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Interaktion mit einer Glasscheibe. Aus Anna Daučíkovás Fotoserie „Upbringing by Exercise“ aus dem Jahr 1996.

© Anna Daumíkovej

Schering-Preis für Anna Daučíková: Wer sich festlegt, verpasst etwas

Die tschechische Konzeptkünstlerin und Performerin Anna Daučíková erhält den Schering-Preis. Die Berliner Kunst-Werke widmen ihr eine Schau.

„In between“ beschreibt Anna Daučíková ihre geschlechtliche Zuordnung, nicht Frau, nicht Mann, ein Zustand des Dazwischen. Ihn umkreist sie mit ihrem Werk, ein Sein, das sich nicht fassen lässt. Geradezu in Exerzitien versucht es die tschechische Konzeptkünstlerin und Performerin dennoch – unter Einsatz ihres Körpers. Mitte der neunziger Jahre entstand die 17-teilige Schwarz-Weiß-Serie „Upbringing by Exercise“, die durch ihrer Nüchternheit umso überwältigender wirkt.

Eine Frau mit raspelkurzem Haar steht im Bad und drückt eine Glasplatte gegen ihren Oberkörper, der je nach Lichteinfall oder Winkel, indem sie die durchsichtige Platte an sich presst, ihre Brüste in einer anderen Deformierung zeigt. Ihre Rundungen verflachen dabei, ein Vorgang, der in dem nichtssagenden Raum eine entwaffnende Klarheit schafft. Anna Daučíková zeigt das Verfließen der geschlechtlichen Grenzen am eigenen Leib. Wer wollte noch sagen können, was sie ist. Der „mentale Körper“, den die Künstlerin hier erforscht, ist eine tastende Antwort auf eine eigentlich falsch gestellte Frage.

Bei der Documenta 14 im vergangenen Jahr mit ihren vielen Teilnehmern, den unzähligen Ausstellungsorten in Kassel und Athen ging eher unter, was die 1950 in Bratislava geborene Künstlerin da macht, ja seit vielen Jahren riskiert. Ihre Drei-Kanal-Videoprojektion im Athener Konservatorium versendete sich damals. Eine Kamera fährt an einem Bücherregal entlang, eine Stimme aus dem Off erklärt, welche Fotografien vor Nabokov, Barthes und Bergson da Aufstellung gefunden haben. Kaum jemand erinnerte sich hinterher an diese Arbeit.

Das sollte nicht noch einmal passieren. Die Jury des Schering-Kunstpreises beschloss deshalb, Anna Daučíková die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung zu verleihen, zu der vor allem eine Einzelausstellung in den Berliner Kunst-Werken (Auguststr. 69, bis 18. 8.; Mi bis Mo 11–19 Uhr, Do bis 21 Uhr) samt einer Neuproduktion gehört. Zierlich, wie sie ist, bekommt Daučíková damit einen großen Auftritt und fordert mit ihrem schroffen Werk heraus. Denn die Frau mit dem mittlerweile ergrauten Kurzhaarschnitt ist immer den umgekehrten Weg gegangen.

Homosexualität gab es in der Sowjetunion offiziell nicht

Als es in den achtziger Jahren alle anderen Künstler eher in den Westen zog, machte sie sich nach Abschluss ihres Studiums an der Akademie von Bratislava in die umgekehrte Richtung nach Moskau auf, um mit einer Frau zusammenzuleben. Schon das war unerhört, Homosexualität gab es in der Sowjetunion offiziell nicht. Ihren Unterhalt verdiente sie sich als Glasbläserin; auf dieses ambivalente Material hatte sie sich während ihres Studiums spezialisiert. In ihrer Kunst, die wie ihre Beziehung nur im Verborgenen existieren durfte, beschäftigte sie sich mit der Dokumentation ihrer Umgebung und der Frage, welchen Einfluss soziale Normen auf die Persönlichkeit haben. Zu den beeindruckendsten Bildern gehört jene schlichte kleine Folge von Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die zwei, drei, vier Wassergläser auf einer Fensterbank zeigt, mal stehend, mal liegend, wie eine Familienaufstellung.

Über Posen probiert die heute in Prag lebende Künstlerin weiterhin Identitäten aus. So platziert sie in einer Vitrine mit geometrischen Stahl-Armreifen aus ihrem Frühwerk – damals war Abstraktion nur als Kunsthandwerk erlaubt – zwanzig Jahre später gemachte Polaroids, die sie in machistischer Geste beim Schneiden der Fingernägel zeigen. Ihre Wangen umspielt ein grünlicher Schatten, als wäre es der Bartwuchs eines Kerls.

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Wer sich festlegt, verpasst die Hälfte, lautet auch die Botschaft ihres für die Ausstellung neu entstandenen Werks in der großen Halle. In „Expedition for Four Hands and Accompaniment“, so der Titel der Drei-Kanal-Videoprojektion, gleiten zwei Paar Hände über Stoffe, wird Glas geschnitten, werden Nägel lackiert. Die geschlechtliche Konnotation der Tätigkeit ist klar, ob die Handelnden Mann oder Frau sind, bleibt vage.

Erinnerung an einen ermordeten queeren Künstler

In ihrer Laudatio schlug die georgische Theoretikerin Keti Chukhrov deshalb eine Verbindung vom höhlenartigen Dunkel des umgebenden Ausstellungsraums zu Orpheus und Eurydike. Wie beschränkt doch auch bei diesem griechischen Mythos die geschlechtlichen Zuordnungen seien, wie verlogen das Ganze, so die Philosophin. Orpheus hätte nie etwas anderes als den Tod seiner Geliebten im Sinn gehabt, um dem Gesang, der Kunst weiter huldigen zu können, Eurydike als Zombie nie eine Chance gehabt. Dabei gäbe es einen Ausweg aus diesem Dilemma: das Dazwischensein.

Wie hoch der Preis dafür im schlimmsten Fall sein kann, gehört ebenfalls zur Installation in Form einer Saalzeitung, die dem queeren Aktivisten Zak Kostopoulos gewidmet ist. In der Athener Kunstszene bekannt als Dragqueen Zackie Oh, wurde er im Documenta-Jahr nahe dem zentralen Omonia-Platz Opfer eines tödlichen Übergriffs, dessen Umstände nie ganz geklärt wurden. Daučíková nutzt nun die Gelegenheit, um an ihn zu erinnern. Sein Schicksal sei eine universale Erfahrung, erklärte sie bei der Ausstellungseröffnung mit bebender Stimme. Die Zahl der Gewalttaten gegen trans Menschen habe sich in den letzten Jahren drastisch erhöht.

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