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Europäer ringen um Ukraine-Friedenstruppe: Müssten dann deutsche Soldaten gegen Russen kämpfen?
Bis zu 100.000 ausländische Soldaten könnten nötig sein, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu sichern. Doch wer entsendet sie, wie lange und mit welchem Mandat? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- John Irish
- Alexander Ratz
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Es mag aktuell in weiter Ferne liegen, aber irgendwann wird es im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einen Waffenstillstand geben. Was aber dann? Wie könnte ein Frieden gesichert werden? Darüber ist die Diskussion in den europäischen Hauptstädten Diplomaten und Regierungsvertretern zufolge bereits voll entbrannt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron brachte dabei Friedenstruppen ins Spiel. Der zukünftige US-Präsident Donald Trump hat bei einem Treffen mit Macron und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 7. Dezember in Paris allerdings klargemacht, dass er keine amerikanischen Soldaten für die Sicherheit der Ukraine entsenden würde, wie zwei Insider berichteten. Die Europäer müssten eine Friedenstruppe alleine stellen.
Den Hauptteil einer solchen Mission müssten wohl die großen europäischen Nationen wie Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Großbritannien bilden, hieß es in den Kreisen. „Selbst wenn es eine Nato-Sicherheitsgarantie gäbe, woher käme der Impuls vor Ort? Er käme aus Europa. Deshalb bereiten unsere Armeechefs bereits Pläne vor, die die europäischen Staats- und Regierungschefs in Zukunft in Betracht ziehen könnten“, sagte ein hochrangiger mit den Debatten Vertrauter.
Doch die europäischen Streitkräfte sind wegen der indirekten Unterstützung der Ukraine materiell bereits ausgedünnt. Ohne die USA wäre ein solcher Einsatz nur schwer zu stemmen. Eine Friedenstruppe auf ukrainischem Gebiet würde außerdem das Risiko einer direkten Konfrontation mit Russland erhöhen. Deshalb gibt es unter den europäischen Verbündeten sehr unterschiedliche Auffassungen über die Ziele und das Mandat einer solchen Friedenstruppe.
Beobachtermission oder Abschreckung
Im Kern geht es in der Diskussion darum, ob es nach einer Waffenruhe eine Art Beobachtermission am früheren Frontverlauf geben soll oder eher eine robuste Friedenstruppe, die mögliche künftige russische Angriffe abschrecken würde.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte dabei öffentlich auf die OSZE-Beobachtermission von 2014 im Osten der Ukraine verwiesen. Putin habe schon damals nicht davor zurückgeschreckt, die Beobachter angreifen zu lassen, obwohl darunter auch Russen gewesen seien. Die Wiederholung eines solchen Einsatzes sei daher nicht ratsam.

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Auch Baerbock nannte Anfang des Monats bei einem Nato-Treffen Friedenstruppen als ein Element, um für dauerhaft schweigende Waffen zu sorgen: „Verschiedene Elemente eines Friedens stehen im Raum, politische wie materielle Sicherheitsgarantien, Nato-Mitgliedschaft, eine internationale Präsenz zur Absicherung eines Waffenstillstandes, Truppenrückzug, Gebietsfragen, Wiederaufbau, der Umgang mit Sanktionen.“
Und es sei klar, dass „wir natürlich auch alles, was dem Frieden in der Zukunft dient, das von deutscher Seite mit all unseren Kräften unterstützen“.
Baerbock wurde dafür in Deutschland kritisiert. Die Frage einer Friedenstruppe stelle sich derzeit nicht, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz. Er sagte allerdings unlängst, Deutschland werde bei Sicherheitsgarantien „eine zentrale Rolle“ spielen. Verteidigungsminister Boris Pistorius betonte, es sei viel zu früh zu sagen, welche Art von Truppe benötigt werde.
Polens Regierungschef Donald Tusk erteilte einer Beteiligung seines Landes eine Absage: Es gebe keine Pläne, sich einer solchen Truppe anzuschließen. Italienische Politikvertreter sprachen von einer Peacekeeping-Mission, französische und ukrainische Vertreter eher vom Ziel der Abschreckung.
Experte: Rund 100.000 Soldaten wären involviert
Dies wäre angesichts der Länge der russisch-ukrainischen Grenze von knapp 2000 Kilometern ein schwieriges Unterfangen. Hinzu käme wahrscheinlich noch die gut 1000 Kilometer lange Grenze zwischen Belarus und der Ukraine.
Aus ukrainischen Regierungskreisen heißt es, eine robuste Friedenstruppe könne aus fünf bis acht Nationen gebildet werden. Experten und Regierungsvertretern zufolge würden dafür etwa 40.000 Soldaten gebraucht. Der österreichische Militärexperte Franz-Stefan Gady sagte, mit dem erforderlichen Rotationsschema wären damit etwa 100.000 Soldaten involviert.
„Das wird die europäischen Landstreitkräfte sicherlich stark belasten“, sagt Gady. Ein europäischer Sicherheitsbeamter, der anonym bleiben wollte, sagte ebenfalls, dass bis zu 100.000 Soldaten benötigt werden könnten. Gady erklärte, eine solche Truppe könnte aufgestellt werden, wenn einige europäische Nationen andere Missionen wie die Friedenssicherung auf dem Balkan einschränken würden.

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Europa, die USA und andere Partner hatten in den 1990er Jahren etwa 60.000 Soldaten in Bosnien und 50.000 im Kosovo stationiert, doch diese Missionen sind heute viel kleiner. Das KFOR-Kontingent der Bundeswehr etwa hat aktuell ein Mandat für bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten, in Bosnien können nur noch bis zu 50 eingesetzt werden.
Aber schon die Zusammenstellung einer internationalen Friedenstruppe ist heikel, weil sie für Russland und die Ukraine akzeptabel sein müsste. Umstritten ist zudem die Mandatierung einer solchen Truppe. Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto sagte, sie müsse unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stehen.
Andere westliche Regierungsvertreter weisen jedoch darauf hin, dass Russland dann als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats zu großen Einfluss auf die Truppe hätte. Und schließlich stellt sich die Frage, die ein Vertreter des französischen Militärs formulierte: „Was würde passieren, wenn ein europäischer Soldat erschossen würde?“ (Reuters)
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