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Das Elternhaus im Eis trägt den Titel: "Shining".

© Huber

Stephan Huber: Der Heimspieler

Er hasst Reisen, sein Allgäu liebt er. Mit der Nagelschere bastelt der gefeierte Künstler seine Welt. Ein Besuch im Atelier von Stephan Huber.

Mutter Huber war nicht amüsiert. Ja – richtig beleidigt ist sie gewesen, als sie ihr eigenes Zuhause aus dem Allgäu in die Eiswüste verpflanzt sah. „Shining“ hat der Sohn seine Installation genannt, nach Stanley Kubricks Horrorfilm, in dem ein einsam im Schnee gelegenes Hotel eine ganze Familie in den blutigen Wahnsinn treibt. Hat der Sohn so seine Kindheit erlebt: als eiskalt, gewalttätig, gruselig?!

Aber nein, hat Stephan Huber seine Mutter beruhigt. Sein großbürgerliches Lindenberger Elternhaus, zwischen Bergen und Bodensee gelegen, war doch vergleichsweise liberal, literatur- und kunstinteressiert. Es ging ihm um mehr als die eigene Biografie, auch wenn diese Ausgangspunkt all seiner Arbeiten ist. Was ihn interessiert, ist das Allgemeine im Persönlichen. So wie beim Elternhaus: von 1951 und damit ein Jahr älter als er selbst, ist es ein Produkt der Wirtschaftswunderjahre, das noch Züge deutschtümelnder Naziarchitektur trägt. Als kalt hat Huber die 50er, 60er Jahre in Erinnerung, man redete nicht über die Grauen der Vergangenheit. Eisiges Schweigen, geistige Enge. Marx’ „Kapial“, das er in der Buchhandlung bestellte, wurde im verschlossenen Giftschrank aufbewahrt und dem 16-Jährigen verpackt überreicht.

Man glaubt Huber sofort, dass er seine Mutter, die noch heute in der Villa wohnt, tatsächlich beruhigen konnte. Er ist ein Künstler, der so wort- wie bildgewaltig ist, der die Literatur liebt, Germanistik studiert hat. Und doch: Am Anfang waren die Bilder, die opulente Landschaft, das Barock. Der junge Huber ging nur zu gern in die Kirche, bessere Inszenierungen gab’s im Allgäu nicht. Er liebte „die theatralische Überwältigung“. Der 61-Jährige lehnt sich zurück auf seinem Stühlchen im Münchener Atelier, die langen Beine ausgestreckt, die Arme verschränkt, Cordhose, Schuhe, Shetlandpullover, alles feinste Qualität, ein Städter voller nervöser Energie, ein beliebter Professor an der Akademie. Aber noch immer läuft ihm ein kleiner Schauer über den Rücken, wenn er an die Fronleichnamsprozession denkt. Freilich reicht ihm die Erinnerung, die Heimat im Kopf.

„Shining“ wurde sein bekanntestes Werk, schmückt auch die Titelseite des lesenswerten Katalogs zur Ausstellung „HEIMsuchung: Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart“, die bis zum 25. 8. im Bonner Kunstmuseum zu sehen ist.

Links das Allgäu und rechts die ganze Welt. Alte Welt, Neue Welt – Hubers Welt. Zwei riesige Landkarten hängen vis-à-vis im Münchener Atelier, auf dem Boden liegt die Nagelschere, mit der er sich aus Atlanten seine Kontinente zurechtschneidet. Den Himalaya versetzt er ins Allgäu, Berlin liegt in der Nähe von Taschkent, seine Inseln heißen Adorno und Benjamin, der Ozean Freud. In dieser zerrissenen Welt der Verwerfungen leuchtet eine grüne Insel als Ruhepol, als sicherer Hort: sein „Emotop“, dessen blaue Seen sich bei näherem Hinsehen als Alice im Wunderland und Häschen aus der Schule entpuppen. Gleich daneben, deutlich kleiner: das „Massaker-Areal“ mit Lidice und Katyn. Nicht fern davon die Sexinsel. Ein „Areal für alleinstehende Igel“ gibt’s auch.

Hat das nicht was von Größenwahn, die Welt auseinanderzureißen, um sie dann nach eigenen Maßstäben neu zusammenzusetzen? Stephan Huber lacht. Natürlich! Künstler sind größenwahnsinnig. Wollen Schöpfer sein.

