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Grenzbeamte aus Slowenien und Kroatien schütteln sich am Übergang zwischen beiden Ländern in der Nacht zum 1. Januar die Hände. 

© AFP / AFP/Denis Lovrović

Europäischer Erweiterungsprozess: Kroatien will eine Erfolgsgeschichte sein

Kroatien hat seit dem 1. Januar die gemeinsame Währung und ist Teil des Schengenraums. Im Land ist das auch ein Nährstoff für Nationalismus.

Am ersten Tag dieses Jahres trat Kroatien dem Schengenraum bei und führte den Euro als Währung ein – beides zu einem Zeitpunkt, da sich das Land, das vorerst jüngste EU-Mitglied, auf den zehnten Jahrestag seines Beitritts zur Europäischen Union am 1. Juli 2023 vorbereitet.

Die politische Elite und die wichtigsten Gestalter kroatischer Identität hatten Euro und Schengen zu strategischen Zielen für das kleine Land mit weniger als vier Millionen Einwohnern erklärt. Die Regierung unter dem gemäßigt konservativen Premierminister Andrej Plenković stellte beides als das Ende eines langen Weges dar, der mit der Erklärung der Unabhängigkeit von Jugoslawien im Jahr 1991 begann.

Obwohl Kroatien im Januar 1992 international anerkannt wurde, empfand es seine Souveränität lange Zeit eher als nominell denn real. Dies lang an mehreren Hindernissen, die das Land beiseite räumen musste, damit es der Union beitreten durfte.

Dazu gehörte nicht nur die territoriale Wiedereingliederung der abtrünnigen Gebiete der Krajina, die gleichzeitig mit Kroatien ihre eigene, nicht anerkannte Unabhängigkeit erklärten, sondern auch die ungeliebte Forderung, mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zusammenzuarbeiten.

Souveränität durch den Beitritt zur EU

Zudem musste Kroatien strengere Beitrittskriterien erfüllen als die Länder, die 2004 und 2007 beigetreten waren. All dies führte dazu, dass viele glaubten, ihr Land sei nur dem Wort nach souverän. In Wirklichkeit stehe es unter ständiger Beobachtung von außen und müsse hinnehmen, dass man sich gelegentlich in seine inneren Angelegenheiten einmische.

Der Beitritt zur Eurozone und zu Schengen wurde so zum Moment, in dem Kroatiens symbolische Souveränität – jedenfalls in der nationalen Vorstellung – durch eine viel bedeutendere, nahezu reale Souveränität ersetzt wurde. Dies mag Europaskeptiker erstaunen, die die Souveränität ihrer Länder gerade als durch die EU-Mitgliedschaft eingeschränkt betrachten.

Für kleine und neue Länder, die noch frische Erfahrungen mit Krieg und Instabilität haben, kann ein EU-Beitritt – und insbesondere der zu Euro und Schengen – völlig gegenteilig wirken. Außerhalb der EU sehen sie sich nicht nur weniger geschützt und somit schwächer. Sie fühlen sich auch gedemütigt und stigmatisiert, wenn sie dem Club nicht beitreten dürfen. Und sie haben das Gefühl, dass sich die Dinge erst verbessern, wenn sie Teil des Clubs sind.

Die Rede von der Balkanisierung Kroatiens

Der gesamte EU-Prozess sei für Kroatien stark damit verbunden gewesen, die eigene neue europäische Identität zu festigen, sagte am 1. Januar der stellvertretende Ministerpräsident Davor Božinović, der als Innenminister für die Vorbereitung des Schengen-Beitritts zuständig war. Für die kroatischen Nationalisten der 1990er Jahre bedeutete die Abspaltung von Jugoslawien die „Rückkehr nach Europa“, aus dem Jugoslawien Kroatien angeblich „entführt“ hatte.

Kroatien möchte weg von den Rändern Richtung Mitte. Das ist wahrscheinlich ein zu großes Ziel.

Dejan Jović, Politikwissenschaftler

Jugoslawien hatte aus ihrer Sicht die lange mitteleuropäisch geprägte kroatische Identität balkanisiert und damit enteuropäisiert. Vor Jugoslawien war Kroatien Teil Österreich-Ungarns. Genau wie der EU-Beitritt 2013 wird 2023 der Beitritt zur Eurozone und zum Schengen-Raum als Rückkehr in die Heimat dargestellt.

Kroatien möchte als Erfolgsgeschichte des europäischen Erweiterungsprozesses gesehen werden. Es will zeigen, dass nicht jedes neue Mitglied ein „weiteres Bulgarien“, „weiteres Ungarn“ oder „weiteres Rumänien“ ist. Damit scheint man an die richtigen Türen zu klopfen. Europhile brauchen so einen Fall. Dies zeigte sich deutlich an den begeisterten Grüßen und Komplimenten, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem kroatischen Premierminister bei ihrem Besuch in Zagreb am Neujahrstag machte.

Eins von 15 ganz westlich verankerten Ländern

Gleichzeitig wird Kroatien durch den Beitritt zu Schengen und zur Eurozone zu einem von nur 15 Ländern, die gleichzeitig Mitglied in allen vier Organisationen moderner westlicher Zugehörigkeit sind: Nato, EU, Schengen und die Eurozone. Das Land möchte weg von den Rändern Richtung Mitte.

Das ist wahrscheinlich ein zu großes Ziel, als dass es jemals Wirklichkeit würde. Aber in der Politik ist Image manchmal wichtiger als Wirklichkeit, und so stärkt das neue Image das Selbstvertrauen eines Landes, das sich immer noch etwas unsicher fühlt, sowohl aufgrund interner und externer Konflikte seiner jüngsten Geschichte in den 1990er Jahren, als auch wegen seiner geografischen Lage.

Kroatiens Geografie zwingt seine Bürger, Grenzen ernst zu nehmen. Wo auch immer man wohnt – von Vukovar im Norden bis Dubrovnik im Süden – man lebt in Grenznähe. Jetzt, da diese Grenzen aufgehoben sind und nur noch dem Namen nach existieren, fühlen viele sich sicherer und stärker geschützt als Teil einer viel größeren politischen Einheit, die sich gemeinsam gegen potenziell feindliche Andere verteidigt.

Kroatiens neue Rolle wirkt sich auf die Nachbarn aus

Zu drei Ländern – Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien – bleiben die Grenzen jedoch bestehen, über immerhin 1350 Kilometer hinweg. Und ab sofort werden sie wahrscheinlich eher stärker abgedichtet und schwieriger zu überschreiten sein.

Dies dürfte sich auf den Alltag der Bürger dieser Länder auswirken, von denen einige ethnische Kroaten sind, vor allem in Bosnien-Herzegowina mit seiner tausend Kilometer langen Grenze zu Kroatien. Zu Ungarn und Slowenien gibt es nun keine Grenzen mehr, aber Kroatien ist zum Grenzland des Schengenraums geworden. Das nährt zusätzlich nationalistische Narrative von Kroatiens historischer Rolle als „Wächter Europas“.

So liefert Kroatiens Lage seit dem 1. Januar ein Paradox. Egal ob man den Abbau der Schranken im Verhältnis zu den anderen Schengenländern betrachtet oder die neuen Schranken gegenüber den Ländern des westlichen Balkans: Beides lässt sich nutzen, um neue Identitätsnarrative zu stärken. Und genau darum geht es in Sachen Schengen, Euro, EU und Nato vielen in Kroatien in erster Linie.

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