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NMOSD kann zu einem plötzlichen Verlust der Gehfähigkeit führen.

© Imago

Gamechanger: Die seltene Autoimmunerkrankung NMOSD ist heute besser behandelbar

Es kommt vor, doch nicht oft: Eine Seltene Erkrankung wird durch eine neue Therapie behandelbar. Bei der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung ist das jetzt passiert.

Man kann von einem großen Glück sprechen, wenn ein Medikament gegen eine Seltene Erkrankung zugelassen wird. Bei NMOSD (Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen) sind vor wenigen Jahren gleich drei spezifische Immuntherapeutika neu auf den Markt gekommen.

Die Wirkstoffe setzen an den zerstörerischen Autoimmunprozessen an, bei denen Autoantikörper gegen Aquaporin-4 gebildet werden, die schwere Schäden am Sehnerven, Gehirn und Rückenmark anrichten. Dass die Medikamente äußerst wirksam sind, bestätigt Friedemann Paul, der an der Charité eine Spezialsprechstunde für NMOSD-Patienten leitet. „Alle drei Medikamente sind absolute Gamechanger“, sagt er.

Die Autoimmunerkrankung NMOSD ähnelt in vielem der Multiplen Sklerose. Darum erhielt noch bis vor zehn Jahren etwa jeder zweite Patient eine MS-Fehldiagnose. Inzwischen sind Tests auf Aquaporin-4 verfügbar – der Biomarker lässt sich im Blut bestimmen und kommt bei MS nicht vor –, so dass die Mehrheit der Betroffenen heute in der Regel innerhalb weniger Wochen oder Monate die richtige Diagnose bekommt. Das sei insofern entscheidend, als beide Erkrankungen nicht nur andere Ursachen hätten, sondern auch „ganz anders behandelt werden müssen“, erklärt Neurologe Paul. „Wir haben gelernt, dass MS-Medikamente die NMOSD sogar verschlimmern können.“

NMOSD hat eine sehr viel schlechtere Prognose als MS und führt unbehandelt zu wesentlich mehr Todesfällen.

Friedemann Paul, Charité

Hinzu kommt: Die Schübe verlaufen schlimmer als bei der MS und führen sehr viel schneller zu einer bleibenden neurologischen Behinderung, etwa eine starke Sehbeeinträchtigung oder gar Erblindung. Ein Schub kann aber genauso den plötzlichen Verlust der Gehfähigkeit oder die Lähmung aller Extremitäten bedeuten. Oder kaum behandelbare Schmerzen durch eine Myelitis, also eine Entzündung des Rückenmarks. „Die NMOSD ist eine ausschließlich schubgetriebene Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die eine sehr viel schlechtere Prognose hat als die MS und unbehandelt zu wesentlich mehr Todesfällen führt“, verdeutlicht Friedemann Paul. Darum sei es bei der NMOSD noch wichtiger, Krankheitsschübe zu verhindern.

Studien zeigen, dass das Risiko für weitere Schübe mit den neuen Immuntherapeutika Eculizumab, Satralizumab und Inebilizumab um rund 70 bis 90 Prozent gesenkt werden kann. Das hat die Erkrankung weniger bedrohlich gemacht – zumindest für die 80 Prozent der Patienten, die AQP4-IgG+ seropositiv sind. Ein Meilenstein, findet NMOSD-Spezialist Paul. „Wir haben nun für die Mehrzahl der Betroffenen eine zielgerichtete und durch Studien geprüfte Behandlungsmöglichkeit in der Hand, die wir vor fünf Jahren noch nicht hatten.“

In Deutschland leben gerade mal 1500 bis 2000 Menschen mit NMOSD. Damit gehört die Erkrankung zu den Seltenen Leiden. Hellhörig sollten Ärzte und Patienten werden, wenn es sehr rasch zu drastischen neurologischen Ausfällen kommt, die vor allem den Sehnerven und das Rückenmark betreffen. Auch wenn durch die klassischen MS-Schubtherapien mit hochdosiertem Kortison oder einer Blutwäsche keine Besserung eintritt, sollte man an NMOSD denken. Typisch für einen Schub im Hirnstamm sind außerdem Übelkeit, Schluckauf und unstillbares Erbrechen.

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