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Zukunft Quantencomputer: Hannes Bernien in seinem Labor an der Universität Chicago

© John Zich / University of ChicagoJohn Zich / University of Chicago

Kommunikation mit verschränkten Photonen: Auf der Großbastelstelle Quantennetzwerke

Quantenphysiker Hannes Bernien erhält für seine Forschung den Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2023.

Von Catarina Pietschmann

Der Begriff Atom, abgeleitet vom altgriechischen ατομος – „das Unteilbare“ –, ist aus heutiger Sicht eigentlich falsch. Denn spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts weiß man, dass Atome aus kleineren Teilchen bestehen: aus positiv geladenen Protonen und aus Neutronen, die ihre Masse bilden, sich dabei in einem kleinen, festen Kern konzentrieren und von einer lockeren Atomhülle aus negativ geladenen Elektronen umgeben sind. Letztere können – bei Anregung durch Wärme oder Licht – so viel Energie aufnehmen, dass sie die starke elektrostatische Anziehung des Kerns überwinden und den Atomverband verlassen oder Bindungen mit anderen Atomen eingehen können. Werden sie jedoch gezielt mit einem Laser angeregt, senden sie sogar selbst „Teilchen“ aus: sogenannte Lichtquanten.

Derart erzeugte Photonen sind für die Entwicklung von Quantentechnologien, speziell Quantencomputern, von großem Interesse. Sie können dazu benutzt werden, den Zustand eines Quantenprozessors auszulesen, und sie können Quantencomputer miteinander verbinden. Analog zum Internet würde ein solches Netzwerk die Möglichkeiten enorm vergrößern und zum Beispiel Quanten-Cloud-Computing und unentschlüsselbaren Datenaustausch ermöglichen. Allerdings müssen für diese Verbindungen sogenannte verschränkte Zustände zwischen den Netzwerkknoten versandt werden. Zwei miteinander verschränkte Teilchen lassen sich nicht mehr unabhängig voneinander beschreiben. Ändert sich der Zustand von Teilchen A, wirkt sich das umgehend auf Teilchen B aus – selbst wenn beide meilenweit voneinander entfernt sind.

Für den Verbindungsaufbau im Quantennetzwerk lässt sich durch Laseranregung ein Atom mit einem Photon verschränken. Dieses Photon kann dann zum nächsten Knoten geschickt werden, wo es die Verschränkung auf ein weiteres Atom überträgt. Das Endresultat sind zwei verschränkte Atome, die jeweils als Qubits in den entfernten Quantencomputern benutzt werden können.

„Bahnbrechende Beiträge“

Hannes Bernien, Assistenzprofessor an der Pritzker School of Molecular Engineering der Universität Chicago, entwickelt Methoden, um Quantenprozessoren aus einzelnen Atomen zu bauen und diese durch verschränkte Photonen miteinander zu verbinden. Für seine herausragende Forschung wird er am 7. Dezember mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2023 ausgezeichnet. Die mit 50.000 Euro verbundene Ehrung wird nach der Auswahl durch zwei Fachkommissionen der Freien Universität an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Chemie und der Physik verliehen. Sie gehört zu den höchstdotierten privat finanzierten Preisen für junge deutsche Spitzenforschende. Geehrt wird Hannes Bernien von der Jury „für seine bahnbrechenden Beiträge zur Entwicklung von Quantentechnologie-Plattformen auf der Basis von Rydberg-Atomen sowie Farbzentren in Diamant“.

Wie erzeugt man verschränkte Photonen? Hannes Bernien knipst dafür im Labor erst einmal das Licht aus. Denn das besteht ja auch aus Photonen, und die würden stören. Unter dem Mikroskop kühlt er in einer Vakuumkammer eine Wolke einzelner Atome auf zehn Mikro-Kelvin ab. Das geht mit sechs gekreuzten Laserstrahlen aus allen Raumrichtungen. Fast bis auf den absoluten Nullpunkt eingefroren, werden einzelne Atome mit optischen Pinzetten (ebenfalls Laserstrahlen) eingefangen und sitzen im Fokus absolut bewegungslos. So lassen sich Gitter mit Hunderten einzelnen Atomen in beliebigen Geometrien erzeugen.

