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Waffen und zivile Opfer: Straßenszene in Sarajevo im Mai 1993

© dpa/AP/Rikard Larma

Bosnien-Plan als warnendes Beispiel: Diplomatie muss am Ende eines Krieges stehen

Vor 30 Jahren scheiterte der Vance-Owen-Plan für ein Ende des Bosnienkriegs. Das zeigt: Nur militärischer Druck bringt Parias wie Putin an den Verhandlungstisch. Ein Gastbeitrag.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird insbesondere von Gegnern der Waffenlieferungen an die Ukraine gebetsmühlenartig gefordert, der Westen müsse „der Diplomatie eine Chance geben“. Der Konflikt müsse mittels eines Waffenstillstandes „eingefroren“ werden.

Selbst wenn Wladimir Putin plötzlich zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen bereit wäre, wäre dies sicherlich nicht der herbeigesehnte Anfang vom Ende des Krieges. Jedweder Waffenstillstand oder Verhandlungen würden nur darauf abzielen, Russlands prekäre Lage an den Fronten zu verbessern.

Militärische Umgruppierungen und logistische Verbesserungen stünden hier im Vordergrund. Dies hat Putin seit seiner Invasion, die im Jahre 2014 begann, oftmals vorgeführt.

Einige Beispiele der jüngeren Geschichte aus den jugoslawischen Erbfolgekriegen lehren, was frühzeitige, unbedachte und militärisch nicht unterfütterte Diplomatie anrichten kann: Vor 30 Jahren, am 2. Januar 1993, stellten die Vermittler im Bosnien-Krieg, EG-Unterhändler Lord David Owen und sein US-Kollege Cyrus Vance den nach ihnen benannten Vance-Owen Plan vor.

Ein Paradebeispiel von Appeasement-Politik

Der Plan war ein Paradebeispiel von Appeasement-Politik, die es in dieser Form seit den Tagen ihres bekanntesten Verfechters, des britischen Vorkriegspremiers Neville Chamberlain, nicht mehr gegeben hatte. Der Plan, der mitten im Bosnien-Krieg zurechtgeschustert wurde, bot den serbischen Aggressoren knapp die Hälfte des Territoriums Bosnien und Herzegowinas auf dem Silbertablett an.

Das Hauptopfer von Belgrads Angriffskrieg, die legitime Regierung in Sarajevo, wurde vom Westen quasi gezwungen, diesen Diktatfrieden anzunehmen. Doch der Landhunger der serbischen Führung war dermaßen groß, dass die Gier die Ratio ausschaltete. Im Endeffekt lehnte die serbische Führung diesen für sie äußerst komfortablen Kompromiss ab.

Hätten sie den Vertrag angenommen, wäre vieles, was dann zu ihrem Nachteil geschah, nicht eingetreten. Aber es ist relativ sicher, dass im Falle der Akzeptanz des Vance-Owen Plans die unsagbaren serbischen Verbrechen, die von April bis Dezember 1992 begannen worden und bis zu 40.000 Tote forderten, schnell unter den Teppich gekehrt worden wären. Selbst heute erinnern sich, wenn überhaupt, viele Menschen nur noch schemenhaft an die barbarische, mehr als tausend Tage dauernde Belagerung Sarajevos.

Hunderte von Massakern, ähnlich denen der russischen im ukrainischen Butscha, selbst die serbischen Konzentrationslager im westbosnischen Prijedor sind vergessen, trotz der damaligen britischen Fernsehbilder ausgemergelter KZ-Insassen.

Viele Verträge, doch das Morden ging weiter

Marek Edelmann, der überlebende jüdische Kommandant des Warschauer Ghettos, kommentierte 1992 die serbischen genozidalen Exzesse wie folgt: „Europa hat seit dem Holocaust nichts gelernt. Was in Bosnien passiert, ist ein posthumer Sieg für Hitler.“

Trotz dieser eindringlichen Warnung sollte es noch drei Jahre und 60.000 weitere Tote brauchen, bis der Westen endlich intervenierte. Ein halbes Dutzend Friedensverträge wurden ausgearbeitet. Doch das Morden ging weiter. Absurderweise wurden die Opfer sogar mit einem Waffenembargo belegt. Zumindest aus dieser grenzenlosen Ungerechtigkeit hat der Westen im Falle der Ukraine gelernt.

Nur militärischer Druck kann politische und militärische Parias dazu bewegen, einem echten Frieden zuzustimmen. 

Alexander Rhotert, Autor

Schier unfassbar war jedoch, was der Gesandte des UN-Generalsekretärs, Yasushi Akashi und sein militärisches Pendant, der Oberkommandierende der UN-Truppen im ehemaligen Jugoslawien, General Bernard Janvier, während und nach der serbischen Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica taten.

Schmerzgebeugt betet eine Frau am 12.2.1993 auf dem islamischen Friedhof in Sarajevo am Grab ihrer 17-jährigen Tochter, die von Heckenschützen tödlich getroffen wurde.
Schmerzgebeugt betet eine Frau am 12.2.1993 auf dem islamischen Friedhof in Sarajevo am Grab ihrer 17-jährigen Tochter, die von Heckenschützen tödlich getroffen wurde.

© picture-alliance / dpa

Trotz des Versprechens des UN-Sicherheitsrates, der Srebrenica im April 1993 als UN-Schutzzone deklariert hatte, weigerten sich beide, den bereitstehenden Nato-Kampfflugzeugen grünes Licht zu erteilen. So ermöglichten Akashi und Janvier den serbischen Genozid an fast 8.500 Bosniaken. Solange sie die Nato aufhielten, konnte sich die serbische Soldateska unter Führung von Präsident Slobodan Milosevic, General Ratko Mladic und Radovan Karadzic sicher fühlen.

Welche Lehren kann man daraus ableiten? Diplomatie und Verhandlungen können nicht während eines Krieges geführt werden können. Sie müssen am Ende stehen. Militärische Einsätze und Waffenlieferungen haben ihre Berechtigung, denn nur sie können die Voraussetzungen schaffen, einen Aggressor an den Verhandlungstisch zu bewegen.

Nur militärischer Druck kann politische und militärische Parias dazu bewegen, einem echten Frieden zuzustimmen. Dies war 1945 der Fall, genauso wie 1995 in Bosnien und 1999 im Kosovo und wird auch hoffentlich im Laufe des Jahres 2023 eintreten, vorausgesetzt der Westen bleibt bei seiner Politik der Unterstützung der Ukraine.

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