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Praxisführer - Folge 6: Darmspiegelung: Was im Menschen vorgeht

Ein Krebsgeschwür im Darm ist sehr gefährlich – nur wenn er früh erkannt wird, ist der Tumor heilbar. Dazu führen Ärzte ein Endoskop in den Patienten – ein Multitalent unter den Geräten, das Kohlendioxid ausstößt und das Innere filmt

Die schwarzen Endoskope hängen im Stahlschrank wie Aale – vier längere für die Darmspiegelung und vier kürzere für den Blick in den Magen. Ein Stahlschrank, das muss sein: So ein Gerät – ein 1,40 Meter oder 1,50 Meter langer biegsamer Schlauch mit Elektronikkasten und Steuerelementen am Ende – kostet schnell 12 000 Euro oder mehr. Und in der Praxis von Andreas Schröder in Wilmersdorf hängen acht davon.

Schröder ist 57 Jahre alt, hat grau meliertes Haar, Brille, Schnäuzer und einen weißen Kittel. Gerade eben hat er eines der langen Endoskope aus dem Schrank geholt. Eine Darmspiegelung zur Krebsvorsorge steht an.

Die Patientin im Untersuchungszimmer liegt auf der linken Seite, die Beine etwas angewinkelt. Sie ist zwar bei Bewusstsein, aber durch die starken Beruhigungsmittel döst sie auf der Liege vor sich hin und bekommt von dem, was in ihr passiert, nicht viel mit. Selbst als die Schwester ihr auf den Bauch drückt, um die Passage des Endoskops am ersten Darmknick zu erleichtern, stöhnt die Patientin nur leicht.

Schmerzen im Darm würde sie aber sowieso nicht bemerken. In der Darmwand gibt es keine Schmerzrezeptoren. Eventuelle Missempfindungen bei einer solchen Untersuchung kämen auch nicht vom Endoskop, sondern eher vom „Gezerre“ an der Darmaufhängung, wenn er mit dem Endoskop mit etwas mehr Nachdruck vorankommen müsse, erklärt Schröder.

Nur sehr wenige Patienten in Schröders Praxis – er selbst schätzt rund zehn Prozent – verzichten auf die Beruhigungsmittel. Diese wenigen möchten als ganzer Kerl gelten oder wollen die Untersuchung auf dem Bildschirm neben der Untersuchungsliege selbst verfolgen.

„Als ich es bei mir machen ließ, habe ich mir eine Spritze geben lassen“, sagt Schröder. „Das macht es für den Patienten leichter.“ Und Neugier auf den Innenanblick des Darmes wird den Arzt wohl auch nicht mehr wachhalten: Dafür hat er in seinem Berufsleben schon zu viele Gedärme von innen gesehen. Sein normaler Arbeitstag besteht aus zehn Darm- und vielleicht drei Magenspiegelungen. Er macht den Job seit 16 Jahren als niedergelassener Arzt, vorher arbeitete er bereits vierzehn Jahre in einer Klinik.

Die Untersuchung, die jetzt vor ihm liegt, ist die dritte an diesem Tag. Der Darmabschnitt, der auf dem Bildschirm sichtbar wird, ist sauber ausgespült. Das Endoskop, das Schröder durch das Rektum seiner Patientin eingeführt hat, ist jetzt etwa 30 Zentimeter im Körper. Die feucht schimmernden pergamentfarbenen Wände sind marmoriert durch unzählige feine rote Blutgefäße. In regelmäßigen Abständen durchziehen Muskelringe das Gewebe, die ein wenig an den Blick hinauf in ein rundes Treppenhaus erinnern. Diese Ringe sorgen für die Peristaltik des Darms, also die unwillkürlichen Bewegungen, mit denen der Speisebrei durch das Verdauungsorgan transportiert wird.

Isolde Gehringer*, die Patientin, durfte 24 Stunden vor dem Termin nichts mehr essen, musste dafür um so mehr trinken. Insgesamt vier Liter Wasser, in dem ein Abführpulver aufgelöst wird und das – so sagt Frau Gehringer nach der Untersuchung augenzwinkernd – „nicht gerade wie frisch gepresster Orangensaft schmeckt“. Auch wenn der Hersteller sich alle Mühe gab, die Mischung aus Natriumpicosulfat, Magnesiumoxid und Citronensäure-Monohydrat mit „einem frischen Citrusfruchtgeschmack“ zu aromatisieren.