So ist er als Kind gereist: mit dem Finger auf der Landkarte. „Wahnsinnig in sich gekehrt“, hat er damals in Karten gelebt, der Diercke Weltatlas war seine Bibel. So hat er sich von zu Hause weggeträumt, Tundra, Taiga und Amazonas – „undurchdringliche, gefährliche Welten“ hatten es ihm besonders angetan. „Vielleicht gerade, weil es zu Hause so ungefährlich, auch langweilig war.“

Dahingefahren ist er auch als Erwachsener nie. Die Realität hat ihn noch meistens enttäuscht. Ein international bekannter Künstler, reist Huber nur, wenn er muss: um eine Ausstellung zu eröffnen, Freunde zu besuchen, oder wenn seine Frau ihn zwingt, Urlaub zu machen. Der Künstler hasst Reisen, wie er mit Inbrunst verkündet. „Alles daran!“ Das Rumhängen am Flughafen, die Enge im Flugzeug, „das Pseudo-Internationale“. Er ist fast schockiert, wo seine Töchter schon überall waren. „Ich bin ein absolut nicht globalisierungsfähiger Mensch.“ Sein Lieblingskünstler, Ian Hamilton Finlay, verließ seinen schottischen Garten so gut wie nie.

Ein Jahr hat Huber in New York gelebt, ein weiteres in Paris, ein Dreivierteljahr in Schöneberg, Anfang der 80er Jahre. (Zuflucht vor der damaligen Tristesse fand er im Café Einstein.) Das hat ihm gereicht fürs Leben. Dass er heimkehrt, stand für ihn immer außer Frage. So wie völlig klar war, dass er von zu Hause wegmusste, als er jung war: „um zu überleben“. Es war ihm alles zu eng. Aber es war ein Weggehen, um zurückzukehren, „das Alte mit neuen Augen zu sehen“.

Stephan Huber reist nicht, er pendelt: Drei Tage München, vier Tage Ost-Allgäu. In einem winzigen Dorf, in einer Gegend, karger, abgeschlossener als die Landschaft, in der er aufgewachsen ist, hat er Haus und Atelier, fern der Ablenkungen der Großstadt.

Das Allgäu ist so eigenwillig wie er selbst. Allein die Namen der Orte dort, Schrattenbach, Hochgreut und Ödwang. Oder das Alemannische, dieser westoberdeutsche Dialekt, den Huber erst wieder anstimmt, wenn er ein paar Stunden mit einem Nachbarn in der Pizzeria gesessen hat. So sperrig wie die Zuordnung – bayerisches Oberschwaben –, so widerspenstig wie die Schriftsteller, die hier herkommen, und die der Künstler so verehrt, Arnold Stadler und W.G. Sebald.

Der Heimatkünstler ist Dialektiker

Heimat und Zuhause, die großen Themen seiner Kunst, das bedeutet eingesperrt, bedroht, behütet sein. Letzteres ist durchaus wörtlich zu verstehen. Sein Vater hatte eine Hutfabrik, der Sohn hat riesige Hutskulpturen gemacht, in denen Vögel nisten, aus denen böse Worte strömen.

Der Heimatkünstler ist schließlich Dialektiker. Bei ihm gibt es kein Gut ohne Böse, kein Idyll ohne Grauen, das Schreckliche ist auch immer schön. Und kein Oben ohne Unten. Alles eine Frage der Perspektive: Guckt man vom Berg runter, hat das „was sehr Sublimes“. Guckt man von unten hoch, kommt man sich verdammt klein vor. In seinem Atelier in München-Harras stehen Berge aus Gips herum, ein ganzer Zug aus Rot. Auch hier spielt er Gott, macht die Berge schöner, als sie in Wirklichkeit sind.

Huber mag den Kontrast. Deswegen wählt er als Grundlage für seine subjektive Weltordnung das Raster amerikanischer Militärkarten, die exaktesten Karten, die es gibt. Kronleuchter, die er als Sinnbild großbürgerlicher Kultur oft einsetzt, legt er in Schubkarren.

„Kunst ist ein ernstes Spiel“, zitiert Huber Caspar David Friedrich, den man auch auf seiner persönlichen Weltkarte findet. Bei „Shining“ hat Huber mit großem Vergnügen Kulissenzauber betrieben, die eisige Landschaft mithilfe von Styropor und Trockeneis inszeniert und abfotografiert. Aber keine Illusion ohne Ent-Täuschung. Als Fan Brechts baut er immer Verfremdungseffekte ein. Auf einem der Bilder – die acht mal acht Meter große Installation hat er in vergleichsweise winzige Fotos gebannt – ist die Rückseite des gelblichen Hauses zu sehen, wo die Kulissenarchitektur sich als solche zu erkennen gibt.

Das Telefon klingelt, seine Tochter will wissen, wann er nach Hause kommt. Seit ihre WG in Passau überflutet wurde, sie alles verlor, wohnt die Studentin wieder bei den Eltern in München, in der Nähe vom Deutschen Museum.

Eine Katastrophe, wie sie in Hubers Kunstwelt hinter jeder Türe lauern kann. „Shit happens“ heißt eine seiner Arbeiten. Wer eine der Türen öffnet, blickt auf ein Video, in dem ein Haus von den Fluten weggeschwemmt wird, ein anderes brennt.

Türen, die man öffnen und schließen kann, faszinieren Huber so sehr wie Berge: als Metapher. Als Übergang und Ungewissheit, Gefahr und Verlockung, Anfang und Ende. Am liebsten würde er eine Ausstellung nur mit Türen machen.

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