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Suppe macht lustig. Gernot Roscher, Mitinitiator des Museums, ist der Beweis.

© F. L.

Erzgebirge: Löffelweise gute Laune

"Nein, meine Suppe ess' ich nicht..." - Soetwas hört man in Neudorf eher selten. Das Örtchen im Erzgebirge wollte eine besondere Attraktion. Mit Deutschlands einzigem Suppenmuseum ist das trefflich gelungen.

Der Mann, der Neudorf auf die kulinarische Weltkarte gesetzt hat, weiß noch genau, wie alles begann. „Nieheim in Ostwestfalen hat seinen Käsemarkt“, sagt Gernot Roscher, „Parma ist bekannt für den Schinken, Lübeck für Marzipan – da wurde es höchste Zeit, dass auch wir etwas fanden, was uns unverwechselbar macht.“

Und da bot sich die Suppe an, erklärt er den zwei Ehepaaren aus Franken, die heute die Führung mitmachen. Schon seit 500 Jahren werden die Neudorfer von ihren Nachbarn in Crottendorf oder Geyer als „Suppenländer“ geschmäht. Was daher rührt, dass der sogenannte Katzn- Hans, ein Einsiedler, im heftigen Winter 1532 durch das Dorf stiefelte und um Essen bat. Und was gab es? Suppe, Suppe, Suppe. Ein dünner Speiseplan, der Hans das Nest verfluchen ließ: „Neidorf, de bist su eh richtiges Suppendorf, nischt anneres als eh dünne Supp’ kriegt mer überoll ze aaßen!“

Was wiederum kein Wunder war, denn in den Küchen der Köhler und Holzbauern der Region führte ein Mann namens Schmalhans das große Wort: Sättigen musste, was auf den Tisch kam. Und billig hatte es zu sein. Trotzdem „schwangen die Ahnen den Löffel mit Stolz“, sagt Gernot Roscher, der bei der 7000-Seelen-Gemeinde Sehmatal-Neudorf arbeitet und der lachende Beweis dafür ist, dass Suppe rundum fröhlich macht.

An diesen Ruf als Suppenschlürfer, dachte er, müsste doch anzuknüpfen sein. Und also ging er mit Hilfe einiger Mitstreiter daran, bei Nachbarn, Trödlern und Abrissunternehmen herumzufragen und Material zu sammeln – und voilà, hier ist es: Das wohl erste Suppenmuseum der Welt, drei Zimmer in einem Hinterhaus, die in eine Gedenkstätte der „sehr bekannten dienlichen Löffelspeise“ verwandelt wurden. „War auch mal an der Zeit“, finden die Franken, die, wie sich herausstellt, alle in einer Bank arbeiten.

An den Wänden hängen Lebensmittelkarten, Reklameschilder von Maggi und Knorr, die Suppenkasper-Geschichte aus dem „Struwwelpeter“ und allerlei wissenschaftliche Fundstücke in Sachen Suppe. Wer ahnte denn schon, dass die Ohren des Hasen Löffel heißen, weil der Koch August des Starken bei einem Jagdausflug das Besteck vergessen hatte, kurzerhand die gefrorenen Lauscher abschnitt und damit die Adligen ihre Mahlzeit schlürfen ließ? „Wirklich?“, fragt eine der Frankenfrauen. „Apropos jagen“, lässt der Erzähler Zweifel gar nicht erst zu: „Ganz am Anfang wurde bekanntlich in Erdlöchern gekocht. Das erste Rezept einer Wildsuppe wurde singend weitergegeben: ,Häschen in der Grube, sitzt und schläft‘...“

Dosensuppen, Kochkisten, Alugeschirr und einen AEG Backofen von 1936 haben haben Gernot Roscher und seine wichtigste Mitstreiterin Steffi Richter zusammengetragen. Kessel und Pfannen stehen auf dem Herd, der „Fördertopf 2011“ dazwischen ist leider ziemlich klein geraten. Handgeschriebene und gedruckte Rezepte liegen herum, jenes der berühmten Rumfordsuppe aus Graupen und Erbsen etwa, die die Armen nahrhaft sättigen sollte. Die spanische Olla podrida dagegen enthielt bis zu 90 Zutaten, die ein guter Koch aus dem Kopf so abzumessen verstand, dass das Ergebnis seinem Herrn immer wieder gleich schmeckte. Indianer kochten ihr Gericht aus Mais, Bohnen und Fleisch in Lederbeuteln eine Nacht lang überm Feuer, Gladiatoren bekamen einen kräftigen Gerstenbrei mit dicken Bohnen. Und das Museum birgt noch eine besondere Kuriosität: einen goldenen Löffel, mit dem der König von Sachsen bei seinem Besuch 1912 in Neudorf eine Suppe gelöffelt hat. Oder haben soll.

