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Produzent und Regisseur Nico Hofmann sprach bei der Auftaktveranstaltung der "Queer Media Society".

© Britta Pedersen/dpa

„Queer Media Society“ gegründet: Für mehr Diversität in den Medien

Die neu gegründete „Queer Media Society“ will queere Medienschaffende vernetzen und für mehr Vielfalt in der Berichterstattung sorgen.

Bei queeren Filmen ist die Berlinale Vorbild: Keines der großen Festivals zeigt so viele Werke mit lesbischen, schwulen und trans Figuren , kein queerer Filmpreis ist wichtiger als der Teddy. Im deutschen TV- und Film-Alltag ist das allerdings noch immer alles andere als selbstverständlich. „Das deutsche Fernsehen ist heterosexuell“, stellte unlängst die Rostocker Medienprofessorin Elizabeth Prommer fest.

Sie bezog sich auf bislang unveröffentlichte eigene Zahlen, die auf der Analyse von 800 deutschsprachigen Filmen und 3500 Stunden TV-Programm im Jahr 2016 beruhen. Fast 60 Prozent der Figuren waren dezidiert heterosexuell, bei fast 40 Prozent wurde die sexuelle Identität nicht thematisiert. Nur eine Handvoll Figuren waren demnach für die Zuschauer als eindeutig queer erkennbar.

Ändern will das jetzt die neue „Queer Media Society“ (QMS), die anlässlich der Berlinale am Montag zur Kick-Off-Veranstaltung lud. Sie versteht sich als ehrenamtlich organisiertes Netzwerk von nicht-hetero*sexuellen Medienschaffenden aus allen Bereichen und setzt sich für eine vielfältigere Repräsentanz von queeren Menschen in Film, Fernsehen, Hörfunk  oder Zeitungen ein. Einer der Hauptredner der Auftaktveranstaltung: Regisseur, Produzent und Ufa-Chef Nico Hofmann, der ein Umdenken forderte: „Mir geht die Diskussion um gesellschaftliche Diversität in den Medien noch lange nicht weit genug.“

"Versteckte, gewohnheitsmäßige Homophobie"

Trotz aller Fortschritte nehme er immer noch eine „versteckte, gewohnheitsmäßige Homophobie in unserer Gesellschaft“ wahr, sagte Hofmann. Diese „ Rückschrittlichkeit“ gelte ausdrücklich auch für die Medienbranche. Hofmann forderte eine „wesentlich stärkere Anerkennung von sexuellen Orientierungen und Identitäten in unserer alltäglichen Arbeit“. Durchaus selbstkritisch berichtete er von „veralteten Narrativen und Rollenbildern“ in Bezug auf Homosexualität auch bei Produktionen der Ufa, was in seinem Haus bereits diskutiert werde. Medienunternehmen müssten zudem viel stärker auf inklusive Arbeitsstrukturenachten. Aus eigener Erfahrung wisse er, welche zentralen Auswirkungen der Umgang mit sexueller Orientierung auf Kreativität habe. Er kündigte für den Juni einen branchenweiten Diversity-Gipfel in Köln an.

Aber tut sich nicht längst schon etwas? Groß-Serien der vergangenen Jahre wie "Ku’damm 56", "Deutschland 83" (beide von Hofmann produziert)  oder "Tannbach" zeigten durchaus schwule Figuren. Wer schwul ist, muss im deutschen Fernsehen allerdings immer noch leiden: Als frühes Aids-Opfer (Deutschland 86), als aufgrund des Paragrafen 175 Verhafteter (Tannbach) oder als einer, der sich qualvollen „Umpolungs-Therapien“ unterzieht (Ku’damm 56).  Lesbische Charaktere kommen sehr viel seltener vor, wie insgesamt Lesben in den Medien häufig unsichtbar gemacht werden.

Netflix ist schon weiter als das deutsche Serienwesen

Die schwule Figurenzeichnung dieser Serien ist natürlich auch der Zeit geschuldet, die sie erzählen: In den 1950ern und 1960ern war Homosexualität eben noch kriminalisiert, Tausende wurden verfolgt, ihre Leben zerstört. Vielschichtige, im Heute angekommene queere Charaktere  sucht man in deutschen Produktionen gleichwohl oft vergeblich.

Wie das geht, führt Netflix vor: Man denke an „Orange Is The New Black“ mit seinem diversen lesbischen und trans Ensemble - oder, jüngste Beispiele, an die gerade erst erschienen Coming-Of-Age-Serien „Élite“ oder „Sex Education“.  Dort treten wie selbstverständlich queere Jugendliche auf, anspruchsvolle Themen wie der gesellschaftliche Zusammenhang von sexueller und geschlechtlicher Identität, Klassenzugehörigkeit und Rassismus werden klug und anschaulich verhandelt. Und in vielen Netflix-Serien sind Protagonist*innen auch nur einfach so queer - und erleben sonst ganz andere Abenteuer. „In Deutschland gibt es das bei Serien nur selten“, sagte die Regisseurin Kerstin Polteam Montag: Wenn überhaupt, werde Lesbisch- oder Schwulsein meist problematisiert. 

Dass andere Länder bei dem Thema weiter sind als Deutschland, zeigt auch ein Blick nach Großbritannien: Die BBC hat sich bereits 2016 selbst verpflichtet, dass in ihren Produktionen zu acht Prozent auch LGBTI-Figuren gezeigt werden sollen (die Quote orientiert sich an dem angenommenen Anteil queerer Menschen an der Gesamtbevölkerung).

Eine ähnliche Quote fordert jetzt auch die Queer Media Society für Deutschland: Sieben Prozent LGBTI-Themen und Inhalte für alle fiktionalen und non-fiktionalen Produktionen - ob im Kino, Radio, Fernsehen oder im Web, in der Gamesbranche oder bei Printerzeugnissen.

Offenlegung: Der Autor ist als einer Mitbegründer des Queerspiegels, des LGBTI-Blogs des Tagesspiegel, ebenfalls ehrenamtlich bei der Queer Media Sociey engagiert.

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