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Unruhen in Nigers Hauptstadt Niamey nach dem Putsch gegen Präsidenten Bazoum

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Fatahoulaye Hassane Midou

Eine Demokratie wird gestürzt: Was haben die Putschisten im Niger vor?

Im westafrikanischen Niger regiert jetzt eine Militärjunta. Auf den Straßen der Hauptstadt zeigen sich pro-russische Anhänger des neuen Regimes. Der Umsturz ist ein schwerer Rückschlag.

Auf den Straßen der nigrischen Hauptstadt Niamey geht es normalerweise gemächlich zu. Obwohl die Metropole am Ufer des Nigerflusses rund zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählt, ist das Leben hier ruhig, die Menschen sind unaufgeregt, gelassen.

Diese Woche war das jedoch anders: Videos aus dem Stadtzentrum zeigen am Donnerstag eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem weißen Tor des Parlaments, auf dem in grünen Lettern der nationale Leitspruch „Brüderlichkeit, Arbeit, Fortschritt“ steht.

Der Grund für die Aufregung war der Putsch gegen den 2021 gewählten Staatschef Mohamed Bazoum am Mittwoch. So stolz war die Regierung in Niamey bislang darauf, dass ihr Land im Gegensatz zu den Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali in den vergangenen Jahren von einem Staatstreich verschont geblieben war.

Man sah sich selbst als Vorbild: Seht her, so lautete die Botschaft, es geht auch ohne Militärcoup, demokratisch und friedlich.

Doch das ist seit dieser Woche vorbei. Nun residiert im Präsidentensitz von Niamey wieder ein Putschist: Heeresgeneral Omar Tchiani, Chef der Präsidentengarde, hat Bazoum absetzen lassen. Seit Freitag ist er der Chef des neu gegründeten „Nationalen Rats zum Schutz des Vaterlands“ – einer Militärjunta also.  

General Omar Tchiani, Nigers neuer De-Fact-Staatschef bei seiner ersten TV-Ansprache.

© AFP/-

Warum die Putschisten gerade jetzt zuschlugen, ist unklar. „Die genauen Hintergründe für den Putsch sind noch nicht bekannt“, sagt Lisa Tschörner, Afrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Die erste Deklaration der Putschisten nannte jedoch die kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitslage sowie eine schlechte wirtschaftlichen und sozialen Regierungsführung als Motive.“

Politisch ist der Umsturz für den Sahelstaat, eines der ärmsten Länder der Welt, ein schwerer Rückschlag. Bazoum war der erste Präsident seit der Unabhängigkeit des Nigers im Jahr 1960, der friedlich an die Macht kam. Am Donnerstag gab er noch Durchhalteparolen aus. „Die hart erkämpften Errungenschaften bleiben erhalten“, schrieb er via Twitter. „Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen.“

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Doch dass der 63-Jährige ins Amt zurückkehrt, dieser Wunsch von EU, Afrikanischer Union und den Nachbarstaaten der Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas dürfte sich kaum erfüllen. Inzwischen hat sich die Armee auf die Seite der Putschisten geschlagen, um „tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften“ zu vermeiden, wie es in einem Statement hieß. Am Donnerstag verhängte das Innenministerium ein Versammlungsverbot.

Zuvor hatten Coup-Gegner wie auch Unterstützer der Junta demonstriert. Dabei seien Bazoum-Anhänger von der putschenden Präsidialgarde mit Schüssen auseinandergetrieben worden, sagt die Expertin Tschörner. „Seitdem zeigen sich in den Straßen lediglich Unterstützer des Putsches.“

Es ist durchaus vorstellbar, dass sie antiwestliche Stimmungen im Land ausnutzen werden, um sich unter der Bevölkerung Legitimität zu verschaffen.

Lisa Tschörner, Stiftung Wissenschaft und Politik

Einige von ihnen schwenkten am Donnerstag Russland-Flaggen und skandierten Sprechchöre gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die bis heute 1500 Soldaten im Land hat.