„Apropos Suppe“, sagt Gernot Roscher. „Was nehmt Ihr in Franken eigentlich alles dafür?“ Na, Fleisch, Knochen, Gemüse, Wasser, Gewürze – das gibt eine prima Brühe. „Ach“, sagt der Suppen-Sachse grinsend, wahrer Freund jedes gediegenen Kalauers, „und dann alles auf die Herdplatte? Ich tus doch lieber in an Topf enei.“ Das fränkische Bankwesen jubelt.

Suppentopfziehmeisterschaften

Prachtstück im Suppenmuseum von Neudorf: Großmutters komplett eingerichtete Küche von 1930.
Prachtstück im Suppenmuseum von Neudorf: Großmutters komplett eingerichtete Küche von 1930.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Inmitten seiner Suppentüten, -tassen und -terrinen plaudert sich der Sachverständige immer wieder so sehr in Begeisterung, dass er unversehens in sein heimatliches Idiom rutscht und man ihn irgendwann nur noch mit großen Augen anstaunen kann: Echtes Erzgebirgisch ist wahrlich eine Herausforderung. „Wie, schwierig zu verstehen? Versteh’ ich nicht.“ Den einen Witz von Willy Stoph aber muss er gleich noch loswerden, wie der bei einem Galadinner in Moskau heimlich einen silbernen Suppenlöffel in die Brusttasche steckt. Erich Honecker sieht es, will ebenfalls einen, findet aber keine Gelegenheit zuzugreifen. Schließlich geht er ans Mikrofon und kündigte der Festgesellschaft einen Zaubertrick an: „Genossen, ich werde jetzt diesen Löffel in meine Brusttasche stecken. Und aus der von Willy wieder herausholen ...“

Im Übrigen ist dies, auch wenn es nicht so aussieht, ein höchst modernes, weil interaktives Museum – wenigstens einmal im Jahr. Immer im Herbst wird der Neudorfer „Suppenkönig“ gewählt. Jeder Teilnehmer rührt zu Hause eine Mischung seiner Wahl zusammen, bringt einen Liter davon ins Museum und schwört, dass es sich nicht um Tütenware handle. Eine Jury aus drei Köchen und drei Laien löffelt und löffelt und wählt dann die Sieger – und auch die sind natürlich urkundlich an den Wänden verewigt: 2011 gewann eine Steinpilz-Käsecremesuppe, 2010 das GuteLaune(!)-Holdersüppchen und 2003 beispielsweise irgendetwas mit Bärlauch.

Mitten im Raum steht ein Tisch mit zwei gegenüberliegenden Bänken, die im Boden verankert sind. Auf der Tischplatte ist ein eiserner Topf mit zwei großen Henkeln und der Aufschrift „Neidorfer Suppenzieh“ in einer Schiene so befestigt, damit er hin und her zu bewegen ist. „Jaaa“, sagt Gernot Roscher und strahlt, als hätte er eben einen Kessel seiner geliebten Ärdäppelsupp hingestellt bekommen, „da musste wieder mal etwas Neues her.“ Vor Jahren hatte Neudorf Tauziehwettbewerbe organisiert, aber die lockten irgendwann niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Und so traf er sich mit seinem Schwager und sie versuchten das Ganze mal mit einem Suppentopf – mit dem Ergebnis, dass er sich oval verformte: „Do drin kunst jetzt ne Gans brote“, sagte der Schwager und machte sich aus dem Staub, weil er wusste, dass Gernot gleich einen mächtigen Rüffel einfangen würde. Er fing – aber Opfer wie diese nimmt ein vom Suppenvirus Infizierter gelassen in Kauf, wenn es um das größere Ganze geht.

Denn dies war die Geburtsstunde der Suppentopfziehmeisterschaft, zu der sich jedes Jahr um die 15 gut gewachsene Männer aus der Gegend einfinden. Sie stecken die Füße in die Bodenschiene, stützen die linke Hand am Schaumstoffpolster ab, greifen mit der Rechten zum Henkel – und dann wird so lange hin und her gezogen, bis das Glöckchen ertönt, weil der Topf auf einer Seite angekommen ist, einer der beiden hochspringt und sich im Siegestaumel auf die Brust trommelt, während der andere in düsterer Verzweiflung zusammensinkt. „Und, die Herrn, wie stehts mit Mukele?“, fordert Roscher auf – und meint damit offenbar den Oberarmumfang seiner Besucher. Doch die gehen einem zünftigen Wettstreit – und den sich möglicherweise daraus ergebenden gruppendynamischen Verwerfungen – lieber aus dem Weg. „Wär’ ja auch noch schöner, wenn ein Banker einen anderen öffentlich über den Tisch ziehen würde“, stellt der Suppenmann ganz richtig fest.

Großer Sport, Herr Roscher. Überhaupt: Ein verdienstvolles Unterfangen, diese ganze Suppensache. Gibt es zum Abschied vielleicht noch einen kleinen Suppenspruch mit auf den Weg? „Kein Problem“, sagt der fröhliche Herr Roscher und deklamiert in – fast – fließendem Hochdeutsch: „Heut’ essen wir den Suppenhahn, den gestern wir noch huppen sahn.“ Und schüttet sich noch einmal aus vor Lachen.

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