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Katja Kipping (Die Linke)

© dpa/Annette Riedl

Katja Kipping im Interview: „Es reicht nicht aus, nur Dinge anzukündigen“

Die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales (Linke) über Herzblut, Erfolge, Abschieds-Wehmut und warum ihr ein schwarz-roter Senat Sorgen bereitet.

Sie haben als Senatorin in eineinhalb Jahren eine extrem herausfordernde Zeit erlebt. Was bleibt an Erfolgserlebnissen?

Die Liste ist lang. Sehr gut vorangekommen sind wir mit dem Wohnungslosenprojekt housing first; wir haben das Pilotprojekt verstetigen und ausweiten können. Es freut mich natürlich auch, dass es in einem großartigen gemeinsamen Kraftakt der Zivilgesellschaft aber auch der Verwaltung gelungen ist, in Berlin die größte Fluchtbewegung seit Ende des zweiten Weltkriegs zu bewältigen. Das war eine Mammutaufgabe. Wir haben zugleich steigende Asylsuchende-Zahlen zu bewältigen. Drittens freut es mich sehr, dass der rot-rot-grüne Senat mit einem enorm ambitionierten Entlastungspaket auf die Energiekostenkrise reagiert hat. Unter meiner Federführung war da etwa der Härtefallfonds gegen Energiesperrungen.

Und mit dem „Netzwerk der Wärme“ haben wir trotz steigender Kosten viele Begegnungs- und Beratungsangebote ausweiten können. Aktuell freut mich, dass es gelungen ist, das Neun-Euro-Sozialtickets bis zum Jahresende zu sichern. Im Bereich guter Arbeit haben wir den Landesmindestlohn auf 13 Euro erhöht und bei der Vergabe von Aufträgen des Landes die Tariftreue zum Kriterium gemacht sowie ein Onlineregister Tariftreue ins Netz gebracht. Auch was die Bezahlung bei freien Trägen angeht, hat es Fortschritte gegeben.

Hätte es diese Ergebnisse ohne die Linke im Senat nicht gegeben?
Für diese Ergebnisse haben die Berliner Linke und natürlich auch ich gemeinsam mit meinem Team mit Herzblut gekämpft. Damit all das kommt, waren sozialökologische Mehrheiten, also rot-rot-grün notwendig.

Sind Sie an Grenzen des Machbaren gestoßen, auch an die Grenzen der Verwaltung?
Nein, das Ziel war ja, die Grenzen auszuweiten. Da ist noch nicht alles geschafft, was mir am Herzen lag. Aber angesichts dessen, dass wir quasi nebenbei durch die Fluchtbewegung, das Andauern der Pandemie, der Energiekostensteigerung und Umsetzung des Entlastungspakets drei Krisen gleichzeitig stemmen mussten, haben wir ganz schön viel geschafft. Natürlich hätte ich mir gewünscht, beim Thema Digitalisierung oder Entbürokratisierung der Zuwendungen im Sozialbereich weiter voranzukommen. Aber alle Akteure standen unter einer enormen Mehrfachbelastung. Dafür ist viel passiert. Um es zu vollenden, ist einfach mehr Zeit nötig. 

Bedauern Sie, dass Sie das voraussichtlich nicht mehr tun können?
Klar. Ich hätte mich gerne weiter mit meinem tollen Team für ein sozialeres Berlin eingesetzt.

In welchen Bereichen fürchten Sie, dass Themen, die Sie vorangebracht haben, beim neuen CDU-SPD-Senat eine geringere Wertschätzung und Unterstützung vorhanden ist?
Ankündigungen gibt es einige. Es reicht aber nicht, Dinge anzukündigen, sondern in jeder Etappe der Umsetzung braucht es Herzblut und Beharrlichkeit. Mit besonderer Sorge schaue ich darauf, was mit dem ganzen Bereich von Integration und Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund und Unterbringung von Geflüchteten unter Schwarz-Rot passieren wird. Für uns war immer klar, Notunterkünfte sind nur vorrübergehend für die Unterbringung, weil der Neubau von MUFs nicht schnell genug geht angesichts einer Verdoppelung allein bei den Asylsuchenden, die 2022 in Berlin verblieben sind. Notunterkünfte dürfen nicht zum dauerhaften Standard werden.

Beim Stichwort Herzblut und Leidenschaft: Hat Sie rückblickend die immense Solidarität der Berliner*innen überrascht, etwa bei der Hilfe für geflüchtete Menschen aus der Ukraine?
Nicht überrascht, aber begeistert. Das war bemerkenswert und unglaublich wichtig in dieser Situation. Ich fand es nur etwas schade, wie das mehr als berechtigte Lob für das ehrenamtliche Engagement einherging mit einem Verwaltungs-Bashing. Ich habe gesehen, was die Freiwilligen leisteten, aber auch, wie sich die Leute in den Verwaltungen verausgabten. Deren Einsatz war nicht so vor den Kameras sichtbar, aber was die im Hintergrund taten, war ein toller Einsatz.

