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Klein Sanssouci. Ein Dresdener Banker hat sich die Villa Sorgenfrei als Sommerresidenz gebaut.

© Elena Steil

Wein und Kunst: Besuch in der Villa Sorgenfrei

Nur eine Straßenbahnfahrt von Dresden entfernt liegt das sächsische Nizza. Ein alter Glockenturm begrüßt den Gast schon aus der Ferne. Radebeul – von Scheurebe bis Old Shatterhand.

Es ist ein Sommer der Sehnsucht gewesen. Der Sehnsucht nach Unbeschwertheit und Süden – nach verlockenden, nun plötzlich unerreichbaren, gefährlichen Orten. Doch das Verlangen lässt sich stillen. Bescheidener vielleicht, auf jeden Fall anders, an diesem überraschend malerischen Ort. Genießen kann man auch in Radebeul, dem „sächsischen Nizza“: Essen, ungewöhnliche Weine, viel Sonnenschein, eine sanfte Kulturlandschaft. „Bleiben Sie gesund“, den Spruch kennt man zur Genüge. Auf dem Radebeuler Staatsweingut Schloss Wackerbarth wird er ergänzt durch die Worte: „und lebensfroh!"

Viele Routen führen nach Radebeul. Man kann, klar, ganz profan mit dem Auto oder Zug fahren – oder dem „Lößnitzdackel“, der Dampfeisenbahn, die Kinder zur Schule und Touristen nach Moritzburg und zurück bringt. Man kann mit dem Rad kommen, immer an der Elbe lang, oder mit dem Dampfer auf dem Fluss. Oder, ganz charmant, von Dresden aus mit der Tram, eine Dreiviertelstunde von Mitte zu Mitte. Wo die eine Stadt aufhört, die andere beginnt, lässt sich dabei kaum sagen, die Nummer 4 fährt über die unsichtbaren Grenzen hinweg.

Schlösschen, Türmchen, Weinberge

Dabei gibt es gravierende Unterschiede. Wurde Dresden im Krieg schwer zerstört, blieb Radebeul weitgehend intakt. Strahlt Dresden das Höfische einer barocken Residenz aus, ist Radebeul ein großbürgerlicher Villenvorort mit fürstlichem Touch, Schlösschen und Türmchen, der sich an die Weinberge schmiegt. Und der ein eigenes Altstädtchen – besser gesagt -dörfchen – an der Elbe hat: Kötzschenbroda.

Natürlich kommt man auch zu Fuß ans Ziel. Von der Tramhaltestelle Schildenstraße geht’s ein wenig bergan, an Villen vorbei, um das Denkmal des Naturheilkundlers und Erfinders der Bilz-Brause, Friedrich Eduard Bilz herum. Der berühmteste Bürger des alten Radebeuls – neben Karl May, versteht sich, Bilz’ Freund, neben dem er begraben liegt –, Bilz also hatte nur das Beste im Sinn: Gesundheit und Vergnügen für alle. An seinem Bilz-Licht-Luft-Bad mit historischem Wellenbad können Besucher sich noch heute laben.

Das Sanatorium hatte weniger Überlebensglück, das wurde in Eigentumswohnungen umgebaut.

"Glück, Gesundheit, Lebensfreude"

Kaum weniger fantasiebegabt als der Erfinder von Winnetou, erdachte Bilz gleich einen ganzen Zukunftsstaat, der „allen Menschen eine sorgenlose Existenz, Glück, Gesundheit und Lebensfreude“ schaffen würde. Im Jahr 2000 sollte es soweit sein.

Das hat bekanntlich nicht geklappt. Doch Sorglosigkeit, Glück und Lebensfreude zumindest für ein paar Tage und gegen Bezahlung, findet man wenige Schritte vom Denkmal des Herrn Bilz entfernt. Verfehlen kann man das Ziel nicht, der alte Glockenturm grüßt den Gast schon aus der Ferne. Villa Sorgenfrei, allein der Name – unbezahlbar. Wer die kurze Allee zum Herrenhaus hochläuft und durch den Garten spaziert, betritt eine eigene Welt. Das Gebäudeensemble stammt aus dem 18. Jahrhundert, der Komfort aus dem 21., die Einrichtung des Boutiquehotels ist eine Mischung aus Alt und Neu.

Das Staatsweingut Schloss Wackerbarth produziert auch Sekt für die Villa Sorgenfrei.
Das Staatsweingut Schloss Wackerbarth produziert auch Sekt für die Villa Sorgenfrei.

