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Kreuzfahrtschiff: Ein Land an Bord

Mehr als 5000 Passagiere haben Platz auf der neuen „Oasis of the Seas“. Nur, wie finden sie sich auf dem Riesenschiff zurecht?

Warteschlange am Terminal 18: „Dass so ein Kasten überhaupt schwimmt“, wundert sich der eine. „Guck mal, das Riesenloch ganz hinten – sieht aus wie noch nicht ganz fertig“, ergänzt seine Nachbarin. „Einen Schönheitswettbewerb würde der Pott nicht gewinnen“, meint ein Dritter. Die Rede ist von der „Oasis of the Seas“.

Tatsächlich erinnert das größte Kreuzfahrtschiff der Welt eher an einen nüchtern entworfenen Hochhauskomplex als an einen eleganten Oceanliner. Die Regeln nach Betreten des Riesen sind erst mal einfach: Suitengäste gehen geradeaus, Repeater mit dem Status „Diamond“ und Vielfahrer mit mindestens zehn absolvierten Reisen nach rechts. Alle anderen nach links. Nach nicht einmal einer halben Stunde sind die erwartungsfrohen Passagiere mitten auf der Royal Promenade, einem der sieben sogenannten Lifestyle-Areale. Breiter als so manche Fußgängerzone hierzulande ist sie und belebt wie der Kurfürstendamm zur Weihnachtszeit.

Soeben setzt sich die gut besuchte „Rising Tide Bar“ in Bewegung – gemächlich transportiert sie ihre cocktailschlürfenden Insassen drei Decks nach oben. Geradewegs in den „Central Park“ mit seinen exakt 12 175 Pflanzen, Büschen und Sträuchern – ein ausgeklügeltes unterirdisches Bewässerungssystem macht’s möglich. Manchmal gibt’s auch eine Dusche vom Himmel, denn der Park sowie die sich anschließende Flaniermeile sind nach oben offen. Gesäumt ist sie von Restaurants, Cafés, Shops.

Die meisten Kabinen haben einen Balkon, doch wie in El Arenal, Benidorm oder Playa del Ingles blickt man seinem Gegenüber jenseits des Lichthofes direkt auf die Bettdecke. Doch es gibt ja Vorhänge ...

Der kleine Hunger meldet sich und kann gleich in einer der „Erlebniswelten“ gestillt werden. Das kostet allerdings meist extra. Ein – übrigens sehr schmackhafter – Burger im „Johnny Rockets“ samt French Fries, Coke und/oder Milchshake für 4,95 US-Dollar, Fisch & Chips im „Seafood Shack“ 7,95 Dollar oder ein dreigängiges italienisches Menü in „Giovannis Table“ für zehn Dollar. Zum Nulltarif stehen die Büfetts im „Windjammer“, im „Solarium“ sowie Snacks in diversen Cafés bereit. Eigentlich sollen die allgegenwärtigen Monitore Auskunft über die Auslastung der Restaurants geben. „Grün“ bedeutet freie Plätze, „gelb“ geringe Wartezeit und „rot“ steht für voll belegt. Leider aber klappt es noch nicht so ganz mit dem „Ess-Leitsystem“. Eine Kinderkrankheit, die aber, so wird versprochen, kurzfristig behoben werden soll.

Wie soll man sich auf diesem Riesendampfer für mehr als 8000 Menschen, davon 3000 Crewmitglieder, überhaupt zurechtfinden? Kein Problem. Kabinennummer an einem Terminal eintippen und den Anweisungen folgen: zwei Decks nach oben, erst rechts, dann links, dann geradeaus – schon ist die Unterkunft für die nächsten Tage erreicht. Die ist je nach gebuchter Kategorie zwischen 13,8 (innen) und 141 Quadratmeter groß (Royal Loft Suite mit zusätzlich fast 80 Quadratmeter großer Terrasse). Auf die gleiche Weise lassen sich sämtliche Räumlichkeiten an Bord orten. Das von anderen Schiffen vielleicht gewohnte Umherirren während der ersten Tage ist – theoretisch – ausgeschlossen.