Haben Sie in ihrer Amtszeit ein anderes Verhältnis zur Zivilgesellschaft gewonnen?
Die enge Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen ist ja ein roter Faden in meinem Leben. Aber im Amt hat sich noch einmal die große Wertschätzung und der Respekt vor dem Engagement vertieft. Auch meine Überzeugung, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und gesellschaftliche Veränderung immer beides braucht – entsprechende politische Mehrheiten als auch zivilgesellschaftlicher Einsatz –, die ist noch einmal gestärkt worden.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Politik sich zu sehr darauf verlässt, dass engagierte Menschen sich um Probleme kümmern, die eigentlich öffentliche Aufgaben sind und bei denen staatliche Hilfe nötig ist?
Als wir innerhalb weniger Tage mit der Fluchtbewegung aus der Ukraine konfrontiert waren, da war es unglaublich wichtig, dass es diese riesige Unterstützung durch Freiwillige gab. Das war schließlich auch ein politisches Zeichen gegen das Regime Putin.

Ehrenamtliches Engagement kann noch mal etwas besonders geben, es kann kurzfristig auch eine Situation abfedern, aber es sollte nicht dauerhaft staatliche Aufgaben ersetzen müssen. Doch leider passiert das zunehmend im Bereich der Existenzsicherung. Das liegt daran, dass wir keine armutsfesten Sozialleistungen und Renten haben. Dadurch sind immer mehr Menschen auf freiwillige Angebote, etwa der Tafeln, angewiesen. Diese Lebensmittelausgabestellen sollten aber immer nur etwas Ergänzendes sein und keine existentielle Notwendigkeit. Das ist einer der Gründe, warum ich für das Land Berlin im Fachausschuss des Bundesrats eine deutliche Erhöhung der Sozialleistungen beantragt habe. Dafür gab es aber leider im Bundesrat keine Mehrheit.

Wo ist es nötig, das Engagement im sozialen Bereich stärker zu unterstützen und zu erleichtern?
Einen Ansatz, den es auszubauen gilt, ist die Zusammenarbeit zwischen BVG und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband bei der Bereitstellung von Fahrscheinen für Ehrenamtliche. Das scheint mir ganz wichtig, damit Freiwillige sich die Mobilität, die Ehrenamtliche brauchen, auch leisten können. Darüber hinaus haben wir verschiedenste Projekte gefördert, um ehrenamtliches Engagement zu erleichtern. Das beginnt damit, dass wir jetzt in Zusammenarbeit mit der Liga die ehrenamtliche Arbeit in der Wohnungslosenhilfe noch stärker unterstützen auch durch hauptamtliche Begleitung. Mit diesem Modellprojekt schauen wir, wie man diese Freiwilligenarbeit besonders wirksam unterstützen und verbessern kann.

Es gibt schon lange eine gute Tradition der Unterstützung von Ehrenamt und Selbstermächtigung und Empowerment im Bereich der migrantischen Organisationen. Wir haben da einen Integrationsfonds, in dem jedes Jahr die Projekte mit zwölf Millionen Euro gefördert werden. Diese Projekte haben ganz klar das Ziel, damit auch ehrenamtliche Arbeit zu unterstützen. Nur einige Beispiele: In der Ukraine-Fluchtbewegung haben wir auch sehr schnell die Zusammenarbeit mit der Landesfreiwilligenagentur mit 170.000 Euro unterstützt. Wir haben den Bundesfreiwilligendienst für Geflüchtete mit 130.000 Euro gefördert. Und es gibt im allgemeinen Ehrenamt ein Initiativ-Netzwerk, das mit 250.000 Euro unterstützt wird.

Sollte ehrenamtliches Engagement schon in den Schulen gelehrt und gefördert werden?
Teilweise passiert das ja schon in Schulen. An der Grundschule meiner Tochter können sich die Kinder überlegen, wo sie sich in einem Projekt sinnvoll einbringen wollen – das geht vom Essen kochen für Obdachlose bis hin zu einem Filmprojekt für den Klimaschutz. Das finde ich gut, weil freiwilliges Engagement ein Teil des sozialen Kitts ist, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Menschen, die sich engagagieren, geben etwas, aber in der Regel bekommen die Freiwilligen auch etwas zurück. Wer sich engagiert, steht auch für demokratische und humanistische Grundwerte.

Schleicht sich schon die Wehmut heran, dass Sie das Amt aufgeben müssen?
Ja, schon ein bisschen. Ich spüre sehr gemischte Gefühle. Da ist auf der einen Seite eine große Dankbarkeit, dass ich diese Erfahrung machen durfte, und zugleich eine Freude, weil unser Team gerade ganz viel Wertschätzung erfährt. Das ist bewegend, was unser Team an positiven Rückmeldungen bekommt. Dann fühle ich natürlich ein Bedauern, dass wir manche Sachen, die wir gerade erst angefangen haben, jetzt nicht fortführen können und nur dafür sorgen können, dass es eine bestmögliche Übergabe gibt. Zugleich merke ich aber bei aller Trauer darüber, dass etwas Schönes zu Ende geht, auch eine Neugier auf das, was kommt. 

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