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Kultur: "7 Bibliotheken": Kampf gegen das Verblassen des Wissens - Eine Charlottenburger Ausstellung über die wichtigsten Bibliotheken der Antike

Rotglühend liegt Feuerschein auf Alexandria. Ein Gebäude nach dem anderen wird ein Raub der Flammen, die vom Hafen aus auf die Stadt übergegriffen haben.

Rotglühend liegt Feuerschein auf Alexandria. Ein Gebäude nach dem anderen wird ein Raub der Flammen, die vom Hafen aus auf die Stadt übergegriffen haben. Zuvor hatte Cäsar die dort vor Anker liegenden feindlichen Schiffe anzünden lassen. Er hoffte damit die Kampfkraft seiner Gegner, die ihm und seiner Geliebten Kleopatra die Herrschaft über Ägypten streitig machten, zu schwächen. Nun war das Feuer außer Kontrolle geraten. Plötzlich gellt ein Entsetzensschrei durch den Pharaonen-Palast, in dem sich der römische Feldherr verschanzt hält: "Die Bibliothek! Sie brennt!"

Soweit die Legende, die noch bis vor kurzem als wissenschaftlich gesicherte Tatsache galt: Im Jahre 48 vor Christus soll die größte Bibliothek der Antike zum ersten Mal gebrannt haben. Unersetzbare Schriften gingen so für immer verloren. Nun meint ein deutscher Archäologe, dieses Geschehnis sei ein, wenn auch populärer, Irrtum. Cäsar habe zwar ein Feuer legen lassen, aber: "Zwischen der Bibliothek und dem Hafen lagen mindestens ein Kilometer Wegstrecke. Da hätte schon ganz Alexandria brennen müssen, bevor das Feuer auf die Bibliothek übergreifen konnte", sagt Wolfram Hoepfner vom Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität. Gemeinsam mit der Studentin Cécil Orru kam er dem Geheimnis auf die Spur: In Alexandria brannte "nur" das Hafenviertel. Und sicher wäre ein Feuer in der berühmtesten Bibliothek in der antiken Welt nicht ohne Aufsehen geblieben. Aber weder Cäsar noch zeitgenössische Historiker berichten darüber. "Erst der griechische Schriftsteller Plutarch, der knapp hundert Jahre später geboren wurde, erzählt diese Geschichte - er mochte Cäsar nicht."

"Die Bibliothek brennt!"

Und doch ging die Bibliothek in ihrer Geschichte mehrmals in Flammen auf. Den größten Schaden nahm sie während eines christlichen Aufstandes im Jahre 289 - und der Entsetzensschrei "Die Bibliothek brennt!" wird wohl auch zu diesem Augenblick durch die Straßen Alexandrias geeilt sein. "Kaum eine Epoche war so kulturbeflissen wie die Antike", sagt Hoepfner. Und obwohl die Bibliotheken in der Welt der antiken Griechen einen sehr hohen Stellenwert besaßen - in den meisten größeren Städten fanden sich öffentliche Büchereien - seien sie bisher in der Forschung völlig unterschätzt worden. Alexandria verwahrte in seiner Blütezeit einen Schatz von etwa 800 000 Rollen, die Bücherei in Pergamon als zweitgrößte immerhin noch 200 000 (zum Vergleich: die Zentral- und Landesbibliothek Berlin verfügt etwa über 2,3 Millionen Medien). Beim Beschaffen einzigartiger Papyri war man nicht gerade zimperlich. In Alexandria wurden alle ankommenden Schiffe auf Manuskripte durchsucht und wertvolle Exemplare beschlagnahmt.

