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Am Donnerstag ist Evan Gershkovich in Moskau festgenommen worden. Auf dem Bild ist zu sehen, wie er zu einem Auto vor einem Gerichtsgebäude geführt wird.

© Reuters/Evgenia Novozhenina

Update

Nach Festnahme eines US-Reporters: Weißes Haus ruft US-Bürger zum Verlassen Russlands auf

Am Donnerstag ist in Russland ein amerikanischer Journalist festgenommen worden. Er soll Rüstungsspionage betrieben haben. Welchen Plan verfolgt Moskau mit der Verhaftung?

Die US-Regierung hat nach der Inhaftierung eines US-Journalisten ihren Aufruf an US-Staatsbürger erneuert, sofort aus Russland auszureisen. Die Anwesenheit von US-Amerikanern in Russland sei zutiefst besorgniserregend, sagte der Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses, John Kirby, am Donnerstag.

Von der Festnahme des US-Reporters Evan Gershkovich und den Vorwürfen gegen ihn sei man überrascht worden. Es habe keine Vorwarnung gegeben und auch keine Anzeichen dafür, dass Russland eine Art größere Aktion gegen Journalisten im Allgemeinen plane, sagte Kirby weiter. Es sei nun noch zu früh zu sagen, ob dies der Fall sei.

Das US-Außenministerium rät Bürgerinnen und Bürgern der USA bereits von Reisen nach Russland ab - auch wegen des Risikos unrechtmäßiger Inhaftierungen. Es sei nicht neu für Russland, US-Amerikaner festzuhalten oder gegen eine freie und unabhängige Presse vorzugehen, sagte Kirby. 

Haftbefehl wegen angeblicher Spionage

Es klingt wie der Beginn eines Agententhrillers aus der Zeit des Kalten Krieges – und scheint jedoch schlicht eine weitere Provokation Russlands in einer ohnehin schon angespannten Weltlage zu sein. Es geht um Rüstungsspionage, einen festgenommenen Spitzel – und zwei sich gegenüberstehende Supermächte.

Am Donnerstag hat ein Gericht in Moskau Haftbefehl gegen Evan Gershkovich, einen Reporter der renommierten US-amerikanischen Zeitung „Wall Street Journal“, wegen angeblicher Spionage erlassen. Zuvor war er in Jekaterinburg im Ural festgenommen worden. Das hatte die russische Nachrichtenagentur Tass gemeldet und sich dabei auf den russischen Geheimdienst FSB bezogen.

Dieser hatte Gershkovich „Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung“ vorgeworfen, angeblich soll er für die USA Informationen über den militärisch-industriellen Komplex in Russland gesammelt haben. Am Donnerstagnachmittag hieß es aus dem Kreml, dass die Vorwürfe gegen Gershkovic bewiesen seien. „Soweit uns bekannt ist, wurde er auf frischer Tat ertappt“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow im staatlichen Rundfunk. Bis zum 29. Mai soll Gershkovich in Untersuchungshaft bleiben, sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft.

Das „Wall Street Journal“ widerspricht den Vorwürfen heftig

Soweit die Vorwürfe von russischer Seite, denen Gershkovichs Arbeitgeber heftig widersprach. „Das Wall Street Journal weist die Anschuldigungen des FSB vehement zurück und fordert die sofortige Freilassung unseres vertrauenswürdigen und engagierten Reporters“, hieß es in einem Statement der Zeitung. „Wir stehen in Solidarität mit Evan und seiner Familie.“

Gershkovich berichtet für die Zeitung aus Russland, er ist als Journalist auch beim russischen Außenministerium akkreditiert. Zuletzt hatte über die Söldnertruppe Wagner recherchiert, die derzeit auch in der Ukraine auf russischer Seite kämpft. Konkret soll es um die Einstellung der Bevölkerung zu den Anwerbeversuchen der Privatarmee gegangen sein.