Während Erwachsene doch schon mal verloren gehen, soll das Kindern nicht passieren. Ein Sender (am Kinderarm) samt dazugehörigem Empfänger (in Elternhand) erleichtert die Suche nach den lieben Kleinen, falls sie mal auf eigene Faust über die Decks strolchen und die Orientierung verlieren. Mittels nur an Bord funktionierender iPhones (17,50 Dollar Leihgebühr pro Reise) bleibt man zusätzlich in Kontakt. Schließlich sind in der „Youth Zone“ Erwachsene unerwünscht. Die haben im weitläufigen, lichtdurchfluteten „Solarium“ (eine Art schicker offener Wintergarten) auf Deck 15 und 16 ihr Refugium. Kinder sind hier verboten! Na ja, sagen wir: weniger erwünscht.

Bei der Erkundung an Bord stößt der Gast im Hauptrestaurant auf eine interessante Neuheit: Enomatic-Spender heißt das Teil. Zur Weinverkostung bitte Kabinenkarte einstecken, Sorte und Menge wählen – und schon spendet der Automat das Gewünschte, ob Rot, Weiß oder Rosé – direkt aus der Flasche.

Skeptisch wird die Zapfstelle zunächst von vielen Passagieren beäugt. Dann die Probe aufs Exempel – ja, tatsächlich, passt. Der Flascheninhalt, so wird versichert, bleibt bis zu drei Wochen nach dem Entkorken qualitativ einwandfrei. Wunder der Technik!

Dem Passagier schwirrt dann aber doch der Kopf: Mehr als 60 Unterhaltungsmöglichkeiten stehen fein säuberlich im täglich herausgegebenen „Cruise Compass“. Darunter unterschiedliche Wasser- und Eislaufshows, Musik und Sport. Viel Sport. Schlau übrigens, wer vor Reisebeginn am heimischen Computer oder wenigstens an Bord über das interaktive Kabinen-TV zeitig reserviert: Das Ausfüllen des „Haftungsausschluss-Formulars“ online erspart langes Anstehen bei den Attraktionen Kletterwand, Flowrider (Wellenreiten im Pool) oder Zip Line (Rutschpartie hoch über Deck am Stahlseil).

Fast geräuschlos hat der Koloss mittlerweile abgelegt – Kurs Karibik. Kaum ein Passagier hat es bemerkt. Es gibt doch so viel zu sehen, zu entdecken und zu bewundern. Ja, und sehr viele Möglichkeiten, Geld auszugeben. Im Kasino, den zahlreichen Boutiquen und – nicht zuletzt – im Spa. In dem riesigen Wellnessbereich kostet etwa eine Restylane-Behandlung, die Lippen voluminöser aussehen lassen sollen, schlappe 700 Dollar. Da erscheinen die Gesichtsmaske aus 24-karätigem Gold (325 Dollar) oder Botox-Spritzen (300 Dollar) als wahre Schnäppchen.

Da das Geldausgeben offenbar bereits an Bord gut funktioniert, ist die hauptsächlich amerikanische Klientel wohl froh, dass in der ersten Saison sowohl auf der östlichen als auch auf der westlichen Route nur jeweils drei Häfen angesteuert werden und reichlich Seetage zum Shoppen zur Verfügung stehen. Zurzeit wären Landgänge auch noch schwierig umzusetzen. Denn längst nicht jede Karibikinsel kann die notwendige Infrastruktur für das Riesenschiff bieten, manch ein Hafen ist schlicht zu klein.

Zudem versucht Royal Caribbean International (RCI) – wie andere Reedereien auch – sinkende Reisepreise durch höhere Bordumsätze zu kompensieren. „Der Gast sollte nicht das Bedürfnis haben, von Bord zu gehen“, bringt es Tom Fecke, Leiter der RCI-Niederlassung in Frankfurt am Main, auf den Punkt. „Uns geht es darum, unseren Gästen ein Höchstmaß an wunderbaren Einrichtungen und interessanten Aktivitäten auf See zu bieten“, ergänzt Reedereichef Adam Goldstein. Diesem Anspruch wird die „Oasis of the Seas“ durchaus gerecht: Sie ist eine schwimmende Mixtur aus Freizeitpark, Las Vegas, Hollywood, Broadway und – tatsächlich auch – ein bisschen Kreuzfahrtschiff.

Fred Friedrich

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