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Reise: Aufstieg zum Zitroneneis

An der Amalfiküste tost das touristische Leben. Hoch über dem Meer hingegen wandert man abseits allen Trubels

Wir sitzen am Strand. Das ist nun nichts Ungewöhnliches in Positano, dem äußersten Ort der Amalfiküste. Aber wir haben weder Handtücher noch aufblasbare Krokodile dabei, sondern Rucksack und Wanderschuhe. Gleich werden wir aufbrechen, uns von der Küste lösen, hinaufsteigen ins Hinterland. Wir sind mit dem Bus nach Positano gekommen, in wilder Fahrt die kurvige Straße entlang, während der Busfahrer stets unbekümmert mit seinen Stammgästen schwatzte. Er kennt hier jede Kurve, und das will er auch zeigen. Eine dreitägige Schnitzeljagd wird uns von Positano nach Ravello bringen, immer an der Amalfiküste entlang. Meistens weit oberhalb des Meeres, geleitet von detaillierten Wegbeschreibungen. „In Positano gehen Sie wenige Schritte auf der Via Mulini ... Beim Keramikgeschäft biegen Sie in den nach links ansteigenden Treppenweg ein.“ Wir fühlen uns an die Hand genommen, und doch wird uns alle Freiheit gelassen, die Wandertage so zu gestalten, wie wir das möchten.

Menschengewimmel im Gassengewirr. Es reißt nicht mehr ab, seit 1953 in „Harper’s Bazar“ eine Reportage von John Steinbeck erschien, der 1943 als Kriegskorrespondent hierhergekommen war. Seinem ersten Impuls, diese Entdeckung nicht zu verraten, folgte er nicht: „If I tell, it will be crowded with tourists and they will ruin it ...“

Der Schreiber irrte, Positano ist wahrlich überfüllt von Touristen. Doch unverändert würfeln sich betörend schön die Häuser übereinander, nur durch Treppen, Stiegen, Gassen verbunden. Steinbeck hatte den Eindruck, dass in Positano die Welt senkrecht stehe. Wenn man einen Freund besuchen wolle, dann laufe man nicht, man klettere oder purzele.

Also klettern wir hinauf. Eine Treppe entlässt uns auf eine Terrakotta-Terrasse – mit der allerschönsten Postkarte vor Augen: die kubischen Häuser, der Hafen voller Segelboote, die Küste, deren Linien sich zum Horizont hin multiplizieren: blaugrüne Berge oben, grünblaues Meer unten. Danach führt uns die Treppe viele Wege in einem blinden Kreislauf, der an das visuelle Perpetuum mobile von M. C. Escher erinnert. Auch er war hier. Und es gibt Zeichnungen von ihm, auf denen Positano wie eine Studie des berühmten Vexierbildes aussieht, auf dem Menschen immer im Kreis gehen. Eine hohle Gasse, von Bougainvilleas beschattet, führt uns heraus. Es wird still.

Statt der berühmten Positano-Mode in den Auslagen, den grausligen Rüschenkleidern, streifen unsere Blicke nun Olivenbäume, fedrig blühende Kapernbüsche, ins Kraut geschossenen Fenchel und Johannisbrotbäume. Riesige Karstwände begrenzen den Weg, die Stefan Andres, 1937 nach Positano emigrierter Schriftsteller, „die im Jahreskreis aufgrünenden und abgoldenden Kalkhalden des Kessels“ nannte. Immer wieder sehen wir zwischen den Büschen weit unten das Meer.

Die Amalfiküste zählt zu den schönsten Ecken Italiens. Leider wissen das viele Menschen. Durch die drangvollen Orte zu schlendern oder gar von einem zum andern die überfüllte Küstenstraße zu fahren, das kann einen Urlaub anstrengend werden lassen. Ganz anders ergeht es uns auf dieser Wanderung. Außerhalb der Dörfer im Hinterland treffen wir höchstens mal auf einen Ziegenhirten, dessen Herde durch den Kastanienwald bimmelt und bummelt, mal auf Bauern, die ihre pfadschmalen Terrassen bestellen. Während wir im Schritttempo die Landschaft durchstreifen, haben wir alle Zeit der Welt, die Küstenlinie und das endlose und endlos blaue Meer zu bewundern.

