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Julie Chance und Jon Dark sind das Sythiepop-Duo Evvol.

© Doris Spiekermann-Klaas

Synthiepop-Duo Evvol bei Yo! Sissy: Aus der Pfütze in die Ewigkeit

Am Wochenende steigt das queere Yo! Sissy-Festival. Mit dabei ist das Berliner Synthiepop-Duo Evvol, dessen düster-geheimnisvolles Debütalbum jetzt erscheint.

Schwarze Hosen, schwarze Hemden, schwarze Haare, schwarze Brillen, dazu jede Menge Tätowierungen: Das Frauenduo Evvol liebt es dunkel. Im Styling, in der Musik und sogar im Namen: Evvol, das sind Jon Dark (!) und Julie Chance. Als wir uns in einem ihrer Lieblingscafés in Neukölln, der „Melbourne Canteen“, treffen, ist aber schnell klar, dass die beiden Musikerinnen umgängliche Gesprächspartnerinnen mit ziemlich unterschiedlichen Charakteren sind – eine Australierin und eine Irin. „Wir haben unterschiedliche Talente. Ich bin auf eine Musikschule gegangen und kann mit meiner klassischen Ausbildung etliche Instrumente spielen, komponieren und arrangieren“, sagt Jon Dark, die ursprünglich aus Sydney kommt. „Julie ist dagegen eine echte Künstlerin, sie hat diese Verbindung zum Zeitgeist, sie schreibt tolle Lyrics und singt großartig.“

Gesagt wird all dies auf Englisch, denn Julie und Jon, beide knapp über 30, wohnen zwar schon seit einigen Jahren in Berlin und haben auch eine Sprachenschule besucht, aber – und hier spricht Jon Dark das einzige Mal nicht englisch – „unser Deutsch ist scheiße“. Die Queer-Community, zu der Evvol gehören, sei sehr international, die gemeinsame Sprache Englisch. „Es ist sehr schwer, in unserer Szene das Deutsch zu verbessern“, sagt Julie Chance. Kennengelernt haben sich die beiden übrigens in Paris, auf einer Party, wo außer ihnen niemand Englisch sprach.

Evvol mischen Dreampop, New Wave und etwas House

Ende der Woche erscheint „Eternalism“, das Debütalbum von Evvol. Neun Tracks, die ebenso düster und geheimnisvoll, wie ihre Schöpferinnen sich geben, im Raum schweben. Elektronische Musik, die manchmal bis in die achtziger oder gar siebziger Jahre weist. New Yorker No Wave, britischer New Wave, Dreampop à la Cocteau Twins, auch mal ein Anflug von House und Techno – Evvol fangen all diese verschiedenen Strömungen ein und formen daraus einen eigenen Sound zwischen experimentell und eingängig. „Wie allen Musikern fällt es auch uns schwer, die eigene Musik zu beschreiben und zu kategorisieren. Wir arbeiten viel mit Synthesizern, wir sind immer auch ein bisschen launisch und sicherlich nicht gut gelaunt. Dunkler Synthiepop, das ist wohl noch das treffendste Label für unsere Musik“, sagt Julie Chance.

Bei Evvol, der Name sagt es schon, geht es um Evolution, nicht Revolution. Die Band und ihr Sound entwickeln sich. Nach wenigen kleinen Auftritten stehen jetzt auch größere Gigs an: diese Woche beim dreitägigen queeren Yo! Sissy Festival, wo unter anderem auch Black Cracker, JD Samson und Justus Köhncke auftreten, sowie im August beim Pop-Kultur-Festival im Berghain. Der Name des Duos ist auch eine Verbeugung vor einer Band, die zwar soundmäßig keine Vorbildfunktion für die beiden hat, aber ein wichtiger Referenzpunkt ist: Sonic Youth. „Evol“ hieß das dritte, 1986 veröffentlichte Album der New Yorker Noise-Spezialisten. Julie Chance und Jon Dark hatten schon Kool Thing, ihr erstes gemeinsames Projekt, nach einem Sonic-Youth-Song benannt. Denn so wie einst Kim Gordon und Thurston Moore bei Sonic Youth sind Julie Chance und Jon Dark nicht nur ein musikalisches, sondern ein wirkliches Paar: „Beziehung, Liebe, Erlösung – es geht in unseren Songs um existenzielle Fragen, um unsere Position im Universum. Und zwar in unserem ganz persönlichen kleinen Universum wie auch im großen Ganzen“, erklärt Chance.