© Anke Wolten-Thom

In Dresden wird seit jeher regiert, gearbeitet und Geld verdient – in Radebeul gab man sich seit jeher dem Vergnügen und der Entspannung hin. So hat es auch Christian Friedrich Freiherr von Gregory getan. Der Bankier hat sich die Villa Sorgenfrei als Sommerfrische gebaut. Zu DDR-Zeiten waren darin Wohnungen untergebracht, Ende der 90er Jahre hat es ein Stuttgarter Ehepaar als Hotel renoviert, musste es jedoch später verkaufen. Seit fünf Jahren hat der Koch Stefan Hermann das Ganze gepachtet.

Den umtriebigen Gastwirt und Koch aus Dresden kürte der Gault Millau schon 2017 zum Gastronom des Jahres. Unter Hermanns Regie gibt es im Sternerestaurant „Atelier Sanssouci“ jetzt weniger Pünktchen und Schäumchen auf dem Teller, wie Sommelier John Piotrowsky sagt. Das Kochen darf wieder mehr Handwerk als Kunst sein. Jetzt gibt es zum Beispiel geräucherte Kartoffeln mit Kräuterschmand und Samen von Beifuß. Köstlich. Im Gartensaal, in dem auch das Frühstück serviert wird, sitzen die Gäste unter Lüstern und löffeln ihr Süppchen aus Meissener Porzellan, mit Blick durch die hohen Sprossenfenster nach draußen.

Die Scheurebe - der sächsische Sauvignon

Die erwähnte Bilz-Brause wurde später in Sinalco umgetauft – ein, wie der Name schon sagt, alkoholfreies Tafelgetränk. Mehr Prozente serviert John Piotrowsky hier am Abend. Zum Sieben-Gänge-Menü bringt der freundlich-zurückhaltende Sommelier, seit zehn Jahren im Haus, eine sächsische Weinentdeckung nach der anderen. Er lobt die Scheurebe – „der sächsische Sauvignon“ –, liebt den Traminer vom Goldenen Wagen, wie ein Radebeuler Weinberg heißt, und kredenzt als Höhepunkt des Abends den opulenten Muskateller vom Weingut Zimmerling.

Durch den Klimawandel steigen die Promille an der Sächsischen Weinstraße sogar noch. „Cool climate Saxony“, wie der englische Slogan auf den Flaschen lautet, so ganz stimmt er nicht mehr.

In den 30 Jahren nach der Wende haben sich die Weine aus dem Elbtal gewaltig entwickelt. Am nächsten Morgen führt der Weg zum Schloss Wackerbarth. Der Sekt der Villa Sorgenfrei wird dort, im Staatsweingut, gerüttelt, dem zu DDR-Zeiten einzigen Sekt-Produzenten neben Rotkäppchen. Wurden damals acht Millionen Flaschen produziert, sind es heute noch 250 000. Masse ist nicht mehr das wichtigste Kriterium.

Aufstieg und Fall des lokalen Weinbaus

„Erlebnisweingut“ nennt Wackerbarth sich heute. Was schlimmer klingt, als es ist. Zum Schloss gehört eine sehr symmetrische, sehr akkurat gestutzte Gartenanlage. Wer am Hausberg auf den barocken Terrassen sitzt, bekommt zum Sekt Jazz und Klassik vorgespielt. Das muss man mögen. Neben Führungen durch den Keller werden, wie von einigen Gütern, auch Weinbergswanderungen mit Verkostung angeboten.

Wer mehr über die Geschichte des sächsischen Weinbaus erfahren will, spaziert zur Hoflössnitz am Fuße des Goldenen Wagen: ein romantisches, heute biologisches Weingut, das zugleich als Zentrum der Winzer aus der Umgebung dient, deren Weine man hier kaufen kann. Wenn man sie nicht gleich unter den Kastanienbäumen trinkt. Im kleinen Museum, allein wegen der Decken- und Wandmalereien einen Besuch wert, kann man dann die Historie des Weinbaus nachlesen: der Aufstieg im 17., 18. Jahrhundert, der Niedergang im 19. Jahrhundert (die Reblaus!) und die Renaissance seit dem 20. Jahrhundert.

Sommelier John Piotrowsky mag außergewöhnliche Weine.
Sommelier John Piotrowsky mag außergewöhnliche Weine.

© Anke Wolten-Thom

Billig sind die Weine nicht, das Klima ist mild, aber die Lagen sind steil. So wunderschön die charakteristischen Terrassen anzuschauen sind – bearbeiten lassen sie sich oft nur per Hand. Bei Wackerbarth fangen die Preise bei zehn Euro an. Wackerbarth, aber auch Proschwitz, sagt Sommelier Piotrowsky, 42, sind die großen Namen der Region, von denen auch kleinere Winzer, Quereinsteiger und Neugründer profitieren. Solche wie das Weingut Schuh in Coswig. Schuh senior war Winzer an der Mosel, und kaufte seine Berge 1994, als noch alles zugewachsen war. Vor vier Jahren hat Sohn Matthias das Gut zusammen mit seiner Schwester Katharina übernommen.