Ob die Putschisten wie im Nachbarland Mali, wo Wagner-Söldner aktiv sind, nun ebenfalls die Nähe zu Russland suchen werden, ist unklar. „Es ist durchaus vorstellbar, dass sie antiwestliche Stimmungen im Land ausnutzen werden, um sich unter der Bevölkerung Legitimität zu verschaffen“, sagt Tschörner.

Anhänger der neuen Machthaber im Stadtzentrum von Niamey.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Sam Mednick

Der abgesetzte Bazoum, studierter Philosoph mit linken Ideen, galt als ausgesprochen pro-westlicher Präsident und enger Partner der Bundesrepublik. 670 Millionen Euro investiert das deutsche Entwicklungsministerium aktuell in dem von Hunger, Dürren und Terror geplagten Land.

Seit 2018 ist die Bundeswehr vor Ort, um im Kampf gegen islamistische Gruppen wie Boko Haram zu helfen – derzeit mit 100 Soldaten. Das Land ist ein Drehkreuz für den Abzug der Bundeswehr aus dem Nachbarland Mali. Mit dem Putsch ist die Zukunft des deutschen Engagements aber völlig offen.

Nach vier Militärcoups seit 1960 kam Mohamed Bazoum 2022 friedlich an die Macht. Nun ist seine Amtszeit Geschichte.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/BOUREIMA HAMA

Die Konsequenzen des Staatsstreichs werden die 26 Millionen Nigrerinnen und Nigrer wohl verzögert spüren. Wer draußen in der Provinz lebt, etwa in den heißen Steppen der Region Zinder, als Viehhirte oder Ackerbäuerin, für diese Menschen ist meist weit weg, was in der Hauptstadt passiert.

Doch auch auf dem Land zeichnen sich die Folgen des Putsches ab. So lassen die Vereinten Nationen ihre Hilfe pausieren. 4,3 Millionen Menschen im Niger sind auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Hunger und Mangelernährung sind ein häufiges Problem, vor allem für Kinder. Der Niger hat die höchste Geburtenrate der Welt, fast sieben Kinder gebiert jede Frau im Schnitt.

4,3
Millionen Menschen im Niger sind auf humanitäre Hilfe angewiesen

Auch die Sicherheitslage könnte sich mit dem Putsch zuspitzen. In Berlin galt der Niger bislang als „Stabilitätsanker“ in einer unsicheren Region.

Dahinter steckte aber wohl eine Portion Wunschdenken, wie deutsche Offizielle hinter vorgehaltener Hand zugeben. Denn von echter Stabilität konnte bislang kaum die Rede sein.

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Im Grenzgebiet zu Burkina Faso und Mali findet man viele Regionen, die von Regierung und Hilfsorganisationen als „Rote Zonen“ markiert werden: Hier treiben Terroristen und Banditen ihr Unwesen, eine Überlandfahrt ohne bewaffneten Konvoi kann schnell gefährlich werden.

Die Menschen leiden schwer unter der Gewalt. Immer wieder überfallen Dschihadisten ihre Dörfer, rauben, vergewaltigen, brennen ganze Ortschaften nieder, vertreiben die Menschen.

Nicht nur bereichern sie sich an den Ernten, dem Vieh und dem wenigen Hab und Gut der Landbevölkerung; ihr Ziel ist auch, insgesamt Unruhe und Chaos zu stiften. Damit soll die nigrische Gesellschaft, in der man traditionell auf Ausgleich und Respekt bedacht ist, aus den Fugen geraten. Die Armee ist gegen den Terror weitgehend machtlos. Gerade einmal 25.000 Mann zählen die Streitkräfte – bei einem Staatsgebiet, das viermal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland.

In seiner ersten TV-Ansprache hat der neue Machthaber Tchiani zum Ausdruck gebracht, dass er die Strategie der bisherigen Militärführung gegen den Islamismus im Niger für unzureichend hält. Ob er damit allein das Land aus der Krise holen kann, ist fraglich.

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