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Harte Landung in der Realität: Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj.

© Gestaltung: Tagesspiegel, Fotos: REUTERS/Etiana Dzhafarova, AFP/Roberto Schmidt

Nach dem Eklat Trump-Selenskyj : Drei bittere Einsichten zum Krieg in der Ukraine

Trumps Friedensplan kann scheitern. Europa muss sich darauf vorbereiten, die Ukraine auch ohne die USA so zu unterstützen, dass sie Putin eindämmen kann.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Und nun? Nach dem Eklat im Oval Office könnte man meinen, dass das Tischtuch zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj zerschnitten ist. Und die Chancen für ein Wiedersehen der beiden schlecht stehen.

Doch man kann Trumps zornige Worte auch anders deuten: Selenskyj solle wiederkommen, wenn er friedenswillig sei. Das ausgehandelte Abkommen zum Abbau ukrainischer Rohstoffe durch die USA liegt zudem weiterhin unterschriftsreif auf dem Tisch.

Die drei europäischen Besuche der zurückliegenden Woche bei Trump – Emmanuel Macron, Keir Starmer, Wolodymyr Selenskyj – bieten eine gute Grundlage, Bilanz zu ziehen, welche Wege zu einer Zukunft der Ukraine in Sicherheit und Frieden Erfolg versprechen und welche nicht.

Auf den ersten Blick sind alle drei mit leeren Händen abgereist. Und Wladimir Putin darf sich freuen. Im Vergleich hat Selenskyj jedoch die beste Ausgangslage für eine Wiederaufnahme der Gespräche mit Trump. Der ist vernarrt in die Idee, dass er Frieden in der Ukraine stiftet und den Friedensnobelpreis erhält. Er hat aber offenkundig falsche Vorstellungen, wer das größte Hindernis auf diesem Weg ist. Das ist nämlich Wladimir Putin und nicht Selenskyj.

Der ausgehandelte „Deal“ über die Bezahlung der US-Militärhilfe mit seltenen Erden und die unverschämte Behandlung des Gastes im Oval Office zeigen das typische Dilemma für europäische Beobachter im Umgang mit Trump: Soll man sich empören oder den praktischen Nutzen jenseits der moralischen Fragen ausloten?

Die Vereinbarung würde die USA zu einer indirekten Garantiemacht machen. Diese US-Investitionen wären es dem Geschäftsmann Trump wert, mit amerikanischen Soldaten verteidigt zu werden. Die offene Frage lautet: Wird auch Putin das glauben? Auch Selenskyjs Standhaftigkeit – lieber den Rauswurf akzeptieren, als sich erpressen lassen – dürfte sich bezahlt machen.

1. Die USA bleiben unverzichtbar für Europas Sicherheit

So war es ja auch beim Rohstoff-Deal. Trumps erster Vorschlag hätte die Ukraine zu einer amerikanischen Rohstoff-Kolonie ohne große Gegenleistung gemacht. Selenskyj hat das Ansinnen abgelehnt. Dann einigten sie sich auf eine nachgebesserte Version. Der gemeinsame Abbau von Rohstoffen mit US-Konzernen ist eine Art Sicherheitsgarantie. Diesmal zerstritten sie sich jedoch wegen der Einschätzung Putins.

Putin (r.) fürchtet nur Amerikas Militärmacht.

© dpa/Sergei Bobylev

Die drei Besuche bei Trump zwingen Europa zu bitteren Einsichten. Erstens bleiben die USA als Sicherheitsfaktor in Europa vorerst unverzichtbar. Die Europäer sind noch immer nicht fähig, eine Friedensordnung auf dem eigenen Kontinent aus eigener Kraft durchzusetzen.

Die Ukraine hat derzeit die einzige, kampferprobte Armee in Europa, die Putin stoppen kann.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.

Die von Trump geforderten Friedenstruppen müssten rund 100.000 Soldaten umfassen. Deutschland hat in der Vergangenheit nur ein paar tausend Mann in Auslandseinsätze schicken können. Frankreich auch nicht viel mehr.

Die britische Armee ist so geschrumpft, dass sie nicht mal alle Sitze im Londoner Wembley-Stadion füllen würde. Putin hat keine Angst vor diesen Europäern. Er fürchtet nur die US-Militärmacht.

2. Ein falscher Frieden führt zum größeren Krieg

Die zweite bittere Einsicht: Ein falscher „Frieden“ für die Ukraine wäre ein Fehler mit tödlichen Folgen. Gewiss, jeder, der ein Herz hat, wünscht, dass der Krieg und das Sterben enden.

Doch der Kopf weiß, dass Putins Unterschrift nicht zu trauen ist. Er hat alle Absprachen verlässlich gebrochen und stoppt nur, wenn er militärisch dazu gezwungen wird. Wann wird auch Trump das endlich begreifen?

Schwachpunkt: Bundeswehr in Litauen

Ein „Frieden“, den Europa nicht sichern kann und Trump nicht sichern will, wäre nur eine Atempause vor dem nächsten, größeren Krieg. Putin tickt da wie Hitler 1938 in München. Er versteht „Appeasement“ als Ermunterung. Und wenn Europa die wenigen Truppen, die es hat, in die Ukraine schicken würde, wäre die Ostfront der Nato im Baltikum erst recht schutzlos. Das gilt speziell für die Bundeswehr in Litauen.

So fürchterlich es klingt: Dann ist es besser, der Ukraine die Waffen, die Munition und das Geld zu geben, das sie braucht, um sich weiter gegen Putin zu wehren. Sie schenkt uns die Zeit, um die schlimmen Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen und die eigenen Streitkräfte binnen zwei, drei Jahren so auszurüsten, dass sie Putin hoffentlich von einem Angriff auf die Nato abschrecken.

Die Bundeswehr in Litauen ist dazu nicht fähig. Oberste Priorität der neuen Bundesregierung muss sein, das rasch und entschlossen zu ändern.

Es gibt also wenig Grund, auf die Ukraine wie auf einen Hilfsbedürftigen herabzuschauen. Mit ihrem Kampfeswillen hilft sie umgekehrt uns. Klar doch, das geht nur mit westlicher Hilfe. Aber mit der kann sie es besser, als wir es könnten. Die Ukraine hat derzeit die einzige, kampferprobte Armee in Europa, die Putin stoppen kann.

3. Dann wäre es besser: Die Ukraine kämpft weiter – dank einer Koalition der Willigen

Trump will der Ukraine nicht die Sicherheitsgarantie geben, die sie bräuchte. Die beste wären Nato-Beitritt und Nato-Präsenz in den freien Gebieten der Ukraine nach dem Muster der jungen Bundesrepublik nach dem Weltkrieg.

Trump will die Ukraine auch nicht weiter mit Waffen, Munition und Geld auf Kosten der US-Steuerzahler unterstützen. Immerhin das könnten die Europäer leisten. Freilich nicht die EU. Die ist zwar wirtschaftlich siebenmal stärker als Russland, aber auf Einstimmigkeit angewiesen. Oft legt ein Land bei Abstimmungen sein Veto ein.

Aber eine Koalition der Willigen in Europa kann der Ukraine geben, was sie braucht. Rund ein Dutzend Staaten – Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Großbritannien, hoffentlich auch das kriselnde Frankreich und Deutschland – haben gemeinsam das vierfache ökonomische Potenzial von Russland. Sie müssen es nur endlich nutzen wollen. Die künftige deutsche Regierung hat dabei die Schlüsselrolle.

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