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Fahrradverkehr wird in Polen häufig noch als etwas fremdartiges gesehen.

© Robert Klages

Polens Hauptstadt im Check: Wird Warschau zur Fahrradstadt?

Vor sechs Jahren warnte der damalige polnische Außenminister vor einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern“. Das heutige Warschau ist auf dem Weg dorthin.

Es ist sechs Jahre her, dass der damalige polnische Außenminister Witold Waszczykowski vor einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern“ warnte. Das habe mit traditionellen polnischen Werten nichts zu tun. Waszczykowski ist längst nicht mehr im Amt, aber sein damaliges Interview hat Narben hinterlassen, wie ein Pressesprecher der Stadtplanung in Warschau dem Tagesspiegel erzählt. Die rechte PiS-Regierung sage, Radfahren sei etwas Schlechtes, etwas aus dem Westen. „Es ist, als würde der Kommunismus zurückkommen. Es heißt, Radfahren nehme den Autos die Freiheit.“

Wer heute durch Warschau radelt, stellt fest: Sie kommt langsam, die Welt der Vegetarier:innen und Radfahrenden. Im Zentrum der polnischen Hauptstadt gibt es viele vegetarische, sogar vegane Restaurants, hauptsächlich Burgerläden. Trotzdem besteht Warschau und der Großteil Polens noch aus Fleisch und Autos, da verhält es sich wie in Deutschland. Vegetarier und Radfahrer bleiben in der Minderheit.

In der Warschauer Innenstadt entstehen immer mehr Radwege.
In der Warschauer Innenstadt entstehen immer mehr Radwege.

© Robert Klages

Die Zahl beider aber steigt. Und was die Räder angeht, zieht die öffentliche Verwaltung mit: In den letzten mehr als 10 Jahren sind mehr als 400 Kilometer Radweg in Warschau entstanden. Während es 2010 noch 275 Kilometer waren, sind es in diesem Jahr 720 – und es sollen in diesem Jahr noch zehn dazukommen, sagt der Stadtsprecher. Dreißig weitere Kilometer seien in Planung. Das Ziel der Stadt seien 900 Kilometer. Nur zum Vergleich: Berlin plant bis 2030 über ein rund 3000 Kilometer umfassendes Radwegenetz zu verfügen. Berlin ist bekanntlich aber auch größer.

In bin selbst drei Wochen lang in Warschau unterwegs gewesen: es ist keine Traumwelt für Radfahrende, aber man kommt von A nach B. Ich musste mich an die schmalen Radwege gewöhnen, die beidseitig befahren werden – Gegenverkehr auf engem Raum. Schön sind die viel genutzten Radwege an der Weichsel, die bis zum Kampinoski-Nationalpark führen. Hier wird es etwas sportlicher.

In einem Warschauer Park gibt es Leihräder für Kinder. Das Projekt wird aber leider eingestellt, es wurde nur wenig genutzt.
In einem Warschauer Park gibt es Leihräder für Kinder. Das Projekt wird aber leider eingestellt, es wurde nur wenig genutzt.

© Robert Klages

Bleiben wir in der Innenstadt, die flach und damit eigentlich perfekt fürs Radfahren ist. Die Prinzipien zur Gestaltung der Fahrradinfrastruktur sind aus dem Jahre 2010 und sollten dringend erneuert werden, sagt der Sprecher der Stadtplanung. Vor sieben Jahren wurde erstmals ein „Cycling Officer“ ernannt: Lukas Puchalski. Er ist auch Direktor der öffentlichen Straßenbehörde.

Barrierefrei, grün und Fahrrad-freundlich soll Warschaus neues Zentrum werden

In den Jahren 2016 bis 2019 half vor allem ein Investmentprogram der EU mit, die Radinfrastruktur Warschaus zu entwickeln. Stadtpräsident Rafał Trzaskowski hat ein langfristiges Programm angekündigt: „Neues Zentrum von Warschau“. Die Hauptidee besteht darin, öffentliche Räume barrierefreier, grüner und fahrrad- und fußgängerfreundlicher zu gestalten.

Alles voller roter Fahrradwege, dazu ein E-Bus: Warschau entwickelt sich.
Alles voller roter Fahrradwege, dazu ein E-Bus: Warschau entwickelt sich.

