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Angela Krauß spürt in ihren Texten der DDR und der bundesrepublikanischen Gegenwart nach.

© imago/star-media

70. Geburtstag von Angela Krauß: Der Alltagssprache ihre ursprüngliche Kraft zurückgeben

Die Gestalt des Unsagbaren: Heute feiert die Leipziger Schriftstellerin Angela Krauß ihren 70. Geburtstag.

Es ist der Tod des Vaters im Jahr 1968, der Angela Krauß zur Schriftstellerin werden lässt. Als Bergpolizist und späterer Leiter einer Bergaufsichtsbehörde erschoss dieser sich kurz nach dem Einmarsch der Sowjets in Prag. Schon in den Jahren zuvor hatte er an Depressionen und Wesensveränderungen gelitten.

Krauß fand nach dem Selbstmord des Vaters zum Schreiben, „weil ich nichts verstand“, wie sie in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen 2004 bekannte. „Es war die zwingende Reaktion auf mein Nichtverstehen. Mein Vater, der von seiner Familie die Konflikte der Welt, in der er lebte, fernhalten wollte, brachte durch seine Entscheidung jede, aber auch jede Gewissheit zum Einstürzen.“

"Am unsagbarsten vielleicht: die Liebe"

Angela Krauß, die 1950 in Chemnitz geboren wurde und Ende der siebziger Jahre am Becher-Institut in Leipzig Literaturwissenschaft studierte, benötigte dann noch einige Zeit, um sich mit dem Tod des Vaters literarisch auseinanderzusetzen. Nach dem Debütroman „Das Vergnügen“ und einem Erzählungenband, die in den achtziger Jahren in der DDR beim Aufbau Verlag erschienen, nahm sie 1988 am Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil – und gewann mit ihrer Vatererzählung „Der Dienst“.

Diese ist das unvollständige Porträt ihres „Hauptgestirns“, ihres nächsten und doch so fernen Menschen, der hier vor allem aus der kindlichen Perspektive der Tochter dargestellt wird.

„Unsagbar, aber nicht ungestaltbar“, so wird Angela Krauß diesen grundlegenden Lebenseinschnitt später nennen, „am unsagbarsten vielleicht: die Liebe.“ Schon kurz nach dem Bachmannpreis und dem Wechsel zum Suhrkamp Verlag folgt ein weiteres Grunderlebnis für die Autorin: der Fall der Mauer.

Seitdem versucht Krauß in Form von erzählender Prosa und Gedichten, ihrem Leben in der DDR und der sich anschließenden bundesrepublikanischen Gegenwart eine Gestalt zu geben; und sie versucht, Körper und Zeit literarisch miteinander in Einklang zu bringen.

Ihr jüngstes Buch heißt "Der Strom"

Vielen ihrer Protagonistinnen ist gemeinsam, dass sie vergeblich auf der Suche nach Halt und Orientierung sind, dass sie sich nach Ruhe sehnen, jedoch gleichzeitig rastlos sind. So heißt es in „Der Strom“, Krauß’ jüngste, vergangenes Jahr erschienene und wie üblich schmale Prosaarbeit:  „Ich wollte die Welt werden, das All, der Traum, das Unendliche, ohne es vorher verstehen zu müssen.“

Was ihren Figuren nicht gegeben ist, nämlich „mit den Insignien des Lebens ausgestattet zu werden“, wie es sich die Icherzählerin in dem 2015 veröffentlichten Gedichtband „Die Wiege“ wünscht, das hat Angela Krauß lange erreicht.

Ihr ist ein außerordentliches poetisches Sprachvermögen zu eigen, sie schreibt eine gleichermaßen dichte wie filigrane und bildreiche Prosa, eine der schönsten und dringlichsten hierzulande.

Krauß vermag es, leere, zu oft benutzte Worte aus „unserer gedankenlosen Alltagsgebrauchssprache“ herauszulösen, sie zum Leuchten zu bringen, ihnen etwas von ihrer ursprünglichen Kraft zurückzugeben. Das Ende von „Der Strom“ klingt wie ein einziges Versprechen: „Ich wirke glücklich. Das ist keine Tarnung. Jemand muss uns heimlich bewohnen, jemand immerzu Glückliches.“ An diesem Samstag feiert Angela Krauß in Leipzig ihren 70. Geburtstag.

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