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Beim 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas konnte Staatspräsident Xi Jinping seine Macht weiter zementieren.

© Foto: Imago/Kyodo News

Xis Allmacht als globales Problem: China droht ein tödliches Chaos

Xi Jinpings unbegrenzte Kontrolle über Staat, Wirtschaft und Gesundheitspolitik, gepaart mit seiner „Wolfskrieger“-Außenpolitik und Sympathie für Putin, kommen die Chinesen teuer zu stehen.

Ein Gastbeitrag von Ian Bremmer

Xi Jinping hat nach dem 20. Parteitag im Oktober mehr Kontrolle über die regierende Kommunistische Partei und damit über China als jeder seiner Vorgänger seit Mao Zedong.

Er kann seinen staatszentrierten Ansatz in der Wirtschaft und seine nationalistische Außenpolitik ohne größeren internen Widerstand fortsetzen. Er hat den Höhepunkt seiner Macht erreicht und ist jetzt „Maximum Xi“.

Xis Fähigkeit, willkürliche Entscheidungen zu treffen, die sich auf das Leben von Milliarden von Menschen auswirken, ist damit konkurrenzlos. Und da China heute um ein Mehrfaches wichtiger für die Stabilität der Weltwirtschaft und das geopolitische Kräftegleichgewicht ist als zu Maos Zeiten, wird Xis Macht zu einem globalen Problem.

Man denke nur an einige seiner jüngsten Entscheidungen. Seine Weigerung, im Ausland hergestellte mRNA-Impfstoffe zu importieren, hat dazu geführt, dass die 1,4 Milliarden Einwohner Chinas viel anfälliger für Covid-19 sind.

Bislang gibt es offiziell viel weniger Todesfälle als in den Vereinigten Staaten und Europa. Aber es ist zu befürchten, dass dieser bemerkenswerte (wenn auch wirtschaftlich und sozial teuer erkaufte) Erfolg nicht von Dauer sein wird.

China hat es nicht geschafft, seine Bürger angemessen zu impfen, auch nicht mit in China hergestellten Impfstoffen. Millionen Menschen sind der Gefahr einer schweren Erkrankung oder des Tods ausgesetzt.

Problematische Entscheidungen nach innen und außen

Xis Streben nach Kontrolle hat auch in anderen Bereichen erheblichen Schaden angerichtet. Sein heimliches Vorgehen gegen private Technologieunternehmen, das wahrscheinlich auf Furcht vor zu viel Einfluss dieser Firmen auf die Informationsflüsse beruht, hat Chinas Fähigkeit reduziert, bahnbrechende digitale Technologien zu entwickeln.

Und das Vertrauen internationaler Investoren untergraben, dass China ein sicherer Ort für Investitionen bleibt. Damit hat Xi einem der effizientesten Bereiche des chinesischen Privatsektors eine Billion Dollar Marktkapital entzogen.

Xis Fähigkeit, willkürliche Entscheidungen zu treffen, die sich auf das Leben von Milliarden von Menschen auswirken, ist konkurrenzlos. 

Ian Bremmer, Präsident der Beratungsfirma Eurasia Group

In der Außenpolitik hat Xi drei Wochen vor der Invasion in der Ukraine eine „unbegrenzte“ Freundschaft mit Russland ausgerufen. Und so die Sorgen in Amerika und Europa verschärft, dass er den Hunger Putins teilt, das internationale System umzugestalten.

In allen drei Fällen haben Xis autoritäre Persönlichkeit, sein Streben nach strikter Kontrolle und seine aggressive Außenpolitik die klugen Ratschläge, die er vielleicht aus der Staatsbürokratie erhalten hat, verdrängt.

Das geschah, bevor Xi sich im November selbst zum Kaiser krönte, den Ständigen Ausschuss des Politbüros mit vertrauten Loyalisten besetzte und den Post-Mao-Konsens der Herrschaft durch Ausschüsse in China über Bord warf.

Ein einziger, allmächtiger Führer

Jetzt wird die chinesische Politik direkt von einem einzigen, allmächtigen Führer gesteuert. Es gibt noch weniger Transparenz im politischen Prozess, weniger verlässliche Informationen, die bis zur Spitze durchdringen und deren Entscheidungen beeinflussen, und weniger Spielraum, Fehler einzugestehen, den Kurs zu ändern oder Kompromisse zu schließen.

