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Überraschung gelungen. Wundertüten erinnern an die Magie des Schenkens.

© pa/Martin Gerten

Die Geschenkkolumne: Wunder aus der Tüte

Scherzartikel, Süßigkeiten, Postkarten, Magnete und Witzfiguren: Warum kleine Geschenke spannender sind als ein großes.

Was Besonderes soll es sein. Nichts von der Stange. Eine Überraschung!

Und was, wenn einem nichts einfällt? Oder die Geschäfte alle geschlossen sind? In diesem Fall geht man in die Oranienstraße 25, dritter Stock, Vorderhaus. Selbst um Mitternacht wird man dort fündig. Beherzt die Tür öffnen, durchs prächtige Treppenhaus laufen, oben leuchtet einem der Automat schon entgegen: „Bediene dich selbst!“ Man muss nur vier Euro einwerfen – und dann? Welche Klappe soll man bloß ziehen! Von außen ist nicht zu erkennen, was sich in den einzelnen Wundertüten befindet. Das macht sie ja so reizvoll: dass sie ihr Geheimnis bewahren.

Die aparten Wundertüten packt das Berliner Werkbundmuseum, vor dessen Tür der Automat steht, und das selbst eine Wunderkammer ist, der Alltagskultur. Ich habe die Nr. 11 223 erwischt, aus der Serie „Glänzende Aussichten“. An der Tüte hängt ein Deckblatt aus Pergament, was dem Ganzen gleich etwas Kostbares verleiht, darauf gedruckt eine Seite aus einem alten, illustrierten Lexikon. Glanzgold wird da erklärt, Glanzgras, Glanzhaut, Glanzvögel, Glanzzwirn ... Im klarsichtigen Tütchen glitzert es. Schlangen, Konfetti, ein sehr realistisch wirkender Augapfel, die Bastelanleitung für ein Kaleidoskop. Jede Menge Überraschung für zwei mal zwei Euro. Eine Schachtel Zigaretten kostet mehr.

Der materielle Wert ist nicht das Wichtigste

Wundertüte – allein der Klang des Wortes hat etwas Betörendes. Sie ist eine Erfindung der Nachkriegszeit, zu unserer Kindheit gehörte sie wie Gummitwist und Capri-Eis. Die Firma Heinerle hatte damals praktisch das Monopol. Aufgeregt haben wir die Tüten aufgerissen und die Ketten rausgefischt, die kleinen Indianer und Krokodile aus Plastik, haben den Puffreis geknabbert. Es gab Wunder für Mädchen und solche für Jungs, die Rollenfixierung hat uns nicht irritiert. Wir hatten große Erwartungen, die immer auch ein bisschen enttäuscht wurden, aber die Vorfreude aufs nächste Mal nicht schmälern konnten.

Die Firma Heinerle existiert nicht mehr, möglicherweise hat das Überraschungsei ihr den Markt abgegraben. Aber der Zauber ist geblieben. Die Wundertüte erinnert an die Magie des Schenkens: dass der materielle Wert nicht das Wichtigste ist. Und dass ein Präsent nicht nützlich sein muss. In so einer Tüte ist garantiert nie eine Waschmaschine drin. Ihr Wunder hat nichts mit Lourdes zu tun, es besteht darin, jemanden zum Staunen zu bringen, selbst einem Erwachsenen eine kindliche Freude zu machen, etwas Geheimnisvolles zu überreichen, dessen Inhalt nicht mal der Käufer kennt.

„Gut gekauft – Gut gelaunt“

Man kann sie inzwischen sogar online kaufen. „Eine Tüte Glück“, „Eine Tüte Liebe“. Aber was für eine Liebe ist das denn, die man im Internet bestellt! Das sollte man schon selber machen, die kleinen Überraschungen einpacken. Scherzartikel, Süßigkeiten, Postkarten, Magnete, Witzfiguren, Glückspfennige, meinetwegen Wunderkerzen. Ein Sack Nonsens. Viele kleine Geschenke sind sowieso immer spannender als ein großes.

Worein damit? Man könnte eine Obsttüte nehmen, wie sie auch das Werkbundarchiv nutzt. Oder eine Schachtel, die immer was von Schatzkiste hat.

Ganz Glückliche haben noch Papiertüten aus der DDR gehortet, mit ihren schönen grafischen Mustern und Sprüchen wie „Gut gekauft – Gern gekauft“. Alle anderen können zum Verschenken das großartig gestaltete, klug betextete Buch „Freude am Einkauf. Papiertüten in der DDR“ besorgen. Für schlappe 9,80 Euro. Wie heißt es auf einer der darin abgebildeten Tüten: „Gut gekauft – Gut gelaunt“.

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