Der 32-Jährige – lustig, braungebrannt, strotzend vor Energie –, hat nach seinem Weinbaustudium unter anderem zwei Jahre in Neuseeland gearbeitet. Oben auf seinem Berg, mit Blick bis zum Meißener Dom, zeigt er auf den Abschnitt, den er gerade neu bepflanzt hat – mit Chardonnay, wo früher Goldriesling wuchs. Schuh verzichtet auf Herbizide, arbeitet mit Stroh und Pferdemist. Er schwärmt vom Mikroklima dank Elbe und der Trockenmauern, die hier Teil der historischen Kulturlandschaft sind. Allerdings setzt auch den Mauern die Hitze zu – sie platzen leichter.

Seinen Mitarbeitern hat Schuh ein kleines Planschbecken zur Abkühlung in den Berg gehängt. Daneben serviert er jetzt kräftige Bratwürste von Georg Händler, einem Metzger der Region, der eigene Rinder hält, und dessen Produkte auch die Villa Sorgenfrei serviert.

Die Nähe von Kunst und Wein

Was so typisch für die Gegend zu sein scheint wie die Trockenmauern: die Nähe von Kunst und Wein. Bei den ökologischen Pionieren der Nachwendezeit zum Beispiel, Klaus Zimmerling, der 92 schon anfing hier, mit seiner Frau Malgorzata Chodakowska in Pillnitz. Die Skulpturen und Springbrunnen, die die Bildhauerin in ihrem Atelier im Weinberg schafft, zieren als Abbildungen nicht nur die eigenen Weinetiketten, man stößt auch in der Villa Sorgenfrei auf sie.

Der Radebeuler Winzer und Steinmetz Karl Friedrich Aust stammt aus einer Künstlerfamilie; das Gut „Drei Herren“ wurde unter anderem von einem Kunsthistoriker gegründet, dem früheren Leiter der Kunsthochschule Dresden. Das erzählt Matthias Gräfe bei seinem Spaziergang durch den Weinberg, der mit ein paar Häppchen und Wein beginnt und mit Skulpturen zwischen Reben weitergeht. In seinem Weinlokal in Radebeul-Ost verkauft Gräfe nicht nur Käse und Wurst aus der Region, er zeigt auch die Werke von Künstlern aus der Region.

Zwei Aufreger und ein Fest

Ganz sorgenfrei ist Radebeul selbst nicht. Vor ein paar Monaten sorgte die Stadt für Negativschlagzeilen im ganzen Land, als der nach rechts gerückte Schriftsteller Jörg Bernig zum Kulturamtschef ernannt werden sollte – gegen massiven Protest unter anderem der vielen dort ansässigen Künstler. Was schließlich zum Widerspruch des Oberbürgermeisters führte und dazu, dass Bernig seine Bewerbung zurückzog.

Der andere Aufreger des Jahres: Der neue Direktor des Karl May Museums, der die arg folkloristische Villa Shatterhand modernisieren wollte, wurde ganz schnell wieder abgesetzt. Die Gefahr einer Spaltung Radebeuls klingt in Gesprächen an. Etliche der hier ansässigen Künstler haben sich im vergangenen Jahr zu einem Kulturverein zusammengeschlossen, der bei den Protesten gegen Bernig eine wichtige Rolle spielte.

Jetzt aber kommt erst mal ein einigendes Kulturereignis: Am letzten Septemberwochenende wird das Weinfest wie gewohnt mit einem internationalen Wandertheaterfestival gefeiert. Und diesmal, den Abstandsregelungen zum Dank, wird die ganze, langgestreckte Stadt zur Bühne.

Reisetipps für Radebeul

Hinkommen

Mit der Bahn in zwei Stunden aus Berlin,

ab 19 Euro.

Unterkommen
Villa Sorgenfrei, Augustusweg 48, Doppelzimmer ab 81 Euro. hotel-villa-sorgenfrei.de

Pension Gästehaus Hoflößnitz, im Winzerhaus, Lößnitzgrundstraße 19, Doppelzimmer ab 40 Euro, hofloessnitz.de.

Rumkommen
Individuelle Weinwanderungen mit Verkostungen arrangiert Matthias Gräfe von „Wein & fein“, Hauptstraße 19, graefes-weinundfein.de. In dem Ladenlokal bekommt man auch Proviant für den Gang auf eigene Faust: radebeuler-winzer.de/weinwanderung.

Weingut Klaus Zimmerling, Bergweg 27,

Pillnitz. Der Ausschank hat Freitag bis Sonntag geöffnet. weingut-zimmerling.de.

Weingut Schuh in Coswig, Dresdner Straße 314, mit Restaurant und Vinothek, bietet Verkostungen an. weingut-schuh.de.

Die Reise wurde unterstützt von der Villa Sorgenfrei.

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