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Indiens Premierminister Narendra Modi begrüßt den Präsidenten von Südafrika, Cyril Ramaphosa.

© dpa/Evan Vucci

Fortschritt in Indien, Mexiko und Südafrika: Die Wahlen bringen Deutschland in einen Zwiespalt

Die Bundesregierung muss Wege finden, um die Emanzipationsdynamiken der drei Schwellenländer anzuerkennen. Unvermeidbar wird sich deutsche Politik dabei in Widersprüche verwickeln.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Bemerkenswertes geschieht in diesen Tagen in drei aufstrebenden Schwellenländern des Globalen Südens. In Mexiko wählen die Menschen zum ersten Mal eine Frau zu ihrem Staatsoberhaupt: Presidenta Claudia Sheinbaum, eine Enkelin europäischer Juden, die vor dem Holocaust geflohen waren.

In Südafrika verliert der African National Congress (ANC) seine absolute Mehrheit. Auch das ist ein Emanzipationsschritt. Mit dem Ende der Apartheid vor drei Jahrzehnten war zunächst nur die Alleinherrschaft der weißen Minderheit durch eine Alleinherrschaft des ANC ersetzt worden.

In Indien hat die „größte Demokratie der Erde“ gewählt, was bei mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern ein organisatorischer Kraftakt ist. Auch dort verliert Premier Narendra Modi die absolute Mehrheit und ist für eine dritte Amtszeit auf Koalitionspartner angewiesen. Dem Westen bietet er sich als berechenbarer Partner zur Eindämmung chinesischer Dominanz im Indopazifik an.

Mexiko hat eine Präsidentin vor den USA

Emanzipation, mehr Demokratie durch das Ende absoluter Mehrheiten und Stabilität dank Wirtschaftswachstum: Das sind erfreuliche Tendenzen in drei Schlüsselstaaten des Globalen Südens. Deutschland, Europa und die USA streben eine enge Partnerschaft mit ihnen an.

Indien und Südafrika gehören zur Staatengruppe Brics mit China und Russland, die die Dominanz des Westens brechen möchten. Die Kriege in der Ukraine und in Gaza verschärfen die Bruchlinien. Mexiko bildet mit den USA und Kanada die nordamerikanische Freihandelszone Nafta.

Doch in allen drei Staaten geht der jeweilige Fortschritt Hand in Hand mit Dynamiken, die beunruhigend wirken. Klar doch, der Aufstieg einer Frau ins mächtigste Amt Mexikos ist ein wirkungsvolles Signal gegen den „Machismo“. Mädchen haben nun ein Rollenmodell, die berühmte „Glasdecke“ ist zersplittert. Das ist umso bedeutsamer, weil dies dem nördlichen Nachbarn USA noch nicht gelungen ist.

Claudia Sheinbaum, Mexikos künftige Präsidentin, ist die Enkelin europäischer Juden, die vor dem Holocaust flohen.

© REUTERS/RAQUEL CUNHA

Der Erfolg der Presidenta Sheinbaum hat freilich Kehrseiten. Von ihrem Vorgänger und Ziehvater Andrés Manuel López Obrador hat sie einen linken Populismus und eine tiefe Krise der öffentlichen Ordnung mit unzähligen politischen Morden und grassierender Korruption übernommen.

Sie strebt Verfassungsänderungen an, die die „checks and balances“ des demokratischen Rechtsstaats schwächen. Und sie setzt weiter auf Erdöl als Wachstumstreiber, obwohl sie früher einer Gruppe von Klimaexperten angehörte, die den Nobelpreis gewonnen hat.

Südafrika: Zumas spaltender Tribalismus

In Südafrika ist die absolute Macht des ANC gebrochen, er muss künftig Koalitionen bilden. Doch der politische Nutznießer ist Ex-Präsident Jacob Zuma, der sich vom ANC abgespalten hat. Zuma war seit Jahren konfrontiert mit Vorwürfen der Korruption und sogar der Vergewaltigung. Der ANC drängte ihn 2018 aus dem Amt, 2021 wurde Zuma zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Für sein Comeback setzte er auf spaltenden Tribalismus. Südafrika möchte zudem von seinen eigenen Unzulänglichkeiten ablenken, indem es sich zu einem internationalen Hauptankläger Israels in Verfahren wegen angeblichen Genozids an den Palästinensern aufschwingt.

Indien: Hindu-Nationalismus

Das Demokratiemodell in Modis Indien beschreiben Kritiker als Hindu-Nationalismus, der andere Religionen und Ethnien diskriminiert. Modi kooperiert eng mit Putins Russland, kauft dort Waffen und das Erdöl, das Putin wegen der Sanktionen im Westen nicht mehr loswird. So unterläuft Indien die Bemühungen, den Ukrainekrieg durch ökonomischen Druck zu stoppen.

Das Licht des politischen Fortschritts wird in allen drei Schwellenländern von Schatten begleitet. Das bringt die deutsche Politik gegenüber diesen Partnern in einen Zwiespalt. Deutschland muss Wege finden, um die Emanzipationsdynamiken anzuerkennen und durch Kooperation zu verstärken, ohne sie zu überhöhen.

Und Wege, darüber nicht die Augen vor den Fehlentwicklungen zu verschließen. Das darf freilich nicht zum umgekehrten Extrem führen: moralische Selbstüberhöhung und zu enge Bedingungen für Zusammenarbeit. Ein Negativbeispiel, wie es nicht laufen darf, ist das drohende Scheitern des Freihandelsabkommens der EU mit den Mercosur-Staaten in Südamerika.

Kurzum: Im Umgang mit Indien, Mexiko und Südafrika sind Pragmatismus und Realpolitik gefragt. Unvermeidbar wird sich deutsche Politik dabei in Widersprüche verwickeln. Denn die Weltpolitik wird konfliktreicher und widersprüchlicher.

Die westlichen Demokratien müssen mit der neuen Lage zurechtkommen. Für viele Schwellenländer sind sie nicht mehr die großen Vorbilder wie vor drei Jahrzehnten nach dem Mauerfall. Und sie haben auch nicht mehr die weltwirtschaftliche Dominanz wie damals.

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