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RECORD DATE NOT STATED ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT, aka IM WESTEN NICHTS NEUES, 2022. ph: Reiner Bajo / Netflix / Courtesy Everett Collection PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY

© IMAGO/Everett Collection/imago

4 Oscars für „Im Westen nichts Neues“: Signal, Erfolg, Dilemma

Was der Oscar-Triumph von „Im Westen nichts Neues“ und die Reaktionen darauf über Kriegsbilder und Deutschlands Filmförderlandschaft verraten.

Ist „Im Westen nichts Neues“ ein politisches Signal gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit es am Montag formulierte? Gingen der Oscar für die beste internationale Produktion plus drei weitere Trophäen  - so viele wie noch nie für einen deutschen Film - an Edward Bergers Remarque-Adaption, weil sie „auf intensive Weise die Schrecken des Krieges“ zeigt? Bei aller Freude über den größten Erfolg, den Deutschland je bei den Academy Awards erringen konnte, erstaunen solche Deutungen dann doch.

Denn zum einen lässt Bergers Netflix-Produktion wenig Reflexion über das komplexe, heikle und ja nicht neue Thema der Gewaltdarstellungen im Kino erkennen. Das Töten und Sterben wird halt ins Bild gesetzt, brutal, schonungslos, aber doch immer gerade noch erträglich, ohne dass ein Nachdenken über Sinn und Grenzen solchen Zeigens sichtbar würde. Und zum anderen stehen im Zentrum des Geschehens verführte junge Männer, die sich auf den Schlammschlachtfeldern des Ersten Weltkriegs um ihren jugendlichen Patriotismus betrogen sehen.

Ein Film ohne Helden, tatsächlich? Die jungen Täter werden als von der Politik verheizte, elende Tode sterbende Opfer gezeigt, mit denen das Publikum leidet und bangt. Man möchte dann doch, dass wenigstens ein, zwei überleben. Wenn der Film ein Signal hinsichtlich des Ukrainekriegs sein soll, dann höchstens dagegen, dass Putin junge Russen verheizt. Der Vergleich führt jedenfalls in die Irre. Und dass Krieg verroht und entmenschlicht, dass er so viele zu Täteropfern und Opfertätern macht, war auf der Leinwand schon weitaus differenzierter zu sehen.

„Im Westen nichts Neues“ stieß in den USA und Großbritannien insgesamt auf positivere Resonanz als hierzulande. Dort störte sich die Öffentlichkeit offenbar weniger an den geschmacksverstärkend dramatisierenden Abweichungen von Remarques Roman und der historischen Realität. Den Filmemachern seien die Oscars eine verdiente Auszeichnung, so Regisseur Volker Schlöndorff, der 1980 für die „Blechtrommel“ einen Auslands-Oscar erhielt. Für uns Deutsche sei es jedoch „eine historische Schande, dass wir in den Augen der Welt immer noch die für Kriege Zuständigen sind.“ So oder so hat der weltweite Streamingerfolg des Films viel mit der Marketingpower von Netflix zu tun.   

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Die Oscars für „Im Westen nichts Neues“, der ja obendrein als erster deutscher Film überhaupt in der Hauptkategorie „Bester Film“ nominiert war, sind nicht zuletzt ein Symptom für die Dilemmata der deutschen Filmförderung. Zwar reiste Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach L.A. und feierte das schon zuvor vielfach preisgekrönte Filmteam am Sonntag vor der Oscar-Gala, beim Empfang in der einst von deutschen Exilanten wie Lion Feuchtwanger bewohnten Villa Aurora. Regisseur Edward Berger gehört übrigens zu den früheren Stipendiaten der Villa. Aber im 20-Millionen-Dollar-Budget der Netflix-Produktion steckt kein einziger deutscher Förder-Euro, auch nicht vom German Motion Picture Fund, der mit Geldern aus Roths Schatulle High-End-Serien und Hochbudget-Filme ab 25 Millionen Euro unterstützt. Eigentlich hatte Claudia Roth im Gefolge des „Im Westen nichts Neues“-Teams also gar nichts zu suchen.

Hier die Publikumserfolge, da die jährlich mit 600 Millionen Euro ausgestatteten Bund- und Länderfördertöpfe für die Filmkunst, für kommerziell hochkarätige Werke wie für Serien – die beiden Medaillenseiten von Film als Kulturwert und als Ware kommen in Deutschland nicht zusammen. Die Kluft ist größer denn je, aus welcher Perspektive man sie auch betrachtet.

Zum Start der Berlinale mit immerhin fünf deutschen Beiträgen im Bären-Wettbewerb hatte sich „Die Zeit“ die deutschen Box-Office-Ergebnisse genauer angesehen. Demzufolge findet sich die Diskrepanz zwischen Filmkunst und Kassenschlagern auch bei den mit Fördergeldern finanzierten Filmen, respektive bei jenen, die im Ausland am erfolgreichsten waren. Top 1, 2 und 3 international im Jahr 2021: „Monster Hunter“, „Spencer“ und „Ooops 2!“ -  Filme, die als deutsch gelten, weil sie überwiegend mit deutschen Geldern finanziert wurden.

Schön, dass mit „Im Westen nichts Neues“ jetzt immerhin ein Film Oscar-Triumphe feiert, der deutsche und europäische Zeitgeschichte verhandelt und mit hiesigen Filmschaffenden und Schauspielern realisiert wurde. Am Widerspruch zwischen Förderabsicht und -resultaten in der Bundesrepublik ändert das allerdings nichts.

Claudia Roth hat sich die Reform der Filmförderung vorgenommen, will sie bündeln, effizienter machen und endlich auch die Streamingdienste zu Förderabgaben verpflichten. Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger im Kulturstaatsminister-Amt wollten das auch schon. Aber sie kämpften vergeblich gegen die Föderalismustradition der sogenannten Ländereffekte (wer zum Beispiel NRW-Gelder bekommt, muss dort ein Mehrfaches der Fördersumme ausgeben). Auch scheiterten sie am Widerstand gegen einen gesetzlich geregelten staatlichen Zugriff auf internationale Player wie Netflix. Mal sehen, ob Claudia Roth es schafft, Qualität und Erfolg einander anzunähern.

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