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Romina Bernardo alias Chocolate Remix aus Buenos Aires.

© Norman Ullua

Porträt der Musikerin Chocolate Remix: Hand hoch, wenn du Torte liebst

Reggaeton prägt derzeit den Pop. Die Argentinierin Chocolate Remix hat eine lesbische Version des Genres erfunden. Jetzt kommt sie zum Wassermusik-Festival.

Die Sex-Nachhilfestunde findet in einem Skatepark statt. Vier junge Frauen in schwarz-rot-weißen Outfits tanzen auf dem Gelände herum, das von gewaltigen Hochhäusern umgeben ist. Die Kleine in der Mitte skandiert zu schepperigen Beats und Synthies ihre Botschaft an die Männer: Größe und Härte sind nicht entscheidend, Frauen bevorzugen sowieso zwei gut platzierte Finger. Und Jungs, denkt auch mal drüber nach, ob eure Frau vielleicht Lust hat, euch von hinten zu nehmen. Die Tänzerinnen vollführen dazu recht eindeutige Bewegungen. Ein sexy Denkanstoß aus Argentinien.

„Lo que las mujeres quieren“ („Was die Frauen wollen“) heißt der Song zu diesem Video. Vor fast fünf Jahren hat ihn Romina Bernardo bei Youtube hochgeladen. Zu Beginn wird ihr Künstlerinnenname Chocolate Remix in einem Kronen-Logo eingeblendet, zu dem auch der Schriftzug „lesbian reggaeton“ gehört.

Diese Genreerfindung sei zunächst ein Witz gewesen, erzählt die Musikerin aus Buenos Aires am Telefon. „Ich habe immer viel Reggaeton gehört und Sex ist dort ein wichtiges Thema. Aber ich fühlte mich nicht repräsentiert, denn es gab einfach keine Lieder über lesbischen Sex.“ Also machte sich die heute 33-Jährige daran, den meist von Männern gesungenen Hetero-Songs etwas entgegenzusetzen – auf spielerische, witzige Weise. Ihr Debütalbum von 2017 trägt den Titel „Sátira“. Das Cover zeigt sie in einem weißen Brautkleid auf dem Rücken liegend, der weit aufgerissene Mund und das Dekolleté sind mit Schokolade verschmiert. Offenbar hat sich die Braut an ihrem großen Tag nicht den für sie vorgesehenen Freuden hingegeben.

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Denn die Schokolade, die die Sängerin im Namen trägt, ist auch eine Anspielung auf Sex zwischen Frauen. In Argentinien werden Lesben „torta“ genannt, weshalb Romina Bernardo in ihrer Uni-Zeit das Bild einer Frau mit einer Schokoladentorte für ihren Avatar im studentischen Online-Forum benutzte. So wurde Chocolate ihr Spitzname und später ihr Musik-Pseudonym. Auch den Torten ist die einstige Programmiererin treu geblieben, sie besingt sie in ihren Liedern ausführlich. Mal explizit, mal in Bildern beschreibt sie weibliche Lust, die ohne Männer auskommt. Das ist angesichts eines von Machismo, Sexismus und auch Homophobie geprägten Genres mitnichten ein Witz, sondern eine machtvolle Aneignung. „Ich kann die Werkzeuge dieser Musik zu den meinen machen, sie umdrehen und dazu benutzen, mich zu stärken, Spaß zu haben“, sagt Chocolate Remix, die am 21. Juli (19 Uhr) bei der zwölften Ausgabe des Wassermusik-Festivals im Haus der Kulturen der Welt auftreten wird.

Der Ur-Beat des Genres entstammt einem homophoben Song

Das beste Beispiel für diesen Umkehrungsprozess ist ihr Song „Bien Bow“. Darin attackiert Chocolate Remix das Reggaeton-Genre quasi an seiner Wurzel. Der Titel des Stücks nimmt Bezug auf den Song, mit dem 1991 alles begann: „Dem Bow“ des jamaikanischen Dancehall-Sängers Shabba Banks. Der auf Patois vorgetragene Text stellt eine Verbindung von „abweichenden“ Sexpraktiken und kolonialistischer Unterwerfung her. Wer oralen oder homosexuellen Sex habe, beuge sich dem Feind.

