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Zurück zur Kommune. Die 29-jährige Autorin, Feministin und Netzaktivistin Svenja Gräfen.

© Constantin Timm/Ullstein Verlag

"Freiraum" von Svenja Gräfen: Die Träume der Millennials

Das paradoxe Verhältnis von innerer und äußerer Freiheit: Svenja Gräfen erzählt in „Freiraum“ von den Illusionen der Generation Y.

Die Großstadt ist out, das Landleben ist in: Was in der gesellschaftlichen Wirklichkeit eine Konsequenz von Wohnungsnot und Mietwahnsinn ist, wird zunehmend auch von der Gegenwartsliteratur reflektiert. Erfolgreichstes Beispiel ist Juli Zehs Bestseller „Unterleuten“, der gleich das Grundmuster lieferte: Meist sind es überzeugte Großstädter, die aufgrund ökonomischer Zwangslagen auf die urbane Vielfalt verzichten und sich nun im Soziotop Dorf zurechtzufinden versuchen.

Auch Svenja Gräfens neuer Roman „Freiraum“ folgt diesem Muster, kombiniert es aber geschickt mit einem zweiten Thema: der Suche nach alternativen Wohn- und Lebensformen. Hauptfiguren sind Vela und Maren, ein lesbisches Paar Anfang dreißig, das zwar das Nachtleben genießt, aber genug hat von schimmligen Tapeten, streikender Heizung und einem Vermieter, der sich nur meldet, wenn er noch mehr aus seinem Eigentum herausholen will. Zumal die beiden auch ihren Kinderwunsch verwirklichen wollen, via Samenspende aus Dänemark.

Das Paar hat Glück, wie es scheint: In einem Wohnprojekt außerhalb der Stadt ist überraschend etwas frei geworden. Ein Haus mit viel Platz und einem Garten. Hier wohnt auch schon Marens Schwester Jo mit ihrem Freund und ihrer kleinen Tochter Eli. Nebst sympathisch bunten Mitbewohnern, die gern mal die Kinder hüten. Dazu im nahen Ort ein großer Hofladen und gleich um die Ecke Wiese und Wald – was will man mehr?

Gräfens Debütroman 2017 hieß "Das Rauschen in unseren Köpfen"

„Die Idee hier ist“, formuliert Projektgründer Theo, der das Haus geerbt hat, „tatsächlich eine Alternative zu schaffen. Freiraum. Einen Ort, an dem es um mehr geht als um so ein Nebeneinanderher. Das heißt, sich umeinander zu kümmern, sich zu unterstützen. Und in erster Linie auch ein Ort, an dem man überhaupt wohnen kann.“ Das „Konzept“ einer „Gemeinschaft“, ja „Kommune“ erscheint so verführerisch, dass die zum Gartenfest eingeladenen Nachbarn einfach nur begeistert sind. „Das löst doch auch viele Probleme, so was“, schwärmt eine Besucherin.

Gräfens Roman lässt offen, ob solche Probleme in dieser „Oase“ inmitten des „Dreckskapitalismus“ tatsächlich existieren – oder nicht primär nur im Kopf von Vela, aus deren Perspektive „Freiraum“ erzählt ist. Im Unterschied zu ihrer Freundin, der notorisch optimistischen, begeisterungsfähigen Tänzerin Maren, ist die studierte Geisteswissenschaftlerin ein Kopfmensch, feinhörig für Untertöne und anfällig für Gedankenspiralen, die in paranoide Abgründe führen.

Schon in „Das Rauschen in unseren Köpfen“, dem vor zwei Jahren veröffentlichten Romandebüt der 29-jährigen Autorin, Feministin, Netzaktivistin und Poetry-Slammerin Svenja Gräfen, war es die Angst einer der Hauptfiguren, die Beziehungskrisen auslöste. Hier sorgt sie nun dafür, dass Vela mehr und mehr die klaustrophobische Enge der neuen Wohnsituation spürt, während Maren sich angekommen fühlt.

Auslöser für Velas wachsendes Unbehagen ist vor allem Theo, ein freischaffender Landschaftsarchitekt, der davon träumt, eines Tages den Welthunger mithilfe von Eicheln abzuschaffen. Ein Projektemacher und Gutmensch also. „Was ist dein fucking Problem mit Theo?“, fragt Maren verärgert, weil sich Vela in dessen Haus mehr und mehr wie in einer „bescheuerten Seifenoper“ vorkommt. Dabei macht Gräfen ganz raffiniert Theo zu einer Kippfigur. Zum Beispiel ist da sein Insistieren auf eine regelmäßige Aussprache unter den Mitbewohnern, die alle so ihre Geheimnisse haben, wie sich nach und nach zeigt. Handelt es sich dabei einfach nur um kluges Krisenmanagement? Oder am Ende doch um Kontrollwahn oder gar Patriarchalismus?

„Übergangslösungen“ werden zu Endstationen

Das alles ist von Svenja Gräfen in einer schnörkellos direkten Prosa erzählt, immer nah an der Umgangssprache und mit lebensnahen Dialogen ohne Anführungszeichen. Schade nur, dass die Autorin die Marotte hat, ihre Figuren unentwegt zu typisieren: „So eine nämlich ist Maren“, „So eine ist Nat“ usw.). Oder dass sie einmal die Perspektive wechselt, und zwar so unmotiviert, dass man es als handwerklichen Fehler werten muss.

Dabei pendelt Gräfens Roman zwischen den Ereignissen nach dem Einzug und der Vorgeschichte des Paares. Es sind gerade die Rückblicke, die zeigen, wie die Lebensträume der Millenials in der rauen Großstadtrealität zerplatzen und „Übergangslösungen“ zu Endstationen werden. Während Vela zum Beispiel in der Vorgeschichte hoffnungsfroh auf der Suche nach ihrem Traumjob im Medienbetrieb ist, hat sie in der Gegenwart offenbar resigniert; in einsamen Nachtsessions betreut sie die Leserkommentare einer Zeitungsseite. „Freiraum“ ist ein lesenswerter Roman über die Träume und Illusionen der Generation Y, aber auch über das paradoxe Verhältnis von äußerer und innerer Freiheit.

Svenja Gräfen:Freiraum. Roman.Verlag Ullstein fünf, Berlin 2019.304 Seiten, 20 €.

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