© Robert Klages

Ein Problem sei es immer, die Leute mitzunehmen, erzählt der Sprecher. Wenn der Prototyp einer neuen Strecke vorgestellt wird, kommt es oft zu starken Protesten. „Das Auto bleibt das Hauptverkehrsmittel. Bei Verkehrsthemen entwickeln sich oft aggressive politische Debatten. „Im Allgemeinen leben wir in einer stark vom Auto abhängigen Gesellschaft“, seufzt der Sprecher der Stadtplanung. „Es ist eine Herausforderung, unter diesen Umständen eine grüne Insel zu entwickeln.“

Aber er ist auch zuversichtlich: Die Stimmung ändere sich, und jedes Jahr entstünden mehr Radwege. Immer mehr Leute nützten sie dann auch. Auf Twitter hat sich eine kleine Kampagne für einen Radweg in der Puławska-Straße entwickelt.

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„In den letzten Jahren haben die polnischen Städte begonnen, den Autoverkehr stärker einzuschränken, Fahrräder werden zudem immer beliebter“, sagt Marek Józefiak von Greenpeace Polen. „Krakau gilt in dieser Hinsicht als eine Vorreiterin. Die ehemalige Hauptstadt hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil des Fahrrads am Verkehrsmix bis 2025 auf 25 Prozent zu erhöhen. Warschau scheint in dieser Hinsicht spät dran zu sein.“ Das lässt Warschaus Sprecher für Stadtplanung so natürlich nicht stehen: „Krakau ist zwar eine Pro-Fahrrad-Stadt, aber es kommen nur ca. 5 Kilometer pro Jahr dazu. In Warschau sind es rund 30 Kilometer.“

Bei Verkehrsthemen entwickeln sich oft aggressive politische Debatten

Ein Sprecher der Stadtplanung in Warschau

Obwohl jedes Jahr kilometerlange neue Radwege eröffnet werden, weisen viele Aktivist:innen darauf hin, dass Warschau bei weitem nicht an die Fahrradrevolution von Paris heranreicht und der Warschauer Bürgermeister die Chance verpasst hat, während der Pandemie größere Veränderungen im Stadtverkehr einzuführen – zum Beispiel durch die Errichtung von Pop-Up-Radwegen wie in Berlin.

Oskar Kulik ist in Warschau aufgewachsen und hier fast jeden Tag mit dem Rad unterwegs. Im Mai hatte er seinen ersten Unfall, angefahren von einem Auto, der Fahrer hat vermutlich auf sein Handy geschaut. Kulik hat sich einen Wirbel gebrochen, ist auf dem Weg der Genesung. „Allerdings habe ich immer noch etwas Angst jetzt, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin.“

Trotzdem ist er relativ zufrieden: „Vor ca. zehn Jahren gab es nur sehr wenige längere Radwege in Warschau“, erinnert er sich. „Es hat sich deutlich verbessert: Ich kann die meisten Orte im Stadtzentrum größtenteils auf Radwegen erreichen.“

Auch Adam Rajewski findet, dass Radfahren im Warschau immer angenehmer wird. Er fährt pro Woche mindestens 120 Kilometer durch die Stadt, zur Arbeit und zu Terminen. Radfahren werde in Warschau immer akzeptierter, obwohl es immer wieder Reibereien zwischen den drei Gruppen Autos, Fahrrad und Fußgänger:innen gebe. Ein Auto hat Rajewski nicht. „Man kann die meisten wichtigen Orte in der Stadt mit dem Fahrrad erreichen, obwohl es einige große Lücken gibt“, sagt der Ingenieur, ein Spezialist für Nuklearprojekte.

Hier können Radfahrende den Fuß abstellen und bei Grün besser starten: diese Einrichtungen gibt es auch in Berlin - und auch hier in Warschau.
Hier können Radfahrende den Fuß abstellen und bei Grün besser starten: diese Einrichtungen gibt es auch in Berlin - und auch hier in Warschau.

© Robert Klages

Leider lasse die Planung zu wünschen übrig: Die Radverkehrsinfrastruktur werde an die Straßenplanung „angehängt“, aber nicht als integraler Bestandteil davon betrachtet – das spüre man, wenn man durch Warschau radelt. „Das führt zu sehr verwinkelten Radwegen und oft zu unnötigen Kollisionspunkten mit dem Fußgängerverkehr. Außerdem reichen die Radwege an einigen besonders verkehrsreichen Orten nicht mehr aus, um das sommerliche Radverkehrsaufkommen in der Hauptverkehrszeit zu bewältigen. Aber die Fortschritte, die in den letzten 10 Jahren erzielt wurden, sind gewaltig“, so Rajewski. In Berlin hingegen fühle er sich sicherer auf den Radwegen. Aber er will die Städte nicht vergleichen.  

Der Autor dieses Artikels, Robert Klages, ist im September und Oktober über das „Internationale Journalisten Programm“ (IJP) in Polen unterwegs.

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