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Wo der Hass wächst. Teilnehmer einer Demo des rechtspopulistischen Bündnisses „Pro Chemnitz“.

© Hendrik Schmidt / dpa

Am Internetpranger: 25 Euro Sofortgeld

Das Zentrum für Politische Schönheit ruft als "Soko Chemnitz" zur Denunziation von Randalierern auf.

Von Frank Jansen

Sie kommen mit dicken schwarzen Strichen im Gesicht, wie nach einer Nacht im Kohlenkeller. Doch die düsteren Gesichter sind kein Partygag. „Das ist der Ruß der deutschen Geschichte“, sagt Philipp Ruch. Der große schlaksige Mann ist der Wortführer der Aktivisten, die sich „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) nennen. Am Montag steht die Handvoll Berußter in einem Hotel am Berliner Hauptbahnhof einer Menge Journalisten gegenüber. Wie Ruch die schmutzig wirkenden Gesichter erklärt, ohne ironischen Unterton, eher getrieben von Bekenntnisdrang und wohl auch beseelt vom enormen Andrang der Medien, ist schon ein Signal. Hier geht es um eine dunkle Seite der jüngeren deutschen Geschichte. Das Zentrum für Politische Schönheit will sie durchleuchten.

Als „Soko Chemnitz“ ruft das Zentrum dazu auf, Neonazis und andere Rassisten bei ihren Arbeitgebern zu denunzieren. Wegen der Teilnahme an den ausländerfeindlichen Demonstrationen und Krawallen Ende August und Anfang September in Chemnitz, kurz nachdem mutmaßlich ein syrischer Flüchtling einen Deutschkubaner erstochen hatte. Die Ausschreitungen eines rechten Mobs, der gemeinsame „Schweigemarsch“ tausender Rechter, von Björn Höcke und anderen AfD-Politikern bis hin zu Mitgliedern der Identitären Bewegung, Neonazis und Hooligans, hat die Republik geschockt. „Chemnitz“ ist heute ein Synonym für rassistische Schande wie „Hoyerswerda“ und „Rostock“. Das Zentrum für Politische Schönheit will das nicht auf sich beruhen lassen. Die Provokationsprofis, die auch schon einmal Kreuze von Mauertoten entwendet haben, schlagen wieder zu.

Aufmerksamkeit ist jedenfalls sicher

Auch diesmal dürften ihnen Beifall, Kopfschütteln und Ablehnung bis zu blankem Hass sicher sein. Aufmerksamkeit ist jedenfalls sicher. In der Inszenierung als „gute“ Denunzianten, die böse Nazis an einen digitalen Pranger stellen. Man könnte auch sagen: das Zentrum für Politische Schönheit alias „Soko Chemnitz“ versucht, in der Historie der Bundesrepublik mitzumischen. Als eine Art Korrekturinstanz. Ruch sagt allen Ernstes, „wir müssen wieder über Entnazifizierung nachdenken“ und zieht damit einen Vergleich zu den Jahren nach dem Ende des NS-Regimes. Klingt größenwahnsinnig, wirkt grenzwertig. Und ist doch legitim? Kann Denunziation, eines der perfidesten Machtinstrumente totalitärer Systeme, in einer Demokratie überhaupt legitim sein? Wenn es die fiesen Rechten trifft, die bekanntlich ein menschenverachtendes Regime anstreben?

Philipp Ruch und seine Mitstreiter – einer wird als „Eskalationsbeauftragter“ vorgestellt – fühlen sich moralisch immun. Sie präsentieren ihre Kampagne mit Wortwitz und bitterem Ernst. Sie hätten im Internet 1524 „Drückeberger vor der Demokratie“ ausgemacht, die in Chemnitz mitgemacht haben, sagt der Eskalationsbeauftragte Stefan Pelzer. Das Zentrum hat angeblich drei Millionen Bilder von 7000 Verdächtigen ausgewertet. Mit dem Ziel, so steht es auf der Website von „Soko Chemnitz“, den Rechtsextremismus 2018 „systematisch erfassen, identifizieren und unschädlich machen“. Und: „Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld. Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen.“

Das Zentrum will helfen, "Antidemokraten" rauszuwerfen

Das Zentrum will angeblich noch diese Woche in Chemnitz Denunzianten 25 Euro und mehr in die Hand drücken. Für Hinweise auf Daten zu Rechten, die auf der Website von Soko Chemnitz als mutmaßliche Straftäter vom Spätsommer gezeigt werden. Und Unternehmen, die von Denunzianten auf rechte Randalierer in der Belegschaft aufmerksam gemacht werden, bietet das Zentrum Tipps an, wie man einen „antidemokratischen Feigling“ rauswirft.

Eine mögliche Konsequenz wäre für einen Rechten der Jobverlust. Und eine existenzielle Krise für eine ganze Familie, die am Einkommen des Vaters hängt. Aber hat er es nicht anders verdient? Auf den Bildern, die das Zentrum zeigt, sind Neonazis bei Hitlergruß und Parolengeschrei zu sehen. Leute, mit denen ein Demokrat nichts zu tun haben möchte. Aber was wäre gewonnen, wenn Rechtsextremisten qua Denunziation arbeitslos werden? Dass sie sich zu Gutbürgern wandeln, dürfte eine naive Illusion sein. Zu erwarten wäre eher noch mehr Hass.

Denunziation ist, auch wenn es widerwärtige Figuren trifft, eine Art Selbstjustiz mit dem Telefon. Das ist mit demokratischen Werten nicht zu vereinbaren. Die Bundesrepublik bekämpft ihre Feinde grundsätzlich nicht mit zweifelhaften Methoden. Und Chemnitz wird nicht befriedet, wenn Rechtsextreme ihre Arbeitsstelle verlieren und auf der Straße stehen. Die dann für Migranten noch gefährlicher wird, als sie es schon ist.

200 Bilder mussten wieder von der Website, aus juristischen Bedenken

Das Zentrum für Politische Schönheit muss sich auch fragen lassen, ob es bei den an den Pranger gestellten Figuren in jedem Fall sicher ist, einen ekligen Nazi erwischt zu haben. Philipp Ruch gibt am Montag zu, „über Nacht“ seien 200 Bilder von der Website wieder heruntergenommen worden, aus juristischen Bedenken. Es gehe aber nur um die Bildrechte, sagt Ruch. Doch es hapert auch mit der angekündigten Installation vor dem Reichstagsgebäude. Sie fällt aus. Es gab „logistische Schwierigkeiten“.

Und in Sachsen bläst der Gegenwind. Die Landesregierung mahnt am Montag das Zentrum ab, weil es die Website „Soko Chemnitz“ mit dem Logo der Standortkampagne „So geht sächsisch“ kombiniert. In Chemnitz selbst lässt die Stadt das Büro des Zentrums räumen und dessen Fahndungsplakate entfernen.

Politisch schön ist das alles nicht.

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