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Außenminister Johann Wadephul (links) trifft Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

© dpa/Michael Kappeler

60 Jahre Diplomatie mit Israel: Beziehungskrise statt Begeisterung

Vor 60 Jahren haben Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Eigentlich ein Wunder. Doch über den Feierlichkeiten liegt ein Schatten.

Anja Wehler-Schöck
Ein Kommentar von Anja Wehler-Schöck

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60 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. Eigentlich liegt auf der Hand, was das Leitmotiv dieses Jahrestags ist: Diese besondere Partnerschaft ist ein Wunder. Nach der Shoah, nach der Ermordung von 6 Millionen Juden, schienen selbst Gespräche zwischen dem Land der Täter und dem der Opfer zunächst unvorstellbar zu sein.

Und doch gelang die schrittweise Annäherung. Am 12. Mai 1965, nur 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nahmen Israel und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf.

Heute geben 60 Prozent der Israelis an, ein gutes oder sehr gutes Bild von Deutschland zu haben. Das war keinesfalls erwartbar.

Doch über dem Jahrestag hängt ein Schatten. Denn in Deutschland steigt der israelbezogene Antisemitismus. Juden würden ihnen durch die israelische Politik immer unsympathischer, antworten 29 Prozent der Befragten in einer aktuellen Studie. Nur ein Drittel der Befragten sieht eine besondere Verantwortung Deutschlands für das jüdische Volk.

Es zeigt, wie dringend Bildung und Austausch ausgebaut, Programme wie die Aktion Sühnezeichen gestärkt werden müssen. Das deutsch-israelische Verhältnis muss von der Breite der Gesellschaft getragen werden.

Kein klarer Kurs gegenüber Netanjahus radikaler Regierung

Auch die Regierungsbeziehungen durchlaufen eine schwere Krise. Deutschland findet gegenüber der radikalen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinen klaren Kurs. Die Sicherheit Israels sei „Teil der deutschen Staatsräson“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 in ihrer Rede vor der Knesset betont. An diesem Begriff hat sich die deutsche Debatte bis heute regelrecht festgebissen.

Das deutsch-israelische Verhältnis ist von einer hohen Komplexität geprägt. Und es gilt, gewisse Widersprüche auszuhalten.

Anja Wehler-Schöck

Dabei waren Merkels Worte keine Neuausrichtung der deutschen Israelpolitik, sondern eine Bekräftigung. Denn das Verhältnis zu dem Staat, der als Antwort auf die deutschen Verbrechen gegründet wurde, ist Teil der DNA der Bundesrepublik. Die Westbindung und vollständige Wiederaufnahme Deutschlands in die internationale Gemeinschaft wären ohne Beziehungen zu Israel nicht vorstellbar gewesen.

Auf diesem historischen Fundament müssen die Beziehungen entsprechend der aktuellen Gegebenheiten dynamisch ausgestaltet werden. Einfache Antworten gibt es dabei nicht. Das deutsch-israelische Verhältnis ist von einer hohen Komplexität geprägt. Und es gilt, gewisse Widersprüche auszuhalten. Etwa, dass Deutschland maßgeblich an der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs beteiligt war, aber einen Haftbefehl gegen Vertreter der israelischen Regierung niemals vollstrecken wird.

Es ist jedoch kein Freifahrtschein. Deutschland muss nicht jeglichen Kurs der israelischen Regierung mittragen. Vielmehr erwächst für Deutschland aus seiner Geschichte auch eine besondere Verpflichtung zu Menschlichkeit.

„Israel macht uns allergrößte Sorgen“, gestand Bundeskanzler Friedrich Merz vergangene Woche. Als „unerträglich“ bezeichnete Außenminister Johann Wadephul die verheerende humanitäre Lage in Gaza vor seinem Antrittsbesuch in Israel dieses Wochenende. Höfliche Ermahnungen reichen indes nicht mehr aus.

Als neuer deutscher Bundeskanzler sollte Merz gemeinsam mit den Partnern in der EU einen Plan vorlegen, wie der Krieg in Gaza beendet und Verhandlungen über eine nachhaltige Perspektive für die Palästinenser begonnen werden können. Denn die Sicherheit Israels wird langfristig nur durch eine Zweistaatenlösung und Partnerschaften mit den Staaten in der Region zu gewährleisten sein.

Europa muss wieder zum Akteur werden und einen Gegenentwurf zu den menschenverachtenden Vorschlägen von US-Präsident Trump präsentieren.

Mit einer solchen Initiative könnte die neue Bundesregierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Glaubwürdigkeit Deutschlands und Europas in der Nahostpolitik wiederherzustellen – und eine der Zukunft zugewandte Dimension der Staatsräson aufzeigen.

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