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Showman mit Leib und Seele. Cameron Carpenter.

© Marco Borggreve

Saisonstart Konzerthaus-Orchester: Aberwitz und Mittelweg

Iván Fischer und das Konzerthausorchester eröffnen die neue Saison mit Gustav Mahlers 5. Symphonie.

Mit einem Erdbeben anfangen und sich dann langsam steigern – diesen Klassiker der Dramaturgie wendet das Konzerthaus zur Eröffnung seiner neuen Spielzeit an. Bevor Iván Fischer sich mit seinem vollbesetzten Orchester einen Pfad durch Gustav Mahlers 5. Symphonie bahnt, stellt sich der neue Artist-in-Residence am Gendarmenmarkt vor und zieht dabei alle Register. Cameron Carpenter ist jener Organist, der die Beschränkungen seines Instruments in zweifacher Hinsicht zu durchbrechen sucht: ihre Fixierung auf den religiösen Kontext und ihre mechanischen Grenzen, die bei jeder Orgel ganz anders liegen und den Interpreten zu Kompromissen zwingen. Doch Carpenter, 1981 in Pennsylvania geboren, will die absolute Kontrolle über das, was er tut und hat sich deshalb mit der International Touring Organ ein Instrument bauen lassen, das keinerlei äußere Beschränkung mehr kennt. Alle Klänge sind in allen Kombinationen jederzeit abrufbar, wie aberwitzig das auch immer klingen mag.

Die Stilbildung muss also von innen kommen und jeder Ton Bekenntnis werden. Doch was reizt Carpenter an Bachs Präludium und Fuge D-Dur BWV 532? Der Wumms, mit dem sie beginnen? Seine mit Strass besetzten Schuhe tanzen über die Pedale, die Register wechseln im Computertakt, und die Musik – entschwindet. Carpenters Version des vielbemühten Adagietto aus Mahlers Fünfter dagegen ist so getragen wie in Viscontis „Tod in Venedig“, entwickelt aber kein Eigenleben, sieht man vom einsickernden Jahrmarktston einmal ab. Was Carpenter außer kühler Show sonst bewegt, zeigt sich vielleicht, wenn er vom festungsartigen Spieltisch seiner Digitalorgel herabsteigt. Und an der Jehmlich-Kleinorgel „Prinzessin“ Platz nimmt, um mit Konzerthausmusikern ein Bach-Programm im Kleinen Saal zu spielen (29.10.).

Humor und Übersicht

Iván Fischer verbringt seine Sommer inzwischen am liebsten wie Gustav Mahler – komponierend. Um dafür künftig noch mehr Zeit zu haben, verlässt er das Konzerthaus nach dieser Saison, kehrt aber regelmäßig an den Gendarmenmarkt zurück. Das ist ein Trost, denn das Orchester verdankt Fischer einen Zuwachs an spielerischer Leichtigkeit. Musizieren mit schweißnassen Händen ist seine Sache nicht, dafür Übersicht und klangliche Weite, auch für einen vom Aussterben bedrohten mitteleuropäischen Humor hat Fischer ein Ohr.

Seiner Interpretation der Fünften ist noch Urlaubsglück und Klangvergessenheit anzuhören, alle Dringlichkeit scheint weit entfernt. Das sind Mahler-Momente, die unausweichlich auf Strenge und Unerbittlichkeit prallen. Hier scheut Fischer vor der letzten klanglichen Zuspitzung noch zurück. Wenn es einen Mittelweg der Mahler-Interpretation geben kann, wird Fischer ihn finden. Am 12.9. gastiert er mit der Fünften und dem Konzerthausorchester beim Musikfest in der Philharmonie. Dann spielt Mahler zu Beginn selbst den 1. Satz, für die Nachwelt auf Klavierrollen konserviert. Am Ende ist die Saisoneröffnung am Gendarmenmarkt auch ein Abschied. Ernst-Burghard Hilse, seit 40 Jahren Flötist und langjähriger Orchestervorstand, geht in den Ruhestand. Seine Kollegen spielen ihm auf der Freitreppe einen Mix aus Strauss’ „Heldenleben“ und Sinatras „My Way“. Dankbarkeit und eine Ahnung von goldenem Herbst. Ulrich Amling

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