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Kultur: Abbrecher haben mehr vom Leben Ulrich Plenzdorf zum 70. Geburtstag

Immer vergessen sie beim Film die Hauptperson. Jemand setzt etwas in Szene, das er sich gar nicht ausgedacht hat.

Immer vergessen sie beim Film die Hauptperson. Jemand setzt etwas in Szene, das er sich gar nicht ausgedacht hat. Schauspieler spielen Personen, die ihnen gar nicht gehören. Denn sie gehören dem Autor. Dem sind sie eingefallen. Aber was zählt beim Film schon der Autor?

Ulrich Plenzdorf ist von Beruf Drehbuchschreiber, also ein strukturell Vergessener. Der Mensch, glaubte einst Plenzdorfs literarischer Hauptheld Edgar W., sollte keinesfalls älter als 17 werden, höchstens 18. Plenzdorf wird heute siebzig Jahre alt. Er ist das lebendige Paradox: ein berühmter Drehbuchschreiber. „Die Legende von Paul und Paula“– Paula, auch eine Frühverstorbene – ist von ihm. Und eben „Die neuen Leiden des jungen W“. Zuletzt schrieb er den „Trinker“ (Harald Juhnke spielte die Hauptrolle) und den „Laden“ fürs Fernsehen.

Alles hätte schief gehen können. Ausgerechnet Mitte der Sechzigerjahre fing der Kreuzberger Arbeitersohn bei der DEFA an. Da schrieben die Autoren plötzlich Drehbücher für verbotene Filme, was sie natürlich nicht wissen konnten, als sie schrieben. Nun sind verbotene Filme an sich keine schlechte Sache. Mit nichts wird man berühmter als mit verbotenen Filmen. Allerdings sollte einen vorher schon einer kennen. Plenzdorf kannte keiner, als er das Szenarium für „Karla“ schrieb, den schönen Herrmann-Zschoche-Film mit Jutta Hoffmann. Es sei denn, man hatte im Jahr zuvor „Mir nach, Canaillen“ (1964) gesehen. Der Film ist deftigste Leicht-Kost, und außerdem mit Manfred Krug, wer sollte sich da den Namen Plenzdorf merken?

Die Legende vom berühmten Drehbuchschreiber stimmt eben doch nicht. Berühmt geworden ist Plenzdorf genau in dem Augenblick, als er gerade kein Drehbuch schrieb, sondern einen Roman. Er handelt vom 17-jährigen Lehrling Edgar Wibeau, den alle nur Wibau nennen, weil die DDR kein besonders sublimiertes Land ist und deshalb auch nichts von besonders sublimierten Aussprachen hält. Lehrling Wibeau knallt seinem Lehrmeister eine Grundplatte vor die Füße, jedenfalls landet sie da, und dann geht Edgar W. nicht mehr hin. Im inoffiziellen Katalog der sieben DDR- Todsünden steht Arbeitsbummelei ganz oben. Und Plenzdorf schreibt darüber.

Das ist natürlich ein bisschen autobiografisch, denn das Arbeiterkind Plenzdorf ist ebenfalls ein Abbrecher. Er hat auch so eine Grundplatte hingeschmissen – das Studium des Marxismus/Leninismus. Plenzdorf wurde erst einmal Bühnenarbeiter bei der DEFA, Kulissenauf- und Umräumer. Wibeau, verkannter van Goch (Originalton Wibeau), Salinger-Enthusiast, emigriert in die Berliner Gartenlaube eines Freundes und findet dort, auf dem Plumpsklo, die Geschichte eines verwandten Geistes, in allermerkwürdigstem Deutsch – „Die Leiden des jungen Werthers“ von Goethe.

Diese Geschichte dieser Plumpsklo-Lektüre wurde in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und hat bis heute über vier Millionen Gesamtauflage, allein 2,4 Millionen beim Suhrkamp-Verlag. Plenzdorf legte mit Unterstützung von „Old Werther“ die Totalkritik des spezifischen DDR-Spießertums vor, das eines der unangenehmsten Spießertümer überhaupt darstellte, vor allem, weil es gar nicht wusste, das es eins war. Aber, und das ist ganz wichtig, man kann die DDR auch ganz weglassen. Ein wirklich gutes Buch spricht eine Zeit sehr genau und zugleich alle Zeiten aus.

„Die neuen Leiden des jungen W.“ klingen noch immer, als sei inzwischen keine Zeit vergangen. Der Konrad-Reich-Verlag hat sie gerade neu als Hörbuch herausgebracht, gelesen von Katharina Thalbach. „Die neuen Leiden“ wurden später noch Film (mit Klaus Hoffmann) und Theaterstück; „Paul und Paula“ wurde erst hinterher Roman, und als Paula tot ist, und der Film längst zu Ende, geht die Geschichte Pauls noch lange weiter. Denn kein Leben, das wusste Paula, das wussten der neue junge W. und all die Frühverstorbenen, ist mit dem Tod zu Ende.

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