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Wohltat für Allergiker. Ein Aufenthalt in der Salzgrotte von Bad Soden-Salmünster lässt Patienten schon nach kurzer Zeit wieder frei durchatmen.

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Gesundheitsurlaub: Ohne Schickimicki und Chichi

254 Orte sind im Deutschen Heilbäderverband organisiert und machen 30 Milliarden Umsatz im Jahr.

Sich wohlfühlen, Wohlbefinden spüren – gewiss, das möchte jeder. Und „Wellness“ wird heute allüberall angeboten. Kaum ein Reiseprospekt, kaum eine Hotelwerbung kommt ohne das W-Wort aus. Mit Wellness wird allerdings auch allerlei Schindluder getrieben. Denn nicht überall wo W draufsteht, ist auch W drin: eine Sauna im muffigen Keller, eine Massagebank dort, wo früher Kartoffeln lagerten – fertig ist der „Wellness-Tempel“. Alles schon erlebt.

Doch war da nicht was vor dem Wellness-Zeitalter? Als vor allem größere Wehwehchen und reale (!) Erschöpfungszustände von Menschen mitten im Arbeitsleben durch eine medizinisch betreute Auszeit kuriert werden konnten? Ganz ohne Schickimicki und Chichi, an rein medizinischen Gesichtspunkten orientiert? Gab’s. Nannte sich Kur und geriet vor 20 Jahren als K-Wort schwer in Verruf. Doch das Kurwesen lebt noch immer, schickt sich gar an, frischer und noch professioneller dem Gast-Patienten wieder auf die Bein zu helfen, seine Arbeitskraft zu stärken – ihn vor allem auch als Zahler für die Rentenkasse zu erhalten.

Die deutschen Kurorte hatten seinerzeit nicht erkannt, dass sich eine Wellnesswelle aufbaute. Als die dann schließlich Mitte der 90er Jahre zeitgleich mit der politisch verordneten Gesundheitsreform über sie hereinbrach, standen die Bäder dumm da – mit altmodischen Kureinrichtungen, biederen Unterkünften, altbackenen Freizeitangeboten und vor allem – ohne Plan, der sich rasch umsetzen ließe. Die Zeit der großen Not in den Kurorten brach an: Stellenabbau und Schließungen von Kureinrichtungen waren an der Tagesordnung. Die politische Wende in Europa hatte zudem Konkurrenz im Ausland erblühen lassen. Gesundheitstouristen sahen sich die Angebote in Tschechien und Ungarn an, und stellten dabei fest: nicht übel und zu einem Bruchteil der Kosten wie in deutschen Landen zu haben.

Für die „deutsche Kur“, über Jahrzehnte eine Überlebensgarantie für Ortschaften, die sich „Heilbad“ nennen durften, bimmelte bereits das Totenglöckchen. Als Sargträger hatten sich vor allem Hoteliers mit schnieken Wellnessanlagen und Kritiker eines sozialen Gesundheitssystems bereits in Position gebracht. „Vorgestrig und zu teuer“ – so die Hauptargumente, die auch die Kostenträger des Kurwesens wie die Deutsche Rentenversicherung (damals BfA), Berufsgenossenschaften und Krankenkassen nicht entkräften mochten.

Mit der überwiegend älteren Klientel waren die Kurorte samt ihren Einrichtungen regelrecht ergraut. Die Hoteliers positionierten sich also geschickt, um etwas vom mächtig großen „Gesundheitskuchen“ abzuzwacken und die bessergestellte Klientel von der verstaubten Kurklinik ins gepflegte Sterne-Haus zu holen.

Die deutschen Kurorte sind ein gehöriger Wirtschaftsfaktor

Die Kostenträger der Kur nahmen ihre Devise „Rehabilitation statt Rente“ nicht mehr so ernst, knauserten bei Leistungen und zeitlicher Dauer eines Kuraufenthalts. Von den Hotels in ihrem Sinn richtig und geschickt argumentiert, von den Kostenträgern auf lange Sicht wohl zu kurz gedacht. Denn an den Heilerfolgen einer medizinisch veranlassten und entsprechend ausgerichteten Kur konnte und kann nicht gerüttelt werden – vorausgesetzt im Mittelpunkt des Kurenden stehen die verordneten Anwendungen und nicht Kurschatten oder sonstige, der Gesundheit eher abträgliche Vergnügungen.

Vielfach hatte sich tatsächlich bei vielen Versicherten eine Schmarotzermentalität breitgemacht, die – nach dem Motto: „steht mir doch zu“ – einen Kuraufenthalt alle zwei Jahre als zusätzlichen Jux-Urlaub verstanden, und statt bewusst das Gesundheitsangebot wahrzunehmen, sich ein paar flotte Wochen abseits des heimischen Terrains zu machen.

Das Bangen um den Arbeitsplatz in wirtschaftlich unsicheren Zeiten sowie eine stärkere finanzielle Selbstbeteiligung hat der Wucherung dieser Mentalität weitgehend Einhalt geboten. Was nicht unbedingt zur raschen Genesung der Kurorte beiträgt. Waren Anfang der 90er Jahre noch bis zu 800 000 ambulante Kassenkuren pro Jahr zu verzeichnen, so verringerten sich diese bis heute auf Werte unterhalb von 200 000 pro Jahr. Nach den Einbrüchen durch die „Kurkrise“ ist jedoch eine Entspannung und ein leichtes Wachstum zu bemerken.

Heute sind 254 Mitgliedsorte im Deutschen Heilbäderverband e. V. (DHV) organisiert. Und die sind zum größten Teil auf gutem Weg, ihre Existenzberechtigung neben landläufiger Wellness nachzuweisen. Die Einbußen im Bereich der Sozialkuren wurden durch neue erweiterte Angebote für Gesundheitsurlauber, Kurzaufenthalte und neue Konzepte für Privatzahler teilweise kompensiert. Die deutschen Kurorte und Heilbäder sind schließlich ein gehöriger Wirtschaftsfaktor: Etwa 400 000 direkt und indirekt Beschäftigte und ein jährlicher Umsatz von mehr als 30 Milliarden Euro haben Gewicht.

Als „Juwelen des Deutschlandtourismus“ bezeichnet der jüngst neu gewählte Präsident des Deutschen Heilbäderverbandes e. V. (DHV), der CSU-Bundestagsabgeordnete und Bäckermeister Ernst Hinsken, die deutschen Heilbäder und Kurorte. Nun, daran wird weiter zu polieren sein.

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