berlusconi wiederum macht seit Wochen Schlagzeilen als Kandidat für das höchste Amt im Staat: Der 85-Jährige möchte sich in zwei Wochen zum Nachfolger von Staatspräsident Sergio Mattarella wählen lassen. Treibt das Schiff Italien, das derzeit von Kapitän Mario Draghi gesteuert wird, erneut auf eine Felsenklippe zu?

Das fragt man sich auf Giglio auch. Doch die Erleichterung, wieder zur Normalität zurückgekehrt zu sein, überwiegt. Der Schiffbruch der Costa Concordia habe, bei allem Leid und der Trauer um die Toten, auch ihre positiven Seiten gehabt, betont Ferdinando Pazzaglia, Hafenarbeiter aus dem benachbarten Orbetello auf dem Festland.

Der heute 45-Jährige hatte wenige Tage nach der Havarie bei der Bergungsfirma angeheuert, die zunächst die Habseligkeiten der Passagiere aus dem Schiff holte. Danach kam das Abpumpen der über 2 Millionen Liter Treibstoff aus dem Wrack, schließlich das Wiederaufrichten und Abschleppen. „Zweieinhalb Jahre lang hatte ich eine interessante und schöne Arbeit“, sagt Pazzaglia.

Vor allem aber: „Nach einem Jahr habe ich auf Giglio die Liebe meines Lebens gefunden.“ Pazzaglia hat geheiratet und ist auf der Insel geblieben. Und er ist nicht der Einzige: „Auf der Baustelle zur Bergung der Costa Concordia waren hunderte Arbeiter, Ingenieure und Spezialisten aus der ganzen Welt beschäftigt.“ Etliche von ihnen hätten auf Giglio eine Partnerin gefunden. „Es sind viele Kinder daraus entstanden.“

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