Staatslenker, wie der römische Kaiser Trajan, ließen sich als Erhalter und Mehrer der Bibliotheken feiern. Bibliothekar zu sein, war ein Beruf, zu dem nur die angesehensten Gelehrten berufen wurden. An der Spitze der alexandrinischen Bibliothek standen zum Beispiel Apollonios von Rhodos und Eratosthenes. In den großen Bibliotheken arbeiteten hunderte Angestellte, die den Lesehungrigen das geistige Futter zur Verfügung stellten. In großen, von Säulen umgebenen Lesesälen saß der Philosoph einträchtig neben dem wissbegierigen Privatmann, ins Studium der Meister versunken. Man konnte die Bücher auch ausleihen, zum selber lesen oder abschreiben lassen. "Damals gab es noch keine Copyrights", berichtet Wolfram Hoepfner. "Jeder konnte die Bücher einfach kopieren."

Papyrus zerfällt schnell

So gelangte mancher Büchernarr in den Besitz ganz besonderer Perlen für seine Privatbibliothek. Denn auch in wohlhabenden Familien umgab man sich gerne mit bibliophilen Kostbarkeiten. Entweder man kaufte sie auf dem Markt direkt vom Verfasser - oder ließ sie abschreiben. "Zu einem wohlhabenden Haus gehörte auch eine Bibliothek." Die lag gleich neben dem Speisezimmer. Denn in intellektueller Runde ließ man sich beim Wein auch mal ein Buch vorlesen. In der Ausgrabungsstätte auf der Ägäis-Insel Delos fand man in fünf Prozent der Häuser offensichtliche Bibliotheksräume - mit den Fensteröffnungen nach Osten, "weil Ostluft günstig ist für die Erhaltung des Papyrus", wie es der römische Baumeister Vitruv formulierte.

Denn in der Antike tobte ein steter Kampf gegen das Verblassen des Wissens. "Die griechischen Stadtstaaten und später die hellenistischen Staaten taten viel, um die empfindlichen Papyrusrollen zu schützen", sagt der Archäologe Hoepfner. Das Problem: Der damals populärste Schriftträger, das Papyrus, zerfiel zu schnell. Es war von den Ägyptern erfunden worden. Und im gleichbleibend trockenen Klima des Wüstenstaates klappte das auch. Der pflanzliche Schriftträger blieb lange erhalten. Anders in der feuchtwarmen mediterranen Wetterzone Südosteuropas, wohin die Griechen das Papyrus übernommen hatten. "Man unterhielt eine große Schar von Abschreibern, die im Wettlauf mit der Zeit das Wissen der schnell zerfallenden Bücher auf neue Papyrus-Rollen kopierten", sagt Hoepfner. Für besonders wertvolle Buchrollen wie den Originalen des Aristoteles erfand man um 280 vor Christus einen speziellen Bücherschrank aus Stein. Die Schränke erzeugten in ihrem Inneren ein gleichbleibendes Mikroklima, das die Papyrus-Rollen schützte. Hoepfner hat so einen Schrank aus Holz nachbauen lassen. Er ist das zentrale Exponat der jetzt eröffneten Ausstellung über antike Bibliotheken in der Antiken Abgusssammlung in Charlottenburg.

Ein anderer Weg, um das Wissen zu retten, war die Suche nach neuen, haltbareren Schriftträgern. Doch das Pergament, das in Pergamon erfunden wurde, war in der Herstellung zu teuer. Außerdem benötigten die dünnen Lederstücke mehr Platz. Das galt noch mehr für den Codex, einer hölzernen Schreibtafel, die die Römer entwickelten. Die Tafeln waren zwar sehr haltbar, aber auch sehr voluminös.

Doch letztlich ging der Kampf verloren. 99 Prozent aller antiken Papyri existieren nicht mehr, sagt Hoepfner. Das liegt nicht nur an der empfindlichen Schreibunterlage, sondern auch an einer neuen Zeit. "Die christlichen Kaiser hatten kein Interesse mehr an der Erhaltung des heidnischen Wissen", meint Hoepfner. Die Bibliotheken verfielen, in der Spätantike brannte die alexandrinische Bibliothek dann tatsächlich - unschätzbares Wissen ging für immer verloren. Nur in den Klosterbibliotheken des Mittelalterswurde ein Teil der antiken Schriften gerettet und von Generationen ebenso emsiger wie verschwiegener Mönche vervielfältigt.

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