zum Hauptinhalt
Boateng wird vorgeworfen, seine Ex-Freundin 2018 in einem gemeinsamen Karibik-Urlaub geschlagen zu haben.

© Foto: Christof Stache/AFP

Update

Boateng verweigert Aussage: Worum es im Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung geht

Das Verfahren wegen Körperverletzung gegen Jérôme Boateng wird neu verhandelt. Die Vorwürfe wiegen schwer und sie werfen ein Licht auf die Zustände im Profi-Fußball.

| Update:

Der Fußballstar Jérôme Boateng steht am Donnerstag in München erneut vor Gericht. Begleitet von großem Medienrummel begann am Morgen am Landgericht der Prozess gegen den langjährigen Nationalspieler. Eine Aussage verweigerte er.

„Er bestreitet strafbares Tun, wird sich ansonsten aber nicht zur Sache äußern“, sagte sein Anwalt. Zuvor hatte Boateng einen Vorschlag des Gerichts auf eine Verständigung abgelehnt. Er könne das „mit seinem Gewissen nicht vereinbaren“.

Auch wenn die Verhandlung sicher „anstrengend und langwierig“ werde, wolle Boateng das Verständigungsangebot nicht annehmen, sagten seine Anwälte.

Möglich wäre es unter Umständen beispielsweise gewesen, dass die Prozessparteien ihre Berufung zurücknehmen und das Urteil des Amtsgerichts, das Boateng im vergangenen Jahr wegen Körperverletzung an seiner Ex-Freundin zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro verurteilt hatte, damit rechtskräftig wird.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Boatengs Verteidiger betonten, ihr Mandant habe vor allem vor dem Hintergrund umfangreicher Berichterstattung über ihn im Vorfeld des Prozesses „Anspruch auf ein faires Verfahren“. In einer großen Recherche hatten Correctiv und „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) neue Details zum Fall Boateng veröffentlicht.

Worum es im Verfahren „Karibik“ geht

Bei dem Prozess im vergangenen Jahr wurde Boateng vorgeworfen, seine Ex-Partnerin und die Mutter seiner Zwillingsmädchen im Urlaub geschlagen, geboxt, ihr in den Kopf gebissen, sie auf den Boden geschleudert und dabei heftig beleidigt zu haben. Weil sie den Urlaub in einem Luxusresort auf den karibischen Turks- und Caicosinseln verbrachten, trägt das Verfahren den Namen „Karibik“.

Sherin S. sagte vor Gericht aus, sie sei auf die Knie gefallen, bevor er ihr so stark „in die Niere geboxt“ habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Laut Staatsanwaltschaft soll Boateng zudem „in voller Wucht“ eine Glaslaterne und eine Kühltasche auf sie geworfen haben. Boatengs Ex-Partnerin behauptete, es sei nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen, sehr wohl aber der heftigste.

Jérôme Boateng wechselte 2021 vom FC Bayern München zu Olympique Lyon.
Jérôme Boateng wechselte 2021 vom FC Bayern München zu Olympique Lyon.

© Foto: picture alliance/dpa/AFP

Boateng stritt die Vorwürfe ab. Er beteuerte, er habe Sherina S. nie geschlagen. Ein Gutachter hielt die Version seiner Ex-Partnerin für die wahrscheinlichere, das Gericht folgte der Einschätzung. 

Es verurteilte Boateng zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro. Die Summe wurde ausgelegt auf 60 Tagessätze zu je 30.000 Euro, dem höchstmöglichen Tagessatz. Als vorbestraft gilt man jedoch erst ab 90 Tagessätzen.

Prozess wird wieder aufgerollt

Boatengs Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Nach der Verurteilung tauschte Boateng seinen Anwalt aus und geht nun gegen das Urteil vor. Offenbar möchte er damit auch sein angekratztes Image retten.

Denn zuletzt lief es auch beruflich nicht rund. Zehn Jahre stand er beim FC Bayern München unter Vertrag. Der Verein trennte sich im Sommer 2021 von Boateng, woraufhin er nach Frankreich zu Olympique Lyon wechselte. Doch auch dort, heißt es immer wieder, stehe er auf dem Abstellgleis.

Wir sind optimistisch, dass es in wesentlichen Fragen zu neuen Erkenntnissen kommen wird.

Norman Nathan Gelbart, Boatengs Anwalt

„Die Verteidigung vertritt die Auffassung, dass in dem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht München wichtige, Herrn Boateng entlastende Umstände nicht beziehungsweise nicht ausreichend gewürdigt wurden“, teilte sein neuer Verteidiger Norman Nathan Gelbart vor dem Berufungsprozess mit.

„Wir sind optimistisch, dass es in wesentlichen Fragen zu neuen Erkenntnissen kommen wird.“ Er hoffe auf ein „faires Verfahren“. Auch Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin haben Berufung eingelegt. Sie fordern ein härteres Urteil.

Hat Boateng seine Ex-Freundin abgehört?

Bei Recherchen erfuhren „Süddeutsche Zeitung“ und Correctiv unter anderem brisante Details zu Boatengs Beziehung zu Sherin S. Demnach fand die heutige 32-Jährige im Januar 2018 in der Lampe ihres Schlafzimmers ein verstecktes Mikrofon. Durch die rote Kontrollleuchte sei sie darauf aufmerksam geworden.

