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Dr. WEWETZER: Das Spiel des Lesens

Es ist nicht leicht, meinen Nachwuchs vom Spielen am Computer wegzulotsen. Um nicht zu sagen, es ist nahezu unmöglich. Aber vielleicht wird da spielerisch daran gearbeitet, die Lernfähigkeit und die Konzentration zu schärfen.

Anders als von hiesigen Kassandrarufern behauptet, gibt es nämlich jede Menge Hinweise darauf, dass Videospiele helfen können, das Denkvermögen zu verbessern – von „digitaler Demenz“ keine Spur. Der jüngste Beleg kommt aus Italien. Dort haben Hirnforscher Hinweise darauf gefunden, dass Actionspiele gegen Lese- und Rechtschreibschwäche, Legasthenie, helfen können.

Das klingt natürlich auf den ersten Blick abenteuerlich. Doch die Idee ist nicht so weit hergeholt, wie es scheint. Ein großes Problem bei Leuten mit Leseschwäche besteht darin, Buchstaben eines Textes rasch und präzise auszuwählen, bevor sie dann in gesprochene Sprache umgesetzt werden. Hier kommen die Spiele ins Spiel. „Action-Videospiele verbessern viele Aspekte visueller Aufmerksamkeit, hauptsächlich, indem sie die Fähigkeit verbessern, Informationen aus der Umwelt zu gewinnen“, sagt Andrea Facoetti von der Universität Padua. Denn bei diesen Games kommt es darauf an, Gegenstände im Zentrum wie in der Peripherie im Auge zu behalten, obwohl es wild und chaotisch zugeht. Und so testeten Facoetti und sein Team Videospiele auf die Möglichkeit, Kinder beim Lesen zu unterstützen.

Die Hirnforscher ließen 20 Kinder zwischen sieben und 13 Jahren mit Legasthenie über zwei Wochen verteilt insgesamt zwölf Stunden an der Spielkonsole Wii die Minispiel-Sammlung „Rayman Raving Rabbids“ zocken. Die eine Hälfte der Kinder hatte es mit hektischen Actionszenen zu tun, in denen man etwa Hasen mit Klostampfern beschießt, die andere beschäftigte sich mit den eher „gemütlichen“ Teilen des Videospiels.

Es stellte sich heraus, dass die Kinder in der Actionspiel-Gruppe danach deutlich schneller lasen als die in der weniger geforderten Gruppe, ohne dass die Genauigkeit beim Lesen darunter litt. Der Effekt hielt mindestens zwei Monate an, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Current Biology“. Zwölf Stunden Videospiel hätten mehr für das Lesevermögen der Kinder getan als ein Jahr normaler Entwicklung oder hergebrachter Lesetherapie.

Allerdings sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen, denn die Untersuchung ist mit 20 Teilnehmern recht überschaubar und sollte von anderen Forschern zunächst einmal bestätigt werden. Auch die Wissenschaftler selbst sind zurückhaltend. Die Ergebnisse seien sehr wichtig, um zu verstehen, was im Gehirn bei Legasthenie vor sich gehe, sagt Facoetti. „Aber man kann aus ihnen nicht die Empfehlung ableiten, nun unkontrolliert Videogames spielen zu dürfen.“

Auf der anderen Seite seien wissenschaftlich begründete preiswerte Förderprogramme denkbar, mit denen Legasthenie gemildert oder womöglich verhindert werden könne, hofft der Forscher. Selbst im albernsten Spiel steckt ein Stück vom Ernst des Lebens.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

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