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Fahrzeuge in der Region Murmansk (Symbolfoto).

© IMAGO/ITAR-TASS

Ukraine-Invasion Tag 630: „Ich möchte die Ukrainer um Vergebung für das bitten, was mein Sohn getan hat“

Klitschko blickt mit Sorge auf kommende Monate, Russland räumt ukrainischen Vorstoß auf von Moskau kontrolliertes Dnipro-Ufer ein. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Die Toten begleiten Konstantin Dobrowolski bereits seit 44 Jahren. Der Mann aus der Nähe der russischen Stadt Murmansk sucht seither nach den Überresten von Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind, und versucht, ihnen ein würdiges Begräbnis zu geben. Zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat er eine klare Meinung – auch weil er seinen Sohn in diesem Kampf verlor. Die „New York Times“ hat nun seine Geschichte aufgeschrieben (Quelle hier).

Von der Aufgabe, der er sich damals gestellt hat, konnte ihn auch der aktuelle Krieg nicht abhalten. Dass der Kreml versucht, Parallelen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem heutigen Schlachtfeld zu ziehen, lehnt Dobrowolski entschieden ab. Und aus dieser Ablehnung macht er auch keinen Hehl, weshalb er zum ersten Mal nicht bei einer Gedenkzeremonie für die Toten sprechen darf.

„Die sowjetischen Soldaten haben gesiegt, weil sie ihr Heimatland verteidigt haben, so wie es heute die Ukraine tut“, sagte er der „New York Times“. „Dies ist ein beschämender Krieg. Wie viele Generationen werden wir brauchen, um das zu überwinden?“ Er hat darüber, so schreibt die Zeitung, auch mit anderen Leuten aus seinem Team gestritten. Viele von ihnen unterstützen im Gegensatz zu ihm den Krieg gegen die Ukraine. Dennoch graben sie weiter gemeinsam nach den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs.

Dobrowolski kennt den Schmerz, einen nahen Menschen in einem Krieg zu verlieren. Sein eigener Sohn starb in Bachmut. Er habe versucht, ihn zu überzeugen, nicht in den Kampf zu ziehen, nicht der Propaganda der russischen Regierung zu glauben. Er habe ihn daran erinnert, dass sein Cousin in der Ukraine lebe. Doch das Versprechen nach Freiheit und Geld habe seinen Sohn dazu bewegt, an die Front zu gehen. Denn er verbüßte eine Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung – und wurde wie viele andere von der Söldnergruppe Wagner aus dem Gefängnis heraus für den Kampf gegen die Ukraine rekrutiert.

Er wisse nicht, ob sein Sohn jemanden getötet habe, sagt Dobrowolski. Doch wenn der Krieg vorbei sei, dann wolle er nach Bachmut gehen. „Ich möchte die Ukrainer um Vergebung für das bitten, was mein Sohn getan hat“, sagt er. „Es ist eine Schande, es ist eine Schande.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko blickt mit Sorge auf die kommenden Monate. „Vor dem Winter bin ich nervös“, sagte er am Rande der einer Konferenz in Leipzig. In der Ukraine herrsche derzeit „eine Illusion an Leben, die jede Sekunde zerstört werden kann“, beschrieb er die Lage in seinem Heimatland. Mehr hier.
  • Der befürchtete Stillstand der Regierungsgeschäfte in den USA scheint abgewendet. Die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses stimmten mit mehr als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit einem Gesetzesentwurf für einen Übergangshaushalt zu. Dieser klammert allerdings die von Biden beantragten Milliarden-Unterstützungen für Israel und die Ukraine aus. Mehr hier.
  • Russland will aus Sicht von US-Experten im Kriegsgebiet im Osten der Ukraine aktuell mit mehreren parallelen Angriffen die Initiative auf dem Feld zurückgewinnen. Der Erfolg dieser Versuche sei aber wegen des anhaltenden Drucks durch die ukrainische Gegenoffensive fraglich, teilte das US-Institut für Kriegsstudien mit. Mehr im Newsblog.
  • Durch russischen Beschuss sind im Süden und Osten der Ukraine offiziellen Angaben zufolge mindestens zwei Zivilisten getötet und zehn weitere verletzt worden. So starb etwa in der Region Saporischschja laut dem regionalen Militärgouverneur ein Mann, nachdem russische Raketen in seiner Ortschaft eingeschlagen waren.
  • Ukrainischen Streitkräften ist es russischen Angaben zufolge gelungen, auf die von Russland kontrollierte Seite des Flusses Dnipro im Süden der Ukraine vorzustoßen. Rund „anderthalb“ ukrainische Kompanien befänden sich „in kleinen Gruppen“ am Ostufer des Flusses, erklärte der von Moskau eingesetzte Gouverneur der Region Cherson, Wladimir Saldo.
  • Aus Osteuropa kommen Forderungen nach Rettungsversuchen für den vom Scheitern bedrohten EU-Munitionsplan für die Ukraine. Wenn aus den eigenen Lagern und über eigene neue Bestellungen bei der Industrie nicht ausreichend Munition organisiert werden könne, sollte man bereit sein, in Drittstaaten zu kaufen, sagte Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur. 
  • Eine russische Delegation hält sich weiter zu Gesprächen in Nordkorea auf. Russland und Nordkorea hätten sich über Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie ausgetauscht, berichtete die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Die Delegation war am Dienstag in Pjöngjang eingetroffen. 
  • Die Bundeswehr und ihre Partner haben eigenen Angaben zufolge inzwischen etwa 8000 ukrainische Soldaten für die Verteidigung ihres Landes gegen russische Angreifer ausgebildet. „Meine Erwartung ist, dass wir bis Ende des Jahres ungefähr 10.000 ausgebildet haben werden in circa 200 Trainingsmodulen“, sagte Generalleutnant Andreas Marlow, Befehlshaber des multinationalen Ausbildungskommandos.

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