Etwa ein Jahr zuvor war dem Bericht zufolge in ihrer Wohnung eingebrochen worden - doch danach fehlte nichts. „Die Polizei vermutete später, dass Sherin S. auf diese Art fast ein Jahr lang abgehört worden ist“, heißt es in der SZ.

Dem Recherchekollektiv liegen zudem private Nachrichten zwischen Sherin S. und Boateng aus jener Zeit vor. Darin behauptet der Fußballprofi, Sherin S. mit einem anderen Mann im Bett gehört zu haben.

Rätsel um verstorbene Ex-Freundin

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt in einem anderen Fall gegen Boateng. Dabei geht es um Körperverletzung gegen Katarzyna Lenhardt, genannt Kasia. Auch diese Vorwürfe bestreitet er. Mit dem Model war der Fußballer etwa 15 Monate zusammen. Im Februar 2021 nahm sich die 25-Jährige das Leben.

Wenige Tage zuvor war in der „Bild“ ein Interview mit dem Fußballer unter dem Titel „Boateng rechnet mit seiner Ex ab – Es geht um Alkohol, Druck und Erpressung“ veröffentlicht worden. Darin unterstellte er Lenhardt Alkoholprobleme und behauptete, sie habe ihm damit gedroht, seine Karriere zu zerstören.

Kasia Lenhardt unterschrieb offenbar „unter Angst“ eine Verschwiegenheitserklärung.
Kasia Lenhardt unterschrieb offenbar „unter Angst“ eine Verschwiegenheitserklärung.

© Foto: picture alliance/dpa/Geisler-Fotopress

Nach dem Suizid ihrer Tochter legte Lenhardts Mutter dem „Spiegel“ Nachrichten, Videos und Chats offen, die darauf hinweisen, dass Lenhardt sich als Opfer einer Hasskampagne fühlte, die Boateng mit steuerte.

Quellen aus Lenhardts Umfeld sagten der „Süddeutschen Zeitung“, die 25-Jährige habe nach der Trennung von Boateng Angst gehabt. Der Mutter waren an ihrer Tochter blaue Flecke an den Oberschenkeln und weitere Verletzungen aufgefallen. „Sie bestätigte, öfters geschlagen worden zu sein“, gab die Mutter in einer schriftlichen Erklärung an.

Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge sollte Lenhardt eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Boateng selbst soll sie gut zwei Wochen vor ihrem Tod dazu gedrängt haben. Lenhardt soll sich nach einem heftigen Streit zunächst geweigert, den Vertrag „unter Angst“ dann aber doch unterschrieben haben, wie die Mutter erklärte.

Boateng ist kein Einzelfall

Wie die Recherchen aufzeigen, ist der Fall Boateng kein Einzelfall im Profi-Fußball - auch im deutschen nicht. Gegen Atakan Karazor vom VfB Stuttgart etwa wird in Spanien wegen des Verdachts der Vergewaltigung ermittelt. Bayern-Profi Kingsley Coman entging 2017 mit einer Geldstrafe einem Gerichtsverfahren wegen eines tätlichen Angriffs auf seine Ex-Freundin.

Sie bestätigte, öfters geschlagen worden zu sein.

Mutter von Kasia Lenhardt

Das Recherchekollektiv berichtet nun außerdem von Vorwürfen mehrerer Frauen gegen insgesamt neun aktive oder ehemalige Fußballspieler aus Nationalmannschaft, Bundesliga und einer Mannschaft in einer der anderen höchsten Spielklassen Europas. Weil sich die Frauen nur anonym äußern wollen, werden auch die Namen der Spieler nicht genannt.

Die Frauen berichteten der „Süddeutschen Zeitung“ von Schlägen, Tritten, Demütigungen und Psychoterror. Dass die Vorfälle meist nicht in die Öffentlichkeit gelangen, liegt daran, dass sie so gut wie möglich vertuscht werden.

Frauen werden eingeschüchtert

Die Frauen werden häufig unter Druck gesetzt und eingeschüchtert. Einige erzählten dem Recherchekollektiv, ihr Ex-Partner habe gedroht, Drogen bei ihnen zu verstecken oder erfundene Skandalgeschichten über sie zu verbreiten. Unter den Frauen sei die Angst groß.

Die Fußballer dagegen sind von einem Netzwerk aus Vereinen, Anwälten und Beratern umgeben, die darauf bedacht sind, dass keine negativen Nachrichten das Image des Fußballstars schädigen.

Den Recherchen zufolge werden dafür immer wieder Verschwiegenheitserklärungen eingesetzt, um die Frauen mundtot zu machen. „Wer nicht über die Vergangenheit spricht, darf im Gegenzug damit rechnen, finanziell nicht ins Bodenlose gezogen zu werden oder wenigstens weitgehend aus der vom berühmten Partner quasi geliehenen, oft genug unangenehmen Prominenz wieder zu verschwinden“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“

Auch Sherin S. zeigte den Vorfall im Karibikurlaub erst drei Monate später an. Im ersten Prozess 2021 sagte sie zur Begründung: „Da hängt ja mehr dran, als man im ersten Moment so denkt, Presse und so weiter.“ Gegenüber Freunden sagte sie, wenn sie zur Polizei geht, nehme Boateng ihr die gemeinsamen Kinder weg. (Tsp, dpa)

Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das geht auch anonym: Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar unter der Telefonnummer 0800 - 11 10 111. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false