In Montepertuso in den Bergen ist der Sportplatz die bei weitem größte ebene Fläche des Ortes. Weiter geht es nun weniger steil durchs Land. Was unten an der Küste Buchten bildet, sind hier Taleinschnitte, denen wir folgen. Es geht auf Mittag zu, die Luft ist schwer. Macchiageruch steigt auf, Kräuter, die zertreten von den Wanderschuhen Würze verströmen. Und in allem süßer Duft von Eselsdung. Zitronenfalter umflattern Kissen von kleinen, gelbstruppigen Blüten.

Mittagsrast in einer Trattoria. Aus den weit geöffneten Fenstern sehen wir am linken Bildrand noch die Häuser von Positano. Wir verzichten auf Scialatielli, breite, dicke Nudeln mit üppiger Soße, essen nur – mit Blick auf die Insel – eine Caprese, Tomatensalat mit Büffelmozzarella, von reichlich Olivenöl vergoldet.

Unser Weg folgt dem Sentiero degli Dei, dem bekanntesten Wanderpfad dieser Region. Wenn wir uns umblicken, wird klar, dass Capri eine natürliche, nur vom Land abgeschnittene Fortsetzung der Costiera Amalfitana bildet. Nach vorne sehen wir den weiteren Küstenverlauf, bis hin zur Bucht von Salerno.

In Bomerano kauft sich der Dorfcarabiniere in der Gelateria Naclerio ein Stracciatella-Eis. Im Becher, denn am in der Hitze tropfenden Eis in der Waffel rundumlecken, das wäre der Würde wohl abträglich. Vor der Gelateria breitet sich eine Piazza aus, zwischen unansehnlich gewordenen Neubauten und der Durchgangsstraße. Die zehn Alten, die auf campariroten Plastikstühlen unter einer Magnolie sitzen, stört das wenig. Sie sehen vier Männern beim Kartenspielen zu. Außer der Eisverkäuferin ist keine Frau zu sehen. Alle Männer tragen sauber gebügelte, langärmlige Hemden. Keine Shorts, keine Bauernkleidung.

Ein Gemüselaster kommt herbei, aus schepperndem Lautsprecher preist er seine Ware an. Je eine kleine Kiste mit Melonen, Tomaten oder Pfirsichen kostet drei Euro. Am Abend essen wir endlich Nudeln, und zwar „Vermicelli cu’ ’o pesce fujuto“, Pasta mit geflüchtetem Fisch, sprich: ohne Fisch, dafür mit Tomaten, die den Sommer eingefangenen haben.

Tomaten, Oliven, dieser Segen des Mittelmeerraums! Doch die landschaftsbestimmende Frucht der Amalfiküste ist die Zitrone. Im 14. Jahrhundert beginnt im großen Stil der Anbau von Zitrusfrüchten, dafür wird die Küste mit Trockenmauern umspannt, ein gigantischer Eingriff ins Landschaftsbild. In Hinterland durchstreifen wir noch einen der riesigen Wälder aus Kastanien, aus deren Holz wurden Stützpfeiler für die schwer tragenden Zitronenbäume gefertigt.

Zitronen, fast so groß wie Pampelmusen, hängen schwer über den Wanderweg. Üppig, und doch nur ein Rest einstiger Anbaufülle. Noch 1950 wurden von der Amalfiküste 9600 Doppelzentner Zitronen exportiert, zehn Jahre später waren es gerade noch 45 Doppelzentner. Terrassierung und kleinteilige Parzellierung bedingten teure Produktion. Kein Wunder, dass die Landwirte sich gern dem Tourismus zuwandten.

Bald werden wir wieder eintauchen ins Menschengewimmel im Gassengewirr. Ein gepflasterter Maultierpfad bringt uns hinunter nach Amalfi. Schwalben umschwirren den Kampanile. Drei rundliche Frauen mühen sich die imposante Domtreppe hinunter. Ihre Vorfahrinnen, wohl weniger gut genährt, waren die Lastenträgerinnen der Costiera. Körbe aus Kastaniengeflecht mit mehr als 50 Kilo Limonen aus ihren Gärten trugen sie hinunter zum Meer und zur Straße.

Die drei Grazien legen eine Rast ein. An einer Eisdiele. Eine hat ihr Eis schon in der Hand, die anderen fragen um Rat. Ananas schmecke gut, so die Auskunft, „aber die Granita di Limone ist das Ende der Welt“. Soll heißen: Es schmeckt überirdisch gut. Sie zuckt resigniert mit den Schultern. „Ich mag so gern Süßes, was soll ich machen? Ein Zitroneneis ist stärker als ich.“

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