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Mehr als ein Viertel der Bevölkerung Japans lebt in Tokio.

© AFP/ Richard A. Brooks

Eine Million Yen fürs Wegziehen: Tokio kämpft gegen Überbevölkerung

Japans Hauptstadt ist die größte Weltmetropole. Überbevölkerung und Erdbebengefahr zwingen die Regierung zu einem bizarren Schritt: Sie bezahlen Familien, um wegzuziehen.

In vielen Städten der Welt gehört es zur Standortpolitik, die eigenen Vorzüge zu betonen, um Menschen anzulocken. So beschenkt die Berlin zuziehende Studierende seit Jahrzehnten mit einem Begrüßungsgeld.

Die Handelsmetropole Hongkong wirbt mit niedrigen Steuern. Und Wien versucht sich als attraktives Ziel für moderne Betriebe und junge Menschen zu profilieren, die Digitalisierung priorisieren.

Tokio ist da anders. Seit einigen Jahren schafft die japanische Hauptstadt nicht Anreize, damit sich Leute und Unternehmen hier ansiedeln, sondern im Gegenteil – damit sie den Ort verlassen.

Hohe Wegzug-Prämien

Seit 2019 hat die Regierung Familien prämiert, die sich anderswo niederlassen als im dicht bevölkerten Großraum Tokio, der mit rund 37 Millionen Menschen die größte Metropolregion der Welt ist. Und vor einigen Tagen wurde dieser Bemühung Nachdruck verliehen, als die Prämie für den Wegzug ist spürbar erhöht wurde.

Ab April 2023 erhält jede Familie nicht mehr bloß eine Million Yen, was umgerechnet rund 7.250 Euro sind, für die Umzugskosten, wenn sie in das Stadtumfeld oder eine ganz andere Region umziehen und dort mindestens fünf Jahre arbeiten.

Pro Kind erhält jede Familie noch eine Million Yen zusätzlich, was mehr als eine Verdreifachung des bisherigen Angebots von 300.000 Yen pro Kind entspricht. Auch Betriebe, die umsiedeln wollen, erhalten vorteilhafte Steuerangebote.

Über ein Viertel der Bevölkerung lebt in Tokio

Die japanische Regierung, die dafür mit vielen Lokalregierungen kooperiert, meint es also ernst, die Menschen aus der Hauptstadt zu schaffen. Denn während andere Regionen Japans teils seit Jahrzehnten schrumpfen, sieht es in und um Tokio, wo mehr als ein Viertel aller Menschen in Japan leben, anders aus.

Der Ballungsraum hat sich in den vergangenen 70 Jahren verdreifacht. Allein die Wirtschaftsleistung innerhalb der Stadtgrenze – in der „nur“ rund 13 Millionen Menschen leben – beläuft sich auf ein Fünftel des japanischen Bruttoinlandsprodukts.

7.250
Euro erhält jede Familie, die wegzieht.

Tokios „negative Standortpolitik“, also die Bemühungen um einen Abfluss von Menschen und Unternehmen zugunsten anderer Gebiete, ist wohl nicht nur wirtschaftlich motiviert. Sie geschieht in einer Zeit, in der Geologen schon seit längerem vor einem großen Erdbeben rund um Tokio warnen.

Das Erdbebenrisiko ist groß

Zwar sind in der Hauptstadtregion viele Gebäude äußerst erdbebensicher gebaut. Aber ein Erdbeben wie das von 2011 vor der Küste von Fukushimas, dass einen Tsunami, einen Atom-Gau sowie rund 20.000 Tote zur Folge hatte, würde trotz erdbebensicherer Konstruktion in Tokio massive Schäden anrichten.

Ein massives Erdbeben, wie das von Fukushima 2011 (siehe Foto) würde massive Schäden in Tokio anrichten.

© picture alliance / Str/EPA FILE/ / picture alliance / Str/EPA FILE/

Erst Anfang 2021 schätzte die Nationale Zentrale für Erbebenforschungsförderung die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten 30 Jahren ein größeres Beben die Hauptstadtregion erschüttert, auf 47 Prozent.

Nirgendwo sonst in Japan ist das Risiko größer. Als die Regierung 2016 ihre Erdbebenstrategie vorstellte, ging sie bei einem Beben der Stärke 7, was deutlich geringer ist als jenes vor Fukushima. Aber schon allein bei einem Beben der Stärke 7 würden in Tokio bis zu 23.000 Personen sterben, acht Millionen könnten ihr Zuhause verlieren, 410.000 Gebäude zerstört sein.

23.000
Menschen könnten bei einem Erdbeben sterben.

Die Bemühungen, möglichst viele Menschen aus Tokio zu schaffen, sind bisher eher erfolglos: Seit 2019 haben nur etwa 2.300 Personen Tokio im Rahmen des Anreizprogramms verlassen.

Zuletzt schrumpfte die Bevölkerung leicht, wegen sinkender Geburtenzahlen. Mit der nun erhöhten Wegzugprämie soll die Bevölkerung bald aber weiter sinken.

Immerhin hat sich inmitten der Pandemie ein Eindruck unter Tokioterinnen und Tokiotern festgesetzt: Die Hauptstadtregion hat nicht nur ein Beben zu befürchten, sie ist zudem teurer als jeder andere Ort Japans.

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