Evan Gershkovich arbeitet für das „Wall Street Journal“ in Russland.
Evan Gershkovich arbeitet für das „Wall Street Journal“ in Russland.

© AFP/Dimitar Dilkoff

Doch was steht hinter Gershkovichs Festnahme? Der Fall erinnert an den der Basketballspielerin Brittney Griner, die im Februar 2022 am Flughafen in Moskau verhaftet wurde, weil in ihrem Handgepäck geringe Mengen Haschischöl gefunden worden waren. Sie wurde anschließend zu neun Jahren Haft verurteilt. Die US-Regierung verhandelte mit Russland über ihre Freilassung, es kam zu einem Gefangenenaustausch, Griner kam im Dezember 2022 frei.

Wir sind alarmiert über diesen Versuch, Medienschaffende einzuschüchtern!

Reporter ohne Grenzen

Hat es Russland also auch in diesem Fall wieder nur auf ein Tauschgeschäft abgesehen? „Letztlich werden die USA nicht umhinkommen, über den Austausch mit den russischen Behörden zu verhandeln“, sagt Gerhard Mangott, Professor für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum an der Universität Innsbruck, dem Tagesspiegel.

Zwei Ziele verfolge Moskau mit der Festnahme. „Zum einen sollen westliche Journalisten in den Augen der russischen Bevölkerung diskreditiert werden. Zum anderen aber dienen solche Festnahmen dazu, ,Geiseln’ zu bekommen, die dann gegen im Westen gefangen genommene russische Spione ausgetauscht werden sollen“, sagte Mangott.

US-Amerikaner werden in Russland immer wieder der Spionage verdächtigt, im Zuge des Ukraine-Krieges ist die Situation für sie noch prekärer geworden. Dass jedoch ein akkreditierter Journalist nun Gefahr läuft, bis zu 20 Jahre in einem russischen Gefängnis zu verbringen, ist ein neuer Tiefpunkt im russisch-amerikanischen Verhältnis. „Die Festnahme Gershkovichs wird die ohnehin eingefrorenen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch zusätzlich belasten“, sagte Gerhard Mangott.

Gershkovichs Festnahme hatte am Donnerstag weltweit für Empörung gesorgt. „Wir sind alarmiert über diesen Versuch, Medienschaffende einzuschüchtern!“, twitterte zum Beispiel die international tätige Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Auch Journalisten anderer Medien verurteilten die Festnahme scharf.

Weißes Haus „zutiefst besorgt“

Neben ihrem Appell an die amerikanische Bevölkerung, Russland schnellstmöglich zu verlassen, hat die US-Regierung die Inhaftierung Gershkovichs „aufs Schärfste“ verurteilt. „Die Verfolgung amerikanischer Staatsbürger durch die russische Regierung ist inakzeptabel“, teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. „Wir sind zutiefst besorgt über die beunruhigenden Berichte, dass Evan Gershkovich, ein amerikanischer Staatsbürger, in Russland festgenommen wurde.“ Das US-Außenministerium stehe in direktem Kontakt mit der russischen Regierung und bemühe sich aktiv darum, Gershkovich konsularischen Zugang zu verschaffen.

Am Mittwochabend (Ortszeit) hätten Vertreter der US-Regierung mit dem Arbeitgeber Gershkovichs, dem „Wall Street Journal“ gesprochen. Man stehe auch in Kontakt mit der Familie des Journalisten. „Wir verurteilen auch die fortgesetzte Verfolgung und Unterdrückung von Journalisten und der Pressefreiheit durch die russische Regierung“, teilte das Weiße Haus weiter mit.

Kremlsprecher Peskow hofft derweil auf Einsicht von amerikanischer Seite und dass es nun nicht Repressionen gegen russische Journalisten in den USA gebe. Schließlich gehe es bei Gershkovich nicht bloß um einen Verdacht. Er sei auf frischer Tat ertappt worden. (mit dpa)

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