Bernien benutzt meist Atome der Elemente Rubidium und Cäsium. Entsprechend ihrem Platz in der ersten Hauptgruppe des Periodensystems besitzen sie auf ihrer äußersten „Schale“ nur ein Elektron. Das lässt sich mittels Laserpuls leicht dazu bringen, auf das nächsthöhere Energieniveau zu hüpfen und dabei das gewünschte Photon abzugeben. Oder auch zwei oder drei, je nach Anzahl der Laserpulse. Werden die Atome zu sehr hohen Energieniveaus angeregt – Physiker nennen das Atom dann „Rydberg-Atom“ – beginnen die Atome miteinander zu wechselwirken und können so auch über kurze Mikrometer-Distanzen miteinander verschränkt werden.

Der Zukunft entgegen

In einem zweiten Labor, 30 Kilometer entfernt, läuft zur selben Zeit das gleiche Experiment ab. Beide Apparaturen sind unterirdisch durch ein Glasfaserkabel miteinander verbunden, durch das Photonen nun aufeinanderzurasen, miteinander interferieren, um dann mit einem Einzelphotonendetektor gemessen zu werden. Diese Messung signalisiert die erfolgreiche Verschränkung der entfernten Atome.

Hannes Bernien sieht Quantencomputer noch in weiter Ferne. In den kommenden Jahren will er aber zu kleinen Quantennetzwerken aus 200 bis 300 verschränkten Atomen kommen, diese kontrollieren und Atom für Atom auslesen können. Vielleicht lassen sich diese Netzwerke sogar schon nutzen, um Computeralgorithmen darauf laufen zu lassen? Ihm geht es aber vor allem darum zu verstehen, was in solchen Systemen möglich ist. „Gibt es besondere Arten von Verschränkungen, die wir vielleicht noch gar nicht entdeckt haben? Solch ein Quantensystem ist für mich eine echte Entdeckungsmaschine“, sagt er begeistert.

Lieber Physik als Maschinenbau

Der 40-jährige Physiker stammt aus Rostock, übersiedelte als Kind mit der Familie nach Kiel und studierte später in Hannover. Anfangs hörte er auch Vorlesungen in Mathematik, Informatik, Geowissenschaften und Maschinenbau, bevor er sich für Physik entschied. Als Tüftler habe ihn die Kombination aus Theorie und Labor gereizt: neue Ideen zu verwirklichen, Modelle zu entwickeln, um herauszufinden, wie sich eine Theorie am besten testen lässt.

Ein Quantensystem ist für mich eine echte Entdeckungsmaschine.

Hannes Bernien, Assistenzprofessor an der Pritzker School of Molecular Engineering der Universität Chicago

Während des Diplomstudiums ging Hannes Bernien für ein Jahr nach Peking, nach dem Masterabschluss folgten sechs Monate an der Seoul National University in Südkorea. Sein Promotionsthema fand er in den Niederlanden, an der TU Delft. „Damals hatte man gerade entdeckt, dass sich an Fehlstellen im Diamanten einzelne Elektronen-Spins messen lassen“, erläutert Hannes Bernien. An den sogenannten Farbzentren im Diamantgitter – aus ansonsten reinem Kohlenstoff – sind einzelne Fremdatome eingeschlossen; häufig sind es Stickstoffatome. „Sie verursachen nicht nur sehr gefragte Farbtönungen bei Diamanten, sondern senden auch Photonen aus, wenn man sie entsprechend anregt“, sagt Hannes Bernien. Er nutzte dies, um Farbzentren zweier Diamanten zu verschränken, die 1,3 Kilometer voneinander entfernt waren. Als Postdoktorand wechselte er an die Harvard University, wo er Gitter aus Rydberg-Atomen als neue Quantentechnologieplattform entwickelte.

Was werden Quantencomputer einmal besser können? „Probleme lösen, die ganz viele Parameter haben, und die man gleichzeitig variieren möchte mit dem Ziel, eine optimale Lösung zu finden“, sagt der Physiker. Eine der ersten wichtigen Anwendungen könnten deutlich exaktere Klimamodelle sein. Forschung und Lehre lassen Hannes Bernien wenig Raum für Freizeitaktivitäten, wie etwa das Bassspielen. Vor wenigen Wochen kam Tochter Zoe zur Welt, die seinem Leben nun einen ganz neuen Spin geben wird.

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