Die Probleme durch Xis maximale Macht werden 2023 noch zunehmen. Erstens könnte die überraschende Entscheidung, die Null-Covid-Strategie auf einen Schlag und ohne sorgfältige Vorbereitung zu beenden, eine Million oder mehr Chinesen töten.

Der kurzfristige Kurswechsel, die unkontrollierte Ausbreitung des Virus zuzulassen, trotz der gefährlich niedrigen Impfraten unter älteren Menschen, wurde beschlossen, ohne die Bürger und die lokalen Regierungen zu warnen.

Nun droht ein tödliches Chaos. Xi wird es vor der Außenwelt und dem eigenen Volk zu verbergen versuchen. Falls eine gefährliche neue Covid-Variante auftaucht, wird sie sich unter „Maximum Xi“ deshalb wahrscheinlich schnell in ganz China und über die Grenzen hinweg ausbreiten.

Xis heimliches Vorgehen gegen private Technologieunternehmen hat Chinas Fähigkeit reduziert, bahnbrechende digitale Technologien zu entwickeln. 

Ian Bremmer, Präsident der Beratungsfirma Eurasia Group

Die Fähigkeit Chinas, eine neue Variante zu identifizieren, wird durch Xis Anordnung, die Tests drastisch und plötzlich zu reduzieren, beeinträchtigt. Außerdem sind Chinas Krankenhäuser nicht auf die Wellen von Schwerkranken vorbereitet.

Die übrige Welt kann wie schon beim Ausbruch von Covid Ende 2019 nicht darauf vertrauen, dass China die zum Schutz von Menschenleben außerhalb Chinas erforderlichen Informationen weitergibt.

Schwere Folgen, auch für die chinesische Wirtschaft

Für die Wirtschaft wird Xis Streben nach staatlicher Kontrolle zu sachfremden Entscheidungen führen, die kein Experte hinterfragen kann, sowie zu einem Anstieg der politischen Unsicherheit.

Das sind schlechte Nachrichten für eine Wirtschaft, die bereits geschwächt ist durch zwei Jahre Covid-Sperren, sinkendes Vertrauen in Chinas überaus wichtigen Immobiliensektor und Kreditausfälle, die den Finanzsektor des Landes untergraben.

Pekings Umgang mit Wirtschaftsstatistiken wird zu einem weiteren Problem. Die plötzliche Entscheidung während des Parteikongresses, die Veröffentlichung lange geplanter Wirtschaftsdaten zu verschieben, war ein unheilvolles Zeichen für die globalen Märkte.

In der Außenpolitik werden Xis nationalistische Ansichten und seine Durchsetzungskraft die Beziehungen zu Rivalen, Verbündeten und zahlreichen neutralen Regierungen bestimmen, die nur ungern Partei ergreifen wollen.

Xi weiß, dass China sich angesichts des Ausmaßes und der Dringlichkeit der wirtschaftlichen Herausforderungen keine kurzfristige Krise leisten kann. Aber die konfrontative „Wolfskrieger“-Diplomatie – benannt nach einem chinesischen Action-Film – wird er dennoch intensivieren.

Seine persönliche Sympathie für Wladimir Putin und dessen Weltanschauung wird die Zusammenarbeit Chinas mit Regierungen, die die Ukraine unterstützen, einschränken. So wird Russlands immer destruktiveres Verhalten die Haltung der USA und Europas gegenüber Xi und China 2023 prägen.

Das letzte Mal, als ein chinesischer Staatschef über so viel uneingeschränkte Macht verfügte, waren Hungersnöte, wirtschaftlicher Ruin und der Tod von Millionen von Menschen die Folge. Eine „Kulturrevolution“ oder ein „großer Sprung nach vorn“ sind heute nicht in Sicht.

Die gewachsene Bedeutung der gebildeten städtischen Mittelschichten ist eine der wenigen Möglichkeiten, Xis Fähigkeit zu drastischen Maßnahmen zu begrenzen. „Maximum Xi“ hat China und das chinesische Volk bereits viel gekostet. 2023 werden die Kosten wahrscheinlich noch wachsen.

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