Die Klimaanlage kühlt die Luft im Untersuchungsraum und sorgt für permanenten Belüftungsstrom – wenn das nicht so wäre, dann würde sich wohl ein gewisser Geruch im Untersuchungszimmer nicht ganz vermeiden lassen. Schließlich steckt der Endoskopschlauch, den Schröder durch den Körper seines Patienten bugsiert, fast 1,50 Meter tief im Darm.

Schnell schiebt Schröder das Instrument über den absteigenden Darmabschnitt, den querliegenden und schließlich aufsteigenden Teil zum Blinddarm.

Eine Schwester kümmert sich intensiv um den Patienten, steht am Kopfende der Liege, da wo auch der Monitor steht, spricht manchmal leise auf ihn ein, hält die Hand. „Hier geht es auch darum, Ängste zu nehmen“, sagt Schröder.

Der häufigste Grund für eine Darmspiegelung ist die Krebsvorsorge. Ab dem 55. Lebensjahr bezahlen die Krankenkassen alle zehn Jahre eine Untersuchung, mit der Frühstadien von Tumoren aufgespürt und gleich entfernt werden.

Manchmal gibt es auch konkrete Anlässe, Blut im Stuhl zum Beispiel, die eine Klärung der möglichen Ursachen nötig machen.

Erst jetzt beim Zurückziehen des Endoskops beginnt die eigentliche Untersuchung. Schneller als sechs Minuten sollte das nicht gehen, sonst wächst die Gefahr, dass der Arzt etwas übersieht. Manchmal dauert das zwölf Minuten.

Immer wieder macht Schröder Fotos vom Darm, die er mithilfe eines Fußpedals auslöst. Diese kommen in die Patientenakte und dokumentieren das Ergebnis der Untersuchung.

Das Endoskop ist ein Multitalent. Es kann Kohlendioxid ausstoßen – um den Darm für eine bessere Sicht etwas aufzublasen –, kann Luft absaugen und wenn nötig mit einer Flüssigkeit nachspülen. Außerdem enthält es ein Steuerelement, um den biegsamen Schlauch abzuknicken und in eine neue Richtung zu schieben. Es hat an der Spitze eine Kamera, die die Bilder aus dem Inneren des Körpers auf den Monitor überträgt, auf dem der Arzt die Koloskopie verfolgt. Und wenn der Arzt mal die Orientierung verloren haben sollte, wo genau er sich gerade mit dem Endoskop im Körper seines Patienten befindet, dann lässt sich eine starke Positionslampe an der Spitze anschalten, die so stark ist, dass der Lichtpunkt durch das Körpergewebe und die Haut nach draußen dringt. Der Patient leuchtet von innen.

Und schließlich durchzieht das Endoskop ein Kanal, durch den sich chirurgische Instrumente bis an die Spitze schieben lassen, um etwa eine Adenom genannte Darmwandwucherung – auch Polypen genannt – entfernen zu können. Denn diese Adenome sind oft die Vorstufe für Krebs und müssen deshalb herausgeschnitten werden. Männer haben häufiger Adenome als Frauen – und je mehr Adenome der Arzt entdeckt und entfernt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass später Darmkrebs entsteht. Deshalb gilt die Rate der entdeckten Adenome – der Arzt muss das dokumentieren und zu Auswertung seiner Quote an das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung übermitteln – als ein Qualitätsmerkmal.

Heute verbessert sich Schröders Quote wieder. Denn plötzlich wird auf dem Bildschirm deutlich eine Wucherung in der Darmwand sichtbar. Sie ist rosafarben und liegt wie ein umgefallener, langstieliger Pilz in dem Verdauungsschlauch. 15 Zentimeter Länge – ein fortgeschrittenes Adenom.

Plötzlich wird es hektisch im abgedunkelten Untersuchungszimmer. Schneidwerkzeuge müssen geholt und durch den Instrumentenkanal des Endoskops zum Polypen geschoben werden. Zum Abtrennen der Wucherung nutzt Schröder eine stromdurchflossene Schere. Durch den Strom werden die Wundränder nach dem Abtrennen des Polypen verkocht und dadurch sofort verschlossen.

Schröder holt den Polypen heraus, deponiert ihn in einem Glasröhrchen. Das geht zur Untersuchung ins Labor. Aber Schröder, der einige Erfahrungen gesammelt hat, ist sich jetzt schon sicher: „In drei oder vier Jahren wäre daraus eine bösartige Geschwulst geworden.“

* Name geändert

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