Auch nicht ganz unwichtig: Die beiden waren über ein Jahr getrennt, bevor sie vor gar nicht so langer Zeit wieder zusammenkamen. Deshalb haben sie den schon einigermaßen etablierten Namen Kool Thing abgelegt und als Evvol neu angefangen: „Wir hatten alles abgebrochen – die Band, die Beziehung“, so Jon Dark. „Und als wir wieder zusammenkamen, fühlte sich alles anders an: die Musik, wie wir miteinander umgingen, wie wir die Musik aufführen wollten. Der alte Name passte da einfach nicht mehr.“

Julie Chance und Jon Dark sind Teil der großen queeren Berliner Szene. Als Evvol und auch als DJs, sie legen zusammen und getrennt voneinander in Clubs wie der Wilden Renate, dem Schwuz, dem Beate Uwe, dem Tresor auf. Ein queeres Moment lässt sich trotzdem nicht automatisch in ihren Songs ausmachen: „Wir haben uns nicht vorgenommen, Musik zu machen, die man als queere Musik erkennen oder bezeichnen könnte. Klar, wir sind zusammen und es geht in unserer Musik auch um Beziehungen und das Zusammenleben. Also haben wir da praktisch von Anfang an eine queere Ausgangsposition. Aber nicht in dem Sinne, dass wir das wie eine politische Aussage vor uns hertragen“, sagt Julie Chance.

"Wir reisen zusammen, wir schreiben zusammen"

Noch einmal Sonic Youth: Kim Gordon und Thurston Moore haben sich irgendwann getrennt, mit ihrer Band war es daraufhin vorbei. Evvol haben wieder zusammengefunden, aber die Frage bleibt, ob es eher von Vor- oder von Nachteil ist, als Paar zusammen in einer Band zu sein. Beide sind sich einig, dass sie mit niemand anderem Musik machen wollen. Aber natürlich sei es manchmal schon sehr stressig: „Das war auch der Grund, warum wir uns vorübergehend getrennt hatten, wir kamen damit nicht klar. Aber jetzt sehen wir die Vorteile: Wir reisen zusammen, wir schreiben zusammen“, sagt Jon Dark, die allerdings auch zugibt, dass man sich manchmal durchaus auf die Nerven gehe. „Das ganz normale Leben kommt einem dann in die Quere.“

Ein Teil dieses ganz normalen Lebens findet für die beiden in Neukölln statt. Hier ist auch ihr Studio, ihr – endlich einmal! – vernünftiges Studio. Zuvor erlebten sie das volle Programm, das „alle Berlin- Erwartungen erfüllt“ habe: vollgesprühte Wänden, Pfützen im Gang, bei denen man gar nicht wissen wollte, wo die herkamen, Studios ohne Toiletten und ohne Heizung, richtig kalt im Winter. Das sei zwar alles gar nicht weiter schlimm, aber glücklicherweise erst einmal vorbei. Es scheint ohnehin ganz gut zu laufen: Beide können vom Musikmachen leben – wenn man denn den privaten Musikunterricht und den Job als Dozentin für angehende Produzenten mitzählt, mit denen Jon Dark Geld verdient. Die Australierin sagt: „Wir haben uns bisher so durchgeschleppt, aber es wird besser und besser.“

In ihrem Neuköllner Studio entstehen die Tracks

In ihrem Studio, das sich dort befindet, wo Neukölln langsam zu Tempelhof wird, setzen sich die beiden zusammen, wenn sie neue Songs aufnehmen wollen. Es startet mit einer mehr oder weniger konkreten Idee, dann spielen sie mit den Synthesizern rum oder lassen sich von anderer Musik inspirieren, zum Beispiel Filmsoundtracks. Um das grobe Gerüst werden die Lyrics gebaut – und langsam reifen die Songs heran. Evolve!

Kann man eigentlich Berlin in ihrer Musik hören? Die Stadt sei – wie auch das Queere – vielleicht nicht direkt erkennbar, beeinflusse die Songs aber durchaus. Julie Chance sagt: „Wir sind beide besessen von der unglaublichen Geschichte Berlins, von den Weltkriegen, von der Stasi, der Mauer. Wir haben diese ganzen Dokumentationen gesehen, es gibt hier so viel Kultur, so viel Unruhe, die Stadt ist lebendig und ungehorsam!“ Natürlich sei das ein Einfluss. Und da gibt es noch einiges zu entdecken – Entwicklungspotenzial für Evvol.

„Eternalism“ erscheint am 24. Juli bei Indigo. Konzert: 26. Juli, 22.30 Uhr, SO 36

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