Diese im Reggae und Dancehall leider alltägliche Homofeindlichkeit bleibt auch in den ersten beiden spanischsprachigen Adaptionen des Songs erhalten, die 1991 von Nando Boom („Ellos Benia“) beziehungsweise El General („Son Bow“) aufgenommen werden. Beide Sänger stammen aus Panama, wo es seit den Siebzigern wegen des Kanalbaus viele jamaikanische Arbeitsmigranten gab, durch die Reggae in Panama populär wurde – später vor allem auch durch Coverversionen auf Spanisch. Nando Boom und El General benutzen wie Shabba Banks „bow“, für jemanden, der sich unterwirft, und feuern ihr Publikum an, die Hand zu heben, wenn sie nicht dazugehören.

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Chocolate Remix gibt dem „bow“ hingegen eine positive Bedeutung, indem sie davor das Wort „bien“ (gut) stellt und sich selbst als bow bezeichnet. Am Ende skandiert sie immer wieder „Alza la mano si tu eres bien bow“ (Heb die Hand, wenn du bien bow bist). Bei ihren Shows erklärt sie die Herkunft des „Dem Bow“ immer wieder, denn diese sei erstaunlich unbekannt. Und das, obwohl der markante Boom-Ka-Boom-Ka, Boom-Ka-Ka-Beat, der heute als Reggaeton bezeichnet wird, inzwischen eine erstaunliche Karriere machte. Über Puerto Rico und New York hat er sich in der gesamten Popmusik der westlichen Hemisphäre verbreitet. Spätestens seit Luis Fonsis „Despacito“ – mit über sechs Milliarden Klicks das beliebteste Musikvideo auf Youtube – ist er omnipräsent. Auch Madonna hat für zwei Songs ihres aktuellen Albums „Madame X“ einen Reggaetonstar engagiert: den Kolumbianer Maluma.

„Black Atlantic Revisited“ heißt das Festival-Motto

Einen großen Anteil an der Verbreitung des Beats hat der puertoricanische Rapper Daddy Yankee, dessen Song „Gasolina“ aus dem Jahr 2004 ein weltweiter Charterfolg war. Chocolate Remix sagt über den Kollegen: „Er hat die Musikgeschichte verändert. Es gibt ein vor und ein nach ,Gasolina‘“. Sie spricht voller Bewunderung von Daddy Yankee, der auch mit einem Rap-Part bei „Despacito“ zu hören ist und zusammen mit Snow derzeit den Hit „Con Calma“ hat.

Die Migrationsgeschichte des Reggaeton passt zum Thema des Wassermusik- Festivals, das in diesem Jahr „Black Atlantic Revisited“ lautet. Der Titel bezieht sich auf Paul Gilroys Buch „The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness“, das die Kultur der afrikanischen Diaspora in der westlichen Welt als nicht spezifisch afrikanisch, amerikanisch, karibisch oder britisch beschreibt, sondern als dies alles zugleich. Die Black Atlantic Culture schafft etwas Neues, indem sie Themen und Techniken verschiedener Länder vermengt und über sie hinausweist.

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So kann ein Rhythmus, der ursprünglich in Jamaika in einem homofeindlichen Kontext stand, plötzlich in Argentinien wieder auftauchen und dort von weißen Queers zur tanzenden Selbstermächtigung benutzt werden. Was auch ein Beispiel dafür ist, dass kulturelle Aneignung nicht vorschnell als übergriffig und illegitim abgekanzelt werden kann. Chocolate Remix versteht ohnehin nicht, wieso Reggaeton und Cumbia, die sie seit ihrer Kindheit liebt, die in ihrer Heimatprovinz Tucumán ständig im Radio und in den Clubs liefen, nicht zu ihrer Kultur gehören sollen. „Diese Musik hat meine kulturelle Identität geprägt. Es ist unmöglich für mich, nicht damit zu arbeiten“, sagt sie.

Und so hilft die Argentinierin mit ihrem Reim auf das Genre den vielen Fans, die – genau wie sie selbst – nicht immer an sexistischen Songtexten vorbeihören wollen, sondern endlich mal laut mitsingen können. Torte macht glücklich.

